Sandra Maischberger blickt zurück und fragt: Welche Lehren müssen wir aus 2015 ziehen? Ein "Quartett der Querdenker" war angekündigt. Was der Titel versprach, konnte die Runde jedoch nicht einhalten.

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Sandra Maischberger will mit einem "großartigen Quartett der Querdenker" – über das Jahr sprechen, "in dem die Spaßgesellschaft an ihre Grenzen gekommen ist". Jenes Quartett bilden der ehemalige Bundesminister Heiner Geißler (CDU), Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, Publizistin und Feministin Alice Schwarzer – sowie: Thomas Gottschalk.

"Love and Peace und was weiß ich"

"Manche fragen sich vielleicht, warum Sie hier sind", sagt Maischberger sogleich zum Fernsehmoderator – und hat damit Recht. Ihre Begründung: Seine Biografie sei erschienen, er rede mit Philosophen wie Peter Sloterdijk und er habe den Rentenbescheid bekommen.

Wenn das keine triftigen Gründe sind, sich als "unpolitischer Mensch" (so seine Selbstbeschreibung) in einer politischen Talkrunde über die wesentlichen Probleme Deutschlands zu äußern. "Ich habe immer versucht, Positionen zu vermeiden", erklärt Gottschalk. Um nicht einen Teil seines Publikums zu verlieren. Mittlerweile beschleiche ihn jedoch das Gefühl, er müsse seine Fahne, auf der "Love and Peace" stehe, einrollen.

Heiner Geißler will bis heute daran glauben, an "Love and Peace und was weiß ich". Zur Flüchtlingskrise sagt er: Jetzt habe die Globalisierung uns eingeholt, nur eben umgekehrt. "Jetzt kommen die plötzlich zu uns, aus Gründen, die wir selbst verursacht haben."

Die Zahl der Flüchtlinge lässt den völlig gelassenen Mann noch lange nicht aufgeregt werden. Ganz anders der Terror, diese "gefährliche Kombination aus arabischem Nationalismus und Religion". Geißler glaubt, "man kann nichts anderes machen, als den Versuch zu unternehmen, den IS militärisch zu besiegen".

Da schreitet Alice Schwarzer ein: "Bei allen Bombenangriffen sind grundsätzlich 70 bis 80 Prozent der Opfer Zivilisten." Sie betrachtet die Flüchtlingssituation wesentlich kritischer als der CDU-Mann: "Nicht alle netten jungen Männer, die da kommen, tragen den Feminismus unter dem Arm."

Daniel Cohn-Bendit blickt nicht nur zurück, sondern auch nach vorn: "In den nächsten Jahren müssen wir viel Geld auf den Tisch legen." Es brauche einen Integrations- und Investitionsplan. Es genüge nicht zu sagen, "wir wollen Gutmenschen sein". "Man muss materiell die Bedingungen schaffen, damit man das schafft."

Gottschalk: "Im Osten fehlt es an Empathie"

"Kann man noch unschuldig glauben?", will Sandra Maischberger von ihren Gästen wissen. Thomas Gottschalk, gläubiger Katholik, zieht – ziemlich naiv – den Osten Deutschlands heran, "wo es in der Tat im Moment ein bisschen an Empathie fehlt". In der DDR sei das Christentum nicht richtig verankert gewesen. Schnell kommt berechtigter Gegenwind aus der Runde: "Wie erklärst du dann den Hass der Polen? Und der Ungarn?". Mit katholischer Nächstenliebe habe der Neunationalismus in diesen Ländern doch wenig zu tun.

Der Rückblick aufs Jahr 2015 führt die Diskussionsrunde an den rechten Rand: "Wir neigen in diesem Land wieder mehr denn je zu Denkverboten", kritisiert Alice Schwarzer. Sie sei dafür, in aller Schärfe gegen Radikale rechts und links vorzugehen. Aber: "Wir dürfen nicht die Leute, die Ängste und vielleicht auch Vorurteile haben, aber mit denen man reden kann, ignorieren."

Denn wenn die nicht wüssten wohin, treibe man sie damit möglicherweise auch an den rechten Rand. "Ich finde, dass man denen nicht nachlaufen muss, wenn sie falsche Fragen aufgrund ihrer Ängste stellen", sagt Cohn-Bendit: Niemand sei bedroht, weil Flüchtlinge kämen.

"Gewaltiger Bogen von Pegida zu 'Wetten, dass..?'"

Er zieht Parallelen zu den Ängsten mancher Katholiken in der "Ehe für alle"-Debatte: "Die nehmen euch Katholiken überhaupt nichts weg." Duz-Freundin Alice Schwarzer geht nicht konform: "Aber Daniel, es macht wenig Sinn, den Leuten zu verbieten, Ängste zu haben."

Geißler findet, dass sich die Gesellschaft mit den Menschen am rechten Rand auseinandersetzen muss: "auf allen Ebenen und in aller Schärfe". Es gebe "keine Toleranz gegenüber demjenigen, der die Freiheit vernichten will". Und was sagt eigentlich Thomas Gottschalk dazu? Er spricht den "Kartoffel statt Döner"-Schriftzug auf einem Plakat aus dem Einspieler an, in dem es um Pegida geht und die AfD. Gottschalk rollt gedanklich die "Love and Peace"-Fahne wieder aus und fragt: "Warum geht nicht beides?"

Moderatorin Sandra Maischberger spannt zuletzt "einen gewaltigen Bogen von Pegida zu 'Wetten, dass..?'" (findet auch Gottschalk). Sie will wissen, ob seit dem Ende der Unterhaltungsshow ein gemeinsames Kaminfeuer fehle, das die Deutschen vor dem Fernseher vereint. Ein komischer Gedanke beschleicht da den Zuschauer: Sandra Maischberger will gerade hoffentlich nicht den Pegida- oder AfD-Zulauf mit dem Ende von "Wetten dass?" begründen.

Sie hatte eine durchaus diskussionsfreudige Runde eingeladen. An einem hat es dem Quartett aber immens gefehlt: am Querdenken. Die Ideen und Argumente waren nicht neu, nicht anders, als in den vielen anderen Talkrunden zuvor. Überraschend war das nicht, denn am vielversprechenden Titel der Sendung konnte der weitsichtige Zuschauer schon mit Blick auf die Gästeliste zweifeln.

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