Auf dem Boden der Tatsachen angekommen: Viele Briten bereuen nun die Entscheidung gegen die EU. Aber wie wahrscheinlich ist ein "Exit aus dem Brexit"?

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#WhatHaveWeDone: Was haben wir getan? Das fragen sich nicht wenige Briten, jetzt, wo das Hochgefühl, es dem Rest der EU gezeigt zu haben, abebbt. Knapp 52 Prozent der Briten, die am Referendum teilnahmen, haben sich am vergangenen Donnerstag dafür ausgesprochen, die EU zu verlassen. Nun fragen sich viele Menschen, was die Abspaltung von der Europäischen Union für das Land politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich wirklich bedeutet. #Bregret ist das neue Schlagwort – zusammengesetzt aus Britain und regret: Bedauern. Und es sind nicht nur EU-Befürworter, die sich jetzt Gedanken machen.

Was muss als Nächstes passieren?

"Wacht auf. Wir müssen das nicht machen", postete der Labour-Abgeordnete David Lammy am Wochenende bei Twitter. Damit liegt er prinzipiell nicht falsch: Rein rechtlich gesehen ist das Referendum nicht bindend, sondern es hat beratenden Charakter: Der Premierminister könnte das Parlament über den Brexit abstimmen lassen. Allerdings hatte David Cameron versichert, dass er ein "Ja" zum Austritt akzeptieren würde. Jetzt will er zurücktreten. Wie die Abspaltung abläuft, ist in Artikel 50 des EU-Vertrags geregelt. Darin steht, dass zwei Jahre Zeit bleiben – gegebenenfalls kann diese Frist auch verlängert werden. Die Briten müssen zunächst ihren Antrag bei der EU einreichen.

Das will der scheidende Premierminister allerdings seinem Nachfolger überlassen. Selbst Boris Johnson, oberster Brexit-Befürworter und Anwärter auf den Posten, hat es aktuell noch nicht eilig damit, auch wenn einige Mitglieder der EU-Führung darauf drängen.

Warum plötzlich das große Bedauern?

Jetzt setzt sie ein, die Angst. Angst davor, dass sich das Land selbst in die Krise gestürzt hat. Der wehe Blick an die Börsen, das erste Zurückrudern der Befürworter: Sie hatten behauptet, Großbritannien überweise wöchentlich 350 Millionen Pfund an die EU. Und damit geworben, dieses Geld könne in Zukunft ins britische Gesundheitssystem (NHS) fließen. Noch am Freitag räumte Nigel Farage, Chef der rechtpopulistischen Partei Ukip, ein, er könne nicht versichern, dass nun tatsächlich mehr Geld an die NHS gehe.

Auf ihren Werbetouren hatten die Brexit-Befürworter ohnehin verschwiegen, dass die Hälfte der 350 Millionen über Rabatte und Subventionen zurück nach Großbritannien fließt. Hinzu kommen die aufgebrachten Schotten: Nicht nur sie denken nun erneut über ihre Unabhängigkeit von Großbritannien nach – auch Londoner fordern die Unabhängigkeit ihrer Hauptstadt (#londependence): "Wir wollen im Herzen Europas bleiben", fordern die Brexit-Kritiker auf dem Petitionsportal change.org.

Was können die Briten per Petition ausrichten?

Mehrere Millionen Stimmen soll mittlerweile eine Petition zählen, die eine weitere Abstimmung verlangt. Jetzt wurde aber bekannt, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugeht. Die Unterschriften wurden offenbar durch sogenannte "Bots" erzeugt und stammen nicht von tatsächlichen Befürwortern einer Wiederholung.

Gäbe es andere Mittel, den Brexit zu stoppen?

In Großbritannien wird auch über eine Blockade des Brexit diskutiert: So hatte die schottische Regierungschefin der BBC gesagt, dass ihr Parlament möglicherweise seine Zustimmung zum EU-Austritt geben müsse. Zudem berichtet der britische Sender, dass Großbritannien das Abkommen, das es mit der EU zum Austritt erarbeitet, erneut zur Abstimmung stellen könnte. Doch wenn die Briten das Verfahren nach Artikel 50 auslösen, dann müssen sie austreten. Demnach bliebe nur die Möglichkeit, die Wieder-Aufnahme in die EU zu beantragen.

Wie wahrscheinlich ist ein zweites Referendum?

Ein zweites Referendum halten die meisten Experten für sehr unwahrscheinlich bis ausgeschlossen. Warum, erklärt der Münchner Politikwissenschaftler Professor Werner Weidenfeld im Gespräch mit unserer Redaktion: "Weil die Briten damit ihre Demokratie infrage stellen würden." Hier gehe es um Souveränität und Identität. Weidenfeld rechnet zwar "mit taktischen Spielen", etwa wenn es um Camerons Nachfolge oder die weiteren Verhandlungen mit der EU gehe. "Dabei wird die Stimmung immer wieder hochkochen und dies auch gezielt eingesetzt werden", vermutet er. "Aber bei der grundsätzlichen Frage nach einer Wiederholung geht es letztlich um die Verfasstheit der Demokratie. Deswegen gehe ich nicht davon aus, dass die Briten diesen Entscheid noch einmal kippen."

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