Die Gefahr besteht angesichts der vielschichtigen Probleme der Branche, wie zum Beispiel die anspruchsvollen Limits für den Flottenverbrauch und die Absatzschwäche von E-Autos.
Wer als Automobilhersteller das Jahr 2024 einigermaßen glimpflich geschafft hat, weil er sich, wie zum Beispiel BMW-Chef Oliver Zipse, rechtzeitig um die Einhaltung seiner CO₂-Ziele gekümmert hat, ist aus dem Gröbsten längst nicht heraus. Um 15 Prozent müssen die CO₂-Flottengrenzwerte 2025 gegenüber 2021 reduziert werden, also von etwa 110 g/km auf 93,6 g/km. Das schaffen, bis auf VW und Renault mit Dacia, wohl die meisten Unternehmen. Selbst Mercedes dürfte gerade noch so durch das Zielfenster rutschen.
CO₂-Limits sinken bis 2030 drastisch
Was in der öffentlichen Diskussion gerne übersehen wird: 2030 muss dieser Wert noch einmal um 55 Prozent gegenüber 2021 unterboten werden. Dann beläuft sich also der Flottengrenzwert auf 45,9 g/km, was faktisch einem Anteil von Elektroautos von rund 55 Prozent bei der Neuzulassung entspricht. Dieses Ziel ist so ambitioniert, dass es, Stand heute, die Kraft hat, den einen oder anderen Hersteller in die Insolvenz zu treiben.
Doch bei allem Pessimismus, der in Deutschland gerade in Sachen Elektromobilität herrscht, sehen Beratungsunternehmen wie McKinsey in den rein batteriebetriebenen Fahrzeugen bis 2040 weiterhin eine der wichtigsten Schlüsseltechnologien: Die jährliche Wachstumsrate wird im Zeitfenster von 2022 bis 2040 auf plus zwölf Prozent geschätzt, bei den Batterien sogar plus 14 Prozent. Zum Vergleich: Den äußerst populären Streaming-Diensten und Videospiele werden nur elf bzw. acht Prozent Wachstum vorhergesagt.
Auch die OEMs glauben weiter an den Erfolg der Elektromobilität. VW-Konzernchef Oliver Blume im auto motor und sport-Interview (September 2024): "Insofern haben wir den Anspruch, die besten Elektromobile der Welt anzubieten." Und betont, wie unterschiedlich sie sich in den einzelnen Weltregionen gerade entwickle: "In Teilen Europas wie Frankreich und Großbritannien nimmt die E-Mobilität deutlich Fahrt auf, ebenso in China mit zuletzt erstmals mehr als 50 Prozent der Neufahrzeuge." Eine Strategie, die Ola Källenius, ebenfalls im auto motor und sport-Interview, folgt: "Wir müssen weiter in die Elektromobilität führen." Das klingt schon regelrecht beschwörend. In der Tat wird die Markteinführung des neuen CLA in der Elektroautoversion zu einer Art Nagelprobe für die Marke mit dem Stern: Akzeptiert der Kunde dieses Angebot nicht, steht das Unternehmen in Sachen E-Mobilität mit dem Rücken zur Wand. Die Risiken sind hoch, denn wer hier in Sachen Preisgestaltung und Größe einen echten Nachfolger des CLA erwartet, wird enttäuscht: Rund 50.000 Euro kostet das E-Modell, 43.000 beträgt im Moment der Einstieg in die Verbrenner-Welt des aktuellen Modells.
In Deutschland ist in diesem Jahr der Ruf nach den Verbrennern wieder laut geworden. Sie seien preisgünstiger und sichern langfristig Arbeitsplätze. Aber stimmt das? Die Unterhaltkosten werden (zunächst einmal moderat) höher: Zum Jahreswechsel steigt der CO2-Preis für Kraft- und Brennstoffe von 45 auf 55 Euro, Treibstoff verteuert sich dadurch um drei Cent. Tendenz: fossile Brennstoffe werden schrittweise teurer.
Und wenn BMW, Audi und Mercedes länger am Verbrenner festhalten – was bringt das für die Arbeitsplätze? Einfache Antwort: Nicht so viel, wie erwartet. BMW und Audi fertigen keine Verbrennungsmotoren mehr in Deutschland, Mercedes lässt den neuen Vierzylinder M252 für den CLA bei Geely in China fertigen und aufwändig nach Deutschland importieren. In Sachen Umweltbilanz aufgrund des hohen Transportaufwands kein Ruhmesblatt, im auto motor und sport-Vergleichstestschema gibt es dafür bei der Umweltbilanz Punktabzug. Und übrigens: Investitionen in die Anpassungsmaßnahmen zum Erhalt des Verbrennungsmotors müssen refinanziert werden – zum Beispiel durch Absätze im Bereich des Hybridmodells.
Die Fahrzeugproduktion ist in Deutschland seit 2013 von 5,6 auf 4,1 Millionen PKW zurückgegangen, insgesamt produzieren deutsche Autohersteller über 70 Prozent ihrer Fahrzeuge im Ausland. Den größten Teil davon in China, gefolgt von den übrigen EU-Ländern und den USA. Die Bedeutung des Standortes sinkt, generell die von Europa: Weil durch die Elektromobilität so viel Batterien eingeführt werden, könnte die EU im Jahr 2024 erstmals Nettoimporteur von Automobilteilen werden. Dazu kommt, dass Unternehmen wie VW in der Not immer mehr Partner in Asien oder den USA suchen: Beispiel SAIC im Bereich von Fahrzeugplattformen und Rivian bei der Software. Mercedes kooperiert nicht nur intensiv mit Geely, sondern im Bereich der autonomen Fahrfunktionen mit Chip-Experte Nvidia aus den USA, viele Batteriezellen stammen von CATL – im Pkw- wie im Lkw-Bereich. Während der weltweit größte Automobilzulieferer Bosch 2023 noch 61 Milliarden US-Dollar Umsatz gemacht hat, lag CATL mit 48 Milliarden bereits auf Rang 2, weit abgeschlagen Continental mit 29 Milliarden Euro. (Quelle: e-mobil BW)
Keine Frage: In Deutschland gehen viele altbekannte Hoheiten verloren, der Aktienmarkt spiegelt es mit deutlichen Kursverlusten speziell bei VW und Porsche bereits wider. "Wir haben eine Durststrecke vor uns, aber die Industrie hat die Stärke, sich zurückzukämpfen", so Moritz Kronenberger, Fondmanager von Union Investment. Recht hat er. Berechtigte Sorgen gibt es allerdings um den VW-Konzern. Kronenberger: Volkswagen werde "an die Wand fahren, wenn VW nicht schnell massive Kosten rausnimmt." (Ist die deutsche Autoindustrie noch zu retten? NZZ, 20.12.2024). © auto motor und sport
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