Helmut Schmidt ist tot. Eine Umfrage weist ihn als beliebtesten Bundeskanzler der Deutschen aus. Als Regierungschef muss er jedoch herbe innenpolitische Niederlagen einstecken. Woher kommt seine Beliebtheit? Eine Spurensuche.

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Es waren für Helmut Schmidt nervenaufreibende Tage Mitte Oktober 1977. Mit der RAF verbündete Terroristen der "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP) hatten die Lufthansa-Maschine "Landshut" entführt und Kapitän Jürgen Schumann hingerichtet.

Der Bundeskanzler blieb nach einem erbarmungslosen Verhandlungsmarathon hart, ließ das Passagierflugzeug durch die neu gegründete Spezialeinheit GSG 9 in Mogadischu stürmen. 86 Geiseln wurden gerettet, vier Terroristen erschossen.


Das Ausland und die Presse feierten die Rettungsaktion als Sieg des Rechtsstaates. Einen Tag später wurde die Leiche des zuvor von der "Roten Armee Fraktion" entführten Arbeitnehmerpräsidenten Hanns Martin Schleyer in Mülhausen im Elsass gefunden.

Der sogenannte Deutsche Herbst war bezeichnend für die Karriere des SPD-Politikers Helmut Schmidt: Kaum ein Erfolg blieb ohne einen ebenso markanten Rückschlag.

Schmidt war der beliebteste Kanzler

Am Dienstag verstarb Schmidt im Alter von 96 Jahren - als beliebtester Regierungschef in der Geschichte der Bundesrepublik. Dies hatte eine Forsa-Umfrage für den "Stern" Ende 2013 zu seinem 95. Geburtstag ergeben.

In dieser lag er mit 25 Prozent vor Konrad Adenauer (CDU, 23 Prozent), Willy Brandt (SPD, 18 Prozent) und Helmut Kohl (CDU, 17 Prozent).

Aber warum? Seine Bilanz war nicht herausragend. Unter Helmut Schmidt erfolgte keine entscheidende Weichenstellung in der Bundesrepublik. Nicht wie unter Kohl, der als "Kanzler der Einheit" gilt.

Schmidt hatte drei Eigenschaften, die seine Landsleute faszinierten. Erstens, galt er als hervorragender Krisenmanager.


Zweitens, bediente er nach seiner aktiven politischen Karriere die Sehnsüchte nach einem alten, aber weisen Mann, der vieles gesehen, manche Erfahrung und auch den einen oder anderen Fehler gemacht hatte.

Um daraus zu lernen, um immer einen Rat parat zu haben, um selbst bei polarisierenden Themen herrlich abgeklärt die Richtung vorzugeben.

Schmidt und die Menthol-Zigarette

"Elder Statesman" nennen Amerikaner diesen Typus Politiker. Jemanden, der auch nach seinem Ausscheiden Hochachtung genießt. Geschafft hat er das auch, und das ist seine dritte entscheidende Eigenschaft, durch ein hervorragendes politisches Marketing.

Zur Marke Helmut Schmidt gehörte wie kein zweites Merkmal seine Menthol-Zigarette Brand "Reyno". Er war Kettenraucher. Es half ihm, stets die Ruhe zu bewahren.

Während den innenpolitisch explosiven Jahren seiner Kanzlerschaft zwischen 1974 und 1982 zeichnete ihn diese Routine im Kampf gegen die RAF aus.

Bei den Deutschen galt er seinerzeit nicht als sonderlich beliebt. Bei den Wahlen 1976 und 1980 blieb er mit seiner SPD jeweils hinter dem Stimmenanteil von CDU/CSU zurück, konnte seine Regierung nur durch eine Koalition mit der FDP retten.

1982 endete seine Kanzlerschaft schließlich mit dem vorzeitigen Ausscheiden der Liberalen und der bitteren Pleite eines konstruktiven Misstrauensvotums.

Ein Held in der Flutkatastrophe

In Erinnerung blieb aber der Mann, der sich vom linksradikalen Terror nicht unterkriegen ließ. Ein Außenpolitiker, der den NATO-Doppelbeschluss, die Freundschaft zu Frankreich sowie die Europäische Integration und damit den Frieden forcierte.

Und jener Mann, der bei der Elb-Flutkatastrophe 1962 in Hamburg als unbürokratischer Krisenmanager Kultstatus errang.

Schmidt war damals Senator der Polizeibehörde und Bundestagsabgeordneter. Am 16. Februar 1962 unterschätzten die Behörden die herannahende Sturmflut und versagten anschließend bei der Krisenbewältigung.

Schmidt jedoch behielt einen kühlen Kopf. Entgegen seiner verfassungsrechtlichen Befugnis gelang es ihm auf eigene Faust, Pioniertruppen samt Sturmbooten der NATO und 100 Hubschrauber von Bundeswehr sowie Royal Air Force zu organisieren.

Tausende Menschen sollen dadurch gerettet worden sein. Sein Mut hat sich bei seinen Zeitgenossen eingebrannt.


Stammgast in politischen Talkshows

Die jüngere Generation kennt ihn als den klugen Mahner, stets besagte Menthol-Zigarette in der Hand. Bereits 1983 positionierte sich Schmidt strategisch günstig, wurde Mitherausgeber der "Zeit". Seither war er stets Teil deutscher Meinungsbildung.

Der "Spiegel" widmete ihm und seinen Ratschlägen vor Bundestagswahlen obligatorisch eine Titelgeschichte. In den politischen Talkshows bei Günther Jauch, Sandra Maischberger oder Maybritt Illner war er Stammgast und Common Sense, zu schweigen, während er sprach.

Schmidt schrieb Bücher, die Bestseller wurden. Und immer dann, wenn die SPD um Wählergunst rang, war es hilfreich, ihn in TV-Interviews zu platzieren.

Neben all dem politischen Kalkül zeichnete ihn dabei eine Nähe zu den Bedürfnissen der Bürger und seine Fürsorge um Deutschland aus.

Das kam an, parteiübergreifend. Flüchtlingskrise, Rechtsruck, die Rückkehr zum Nationalismus - die Bundesrepublik erlebt unruhige Zeiten.

In Tagen, in denen das Ansehen des Amtes des Regierungschefs leidet, dürften sich die Deutschen umso mehr nach Helmut Schmidt sehnen. Sie haben ihm viel zu verdanken.

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