Dresden, Freital, Heidenau: Besonders ostdeutsche Städte geraten durch Fremdenfeindlichkeit in die Negativschlagzeilen. Dennoch wehren sich die Ost-Ministerpräsidenten gegen die Stigmatisierung einer ganzen Region. Wie braun ist der Osten wirklich?

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Die sächsische Kleinstadt Heidenau war vor Kurzem fast niemandem ein Begriff, nun steht sie exemplarisch für die wachsende Stimmungsmache gegen Ausländer in Deutschland. Tagelang randalierten Neonazis vor einer Asylunterkunft, griffen Polizisten an und versetzten die Flüchtlinge in Angst und Schrecken. Ist es ein Zufall, dass Heidenau im Osten der Republik liegt? Oder ist Ausländerfeindlichkeit in den neuen Bundesländern tatsächlich weiterverbreitet als in Westdeutschland?

"In der Tat ist die Zahl der rechten und rassistischen Gewaltstraftaten in Ostdeutschland höher als im Westen", sagt David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus vom "Miteinander e.V." in Magdeburg, "obwohl im Westen mehr Menschen leben." Der Journalist und Buchautor Björn Menzel erklärt: "In Ostdeutschland gibt es ein relativ größeres Potenzial an rechten Wählern als in Westdeutschland." Dennoch warnte Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) zuletzt in der "Welt am Sonntag" davor, beim Thema Fremdenfeindlichkeit "vorschnell von einem ostdeutschen Phänomen zu sprechen".

NPD im Osten am erfolgreichsten

Denn auch im Westen gab und gibt es ausländerfeindliche Anschläge, auch im Westen organisieren sich Neonazis: Im niedersächsischen Salzhemmendorf schleuderte ein 24-Jähriger vor gut einer Woche einen Brandsatz in ein Flüchtlingsheim. Eine Frau und ihre drei Kinder, die im Nebenraum schliefen, kamen durch viel Glück nicht zu Schaden.

Mit Mölln und Solingen fanden in den frühen 90er-Jahren zwei tödliche Brandanschläge ebenfalls in Westdeutschland statt. Und in Dortmund ist aktuell eine der berüchtigtsten Neonazi-Szenen der Republik aktiv.

Dennoch scheinen rechte Ideen im Osten weitaus mehr Unterstützer zu finden: Bei der Bundestagswahl 2013 erreichte die NPD in Sachsen (3,3 Prozent) und Thüringen (3,2) ihre besten Zweitstimmen-Ergebnisse. Auch in den anderen Ost-Ländern, ausgenommen Berlin, übertraf die Partei ihre Zahlen aus Westdeutschland deutlich. Die drei Wahlkreise mit dem jeweils höchsten Stimmenanteil waren Vorpommern-Greifswald, Berlin-Hellersdorf und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge – sie liegen im Osten. Zudem sitzt die NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und behauptete sich zwischen 2004 und 2014 im sächsischen Parlament. Die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung ist ebenfalls ein sächsisches Produkt.

Kaum Ausländer in der DDR

Die Gründe für diese Entwicklungen sind vielschichtig. "Es gibt eine bis zum Beginn der 1990er-Jahre zurückreichende, ostdeutsche Entwicklung des Rechtsextremismus, die sich dadurch auszeichnet, dass rechtsextreme Einstellungen seit den 1990er-Jahren dort höhere Zustimmungswerte erzielen als im Westen", erklärt David Begrich. "Wir sprechen von der Generation Hoyerswerda, also jenen, die in den 90er-Jahren ihre fremdenfeindlichen Ansichten mit Gewalt durchzusetzen wussten", so Begrich.

Eine Ursache ist die Massenarbeitslosigkeit, die die ehemalige DDR ab 1990 fest im Griff hatte, und Teile der Bevölkerung desillusionierte. Bilder von randalierenden Skinheads mit Springerstiefeln waren damals an der Tagesordnung. Schon in den 1980er-Jahren entwickelte sich in der DDR eine wachsende Skinhead- und Neonazi-Bewegung, die nach der Wende ihre Aggressionen an Ausländern und Asylbewerbern freien Lauf ließ.

Zudem lebten in der DDR bis auf sogenannte Vertragsarbeiter aus Vietnam, Kuba oder Mosambik nur wenige Menschen aus dem Ausland. 1989 waren es knapp 200.000. "In der DDR führten die wenigen Ausländer ein ausgegrenztes Leben", erklärt Begrich. "Eine interkulturelle Kompetenz im sozialen Zusammenleben zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Ausländern konnte sich so nicht entfalten." Auch die in der DDR stationierten Soldaten der Roten Armee wurden von der Bevölkerung fern gehalten.

Großen Parteien ziehen sich zurück

Das alles prägt die Mentalität einiger Ostdeutscher bis heute. Jedoch wäre es falsch, jeden NPD-Wähler für einen Rechtsextremisten zu halten, betont Björn Menzel, der sich mit Jens Kiffmeier im Buch "OhneMacht - Zerfall der Gesellschaft - Kampf gegen Rechts" mit der Problematik befasst hat. "Die rechten Wähler in Ostdeutschland sind nicht alle Neonazis. Die Gründe, warum rechts gewählt wird, sind vielfältig. Da spielen etwa Protest und Resignation eine Rolle", sagt Menzel. So werde am Wahltag Unmut zum Ausdruck gebracht – oft über kleine, lokale Probleme. Als problematisch erachtet der Experte das Verhalten der großen Parteien: "Sie haben sich aus der Fläche größtenteils zurückgezogen, haben also auf dem Land der NPD und Rechten das Feld überlassen." Es sei der Neonazi von nebenan, der sich um die Fete im Dorf kümmere, oder die Oma zum Arzt fahre. So werde rechtes Gedankengut gesellschaftsfähiger.

"Wir reden von einem gesamtdeutschen Problem, das wir gesamtdeutsch bekämpfen müssen", forderte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) zuletzt in der WamS. In Ostdeutschland ist das Problem allerdings besonders groß.

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