Die grausamen Verbrechen des IS-Terrors in Syrien halten die Welt im Atem. Doch gehen Gräueltaten in Syrien nicht allein auf das Konto des IS. Im Windschatten des Terrors bombardiert die syrische Regierung Rebellengebiete mit sogenannten "Blutbomben". Zehntausende Zivilisten sterben. Bashar al-Assad legt sein Land in Schutt und Asche - und die Welt schaut zu. Wie er vom Terror profitiert und warum er nicht zu stoppen ist.

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Ein Bericht von Human Rights Watch (HRW) vom Dienstag offenbart Schreckliches. Demnach soll die syrische Regierung Fassbomben gegen Rebellen einsetzen - allein in der Stadt Aleppo mehr als Tausend. Die sogenannten "Blutbomben", mit Sprengstoff und Metallsplittern gefüllte Ölfässer, töten und verstümmeln nicht nur, sondern machen ganze Städte unbewohnbar. In Rebellengebieten sollen 1.450 Orte höchstwahrscheinlich aus der Luft bombardiert worden sein - vor allem in den Regionen Aleppo und Daraa. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivisten starben seit 2014 dort mehr als 3.100 Zivilisten. Laut Syrischer Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind durch die syrische Regierung in ganz Syrien 30.000 Zivilisten getötet und verletzt worden.

Präsident Bashar al-Assad bestreitet den Einsatz von Fassbomben. Dass allerdings Rebellen für die Bombardierungen verantwortlich sein könnten, hält Thomas Gebhard, Syrien-Experte der Hanns Seidel Stiftung in München, für ausgeschlossen. "Wenn Bashar al-Assad abstreitet, dass seine Luftwaffe Fassbomben abwirft, dann lügt er wider besseren Wissens. So wie er das auch 2013 getan hat, als es um den Einsatz von Chemiewaffen in der Region um Ghuta gegangen ist, bei dem zwischen 500 und 1.500 Menschen, überwiegend Zivilisten, ihr Leben verloren haben. Nur die syrische Luftwaffe, die Assad nach wie vor untersteht, ist dazu in der Lage".

Syrischer Präsident will verloren Gebiete zurückerobern

Mit den Bombardements missachtet Assad das Verbot solcher willkürlichen Bombardierungen durch den Sicherheitsrat am 22. Februar 2014. Seit der Resolution 2139 haben dem HRW-Bericht zufolge die Bombardements sogar zugenommen. "Assad unterscheidet nicht zwischen Rebellen und Dschihadisten. Er nimmt billigend in Kauf, dass bei den Angriffen seiner Militärs Zivilisten sterben – auch wenn er in Interviews gerne anderes behauptet", sagt Gebhard. Schon seit einiger Zeit, so der Experte, sei zu beobachten, dass die syrische Regierung versucht, verlorene Gebiete von den Rebellen zurückzuerobern.

Assads Stunde?

Vier Jahre nach den Aufständen in Syrien scheint sich Assads Situation zu seinen Gunsten zu ändern. "Er erlebt gerade so etwas wie ein Revival. Er wird zwar nicht zu alter Stärke zurückfinden, aber er ist ein Nutznießer der aktuellen Lage. Im Windschatten des IS versucht er derzeit für sein Regime wichtige Gebiete zurückzuerobern. Vor allem auch im Süden Syriens", erklärt Gebhard. Der syrische Machthaber sei momentan sehr darum bemüht, aus der gegenwärtigen Lage militärischen Profit zu ziehen.

Assad wird weiter bomben. Davon ist auch Syrien-Expertin Petra Becker von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin überzeugt. "Dass dabei Zivilisten umkommen, ist Kalkül. Denn Assad begreift alle Menschen in Feindesland – also den von Rebellen besetzten Gebieten – als Feinde. Assad hat einmal gesagt, dass alle Zivilisten in rebellenkontrollierten Gebieten Terroristen sind."

HRW hat den UN-Sicherheitsrat daher dazu aufgefordert, gegen die syrische Regierung ein Waffenembargo zu verhängen. Doch dass sich der Rat dazu durchringt, gilt als unwahrscheinlich. "Es wird sein, wie es immer war: Entweder gibt es ein Veto von Seiten Russlands und China oder alles wird so weich gespült, dass alle UN-Sicherheitsratsmitglieder zustimmen", sagt Becker. "Bisherige Forderungen haben nicht gewirkt, weil Assad keine Konsequenzen zu erwarten hatte", erklärt Becker.

Warum Bashar al-Assad nicht zu stoppen ist

Dass die westliche Allianz den IS bombardiert und nichts gegen Assad unternimmt, hat mehrere Gründe: So stehen etwa Russland (Mitglied im UN-Sicherheitsrat), der Iran und der Irak auf der Seite der syrischen Regierung. Dazu gehört offenbar auch militärische Unterstützung. Erst im November letzten Jahres stellte Russland Syrien Hilfe Kampf gegen die Rebellen in Aussicht. Iranische Revolutionsgarden und auch schiitische-irakische Milizen kämpfen seit Beginn der Aufstände im Jahr 2011 in Syrien gegen die Rebellen.

USA wollen keine Verantwortung übernehmen

Die USA wiederum wollen in Syrien kein militärisches Engagement wie im Irak. "Sie sind im Irak kläglich gescheitert. Die Amerikaner unterstützen zwar Oppositionelle und Rebellen, aber nicht so massiv, dass diese einen Sturz des Regimes herbeiführen könnten. Denn die USA wollen keine Verantwortung für einen Sturz Assads übernehmen. Deshalb ist kein wirklicher Wille da, entschlossen zu handeln", sagt Becker. Zudem stehen die USA in Verhandlungen mit dem Iran. "Die US-Regierung will im Atomkonflikt auf Biegen und Brechen eine Einigung erzielen."

Was das Ganze seit Sommer 2014 verkompliziert, ist der Aufstieg der Extremistenmiliz Islamischer Staat. Hier sieht Assad nun seine Chance, verlorenes Renommee auf der internationalen politischen Bühne zurückzugewinnen. "Durch die Gräueltaten des IS wird die politische Diskussion, wie es in Syrien weitergehen soll, wiederbelebt. Immer öfter wird in diesem Zusammenhang auch die Frage erörtert, ob Assad für die Beilegung des Konflikts in Syrien nur ein Problem ist, oder ob er nicht vielleicht auch Teil der Lösung sein kann", so Syrien-Experte Gebhard.

"Wir wissen nicht, was die (US-geführte Anti-Terror-)Allianz will, und die USA treffen keine Entscheidung", sagte Bassma Kodmani, Direktorin der Arabischen Reform-Initiative in Paris. "Deshalb werden in Europa die Stimmen lauter, die Assad als das kleinere von zwei Übeln betrachten. Die Diskussion hat sich damit völlig gedreht".

Assad schlimmer als IS?

Assad als Verbündeter gegen den IS? Für Syrien-Expertin Petra Becker undenkbar. "Assad ist keiner, den man gegen die Terrormiliz ins Boot holen kann. Der Westen würde an Glaubwürdigkeit verlieren." Denn: Assad selbst hat Becker zufolge 2011 den Grundstein für den IS in Syrien mitgelegt. Zu Beginn der Aufstände im April und Mai hat die syrische Regierung Hunderte Dschihadisten aus den Gefängnissen entlassen, damit sie friedliche Proteste unterwandern. "Die Aufstände in die Militarisierung zu drängen, war das Einzige, was Assad tun konnte, um an der Macht zu bleiben. Er konnte seinen Machtanspruch nur dadurch behaupten, indem er die Revolution in Misskredit bringt", erklärt die Expertin.

Assad hat Becker zufolge die Gefahr, die von den Dschihadisten ausging, unterschätzt. "Aber ihm war jedes Mittel recht, um an der Macht zu bleiben." Becker gibt ferner zu bedenken, dass in Syrien durch das Regime zudem weitaus mehr Menschen gestorben sind als durch den IS. Die Expertin beruft sich auf Zahlen der Organisation "The Syria Campaign". Demnach gehen 95,4 Prozent der Opfer auf das Konto von Assad. 2,7 Prozent sind dem IS zuzuschreiben und 1,9 Prozent den Rebellen. Allein in den Monaten Dezember und Januar hat der syrische Bürgerkrieg 10.000 Menschen das Leben gekostet. Seit 2011 starben 210.000 Menschen - davon 65.000 Zivilisten.

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