Dass Frauen in der Coronakrise die Gesellschaft am Laufen halten, ist statistisch belegbar: Ob im Einzelhandel, in Kindergärten, Vorschulen oder Krankenhäusern – stets stemmen Frauen mit über 70 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten den Löwenanteil.

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Nun suggeriert aber ein Internet-Meme, welches auf "Twitter", "Instagram" und "Facebook" von tausenden Nutzern geteilt wird, dass der Erfolg gegen Corona noch auf anderer Ebene weiblich ist: "COVID-19 ist überall, aber Länder mit Staatsoberhäuptern, die die Krise besser managen, scheinen etwas gemeinsam zu haben", lautet die Überschrift, die über Fotos von acht Regierungsoberhäuptern steht. Ihre Gemeinsamkeit: Sie alle sind Frauen.

Ist der Erfolg gegen Corona weiblich?

Die Frauen - Regierungschefinnen von Ländern wie Deutschland, Neuseeland, Finnland, Dänemark, Island oder Taiwan – stehen allesamt an der Spitze von Ländern, die ausgesprochen gut durch die Coronakrise kommen. "Managen weibliche Regierungschefinnen die Corona-Pandemie besser?", fragte jüngst auch das "Forbes"-Magazin und kam zu dem Schluss: "Die Leistung von Ländern mit weiblichen Staatsoberhäuptern war bislang ziemlich positiv."

"Zufall ist das wohl nicht", sagt Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia Wiesner von der Hochschule Fulda. Sie betont aber: "Wir haben keine Empirie, wie etwa eine repräsentative Studie verschiedener Regierungschefinnen, auf deren Basis wir Kausalzusammenhänge herstellen können." Die Wissenschaft spreche in diesem Fall von "anekdotischer Evidenz".

Frau mit Trumps Benehmen würde nicht gewählt

Dass vor allem in den von Frauen regierten Ländern aktuell eine Politik der ruhigen Hand zu beobachten sei, führt Wiesner darauf zurück: "Frauen müssen bestimmten Erwartungen entsprechen, um ins Amt gewählt zu werden. Diese Eigenschaften bewähren sich nun in der Krise." Die Erwartungen basierten auf den sozial konstruierten Geschlechterrollen, die für Männer und Frauen jeweils eine bestimmte Bandbreite an erlaubten Verhaltensweisen definieren.

"Eine Frau, die so auftreten würde wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro, käme als Karikatur herüber und würde gar nicht erst gewählt werden", ist sich Wiesner sicher. "Gleichzeitig werden Männer teilweise genau wegen ihres Macho-Gehabes oder sexistischer Sprüche ins Amt gewählt", so die Expertin weiter. "In der Coronakrise scheinen die Eigenschaften, für die Frauen gewählt werden, besser zu funktionieren", so Wiesner weiter.

Maßnahmen schneller ergriffen

Kollegin Prof. Dr. Barbara Holland-Cunz von der Justus-Liebig-Universität in Gießen schließt sich an: "Die Wahrnehmung von weiblichen Regierungschefinnen spielt eine bedeutende Rolle: Sie werden generell als fürsorglicher und mütterlicher wahrgenommen." Aber der Erfolg der Frauen ließe sich auch mit harten Fakten belegen: "Die weiblichen Regierungschefs haben alle sehr viel schneller gehandelt und haben rigoroser zu starken Maßnahmen gegriffen", hat Holland-Cunz beobachtet. Im Vergleich der Tage bis zum Lockdown, der Zahl der Coronatoten auf eine Million Einwohner sowie der durchgeführten Tests pro Million Einwohner schneiden die von Frauen regierten Länder besonders gut ab.

Frauen führen dialogischer

Die These, mit Frauen an der Spitze erziele man bessere Ergebnisse, kommt zu Corona-Zeiten nicht zum ersten Mal. Bereits im Zuge der Finanzkrise von 2008 legten Analysen nahe, dass Länder und Banken mit einem hohen weiblichen Führungsanteil besser durch die globale Wirtschaftskrise gekommen seien. Christine Lagarde, damalige Chefin des Internationalen Währungsfonds, sagte im "Wall Street Journal": "Wenn Lehman Brothers Lehman Sisters gewesen wäre, sähe die heutige ökonomische Krise anders aus."

Wiesner erklärt: "Aus der Unternehmensforschung wissen wir, dass Frauen in der Gesamtheit eher dialogisch führen." Sie ließen mehr Stimmen zu Wort kommen und bezögen mehr Faktoren in die Entscheidungsfindung mit ein. "Dadurch handeln sie eventuell überlegter und weniger mit spontanen Ausbrüchen", so die Politikwissenschaftlerin weiter.

Emotionspolitik in der Krise

Holland-Cunz meint: "Die weibliche Sozialisation in männer-dominierten Gesellschaften bringt bei Frauen geschlechtsspezifische Eigenschaften hervor. Dazu gehören Vorsicht, Umsicht und weniger machtverliebte Eitelkeit." Um überhaupt Regierungschef zu werden, müssten Frauen besonders durchsetzungsstark und kompetent sein. "Gleichzeitig sind bei Frauen Vorstellungen von Beherrschbarkeit überkulturell weniger stark ausgeprägt", so Holland-Cunz.

Frauen hätten die Coronakrise nicht erst heruntergespielt, wie manche männlichen Kollegen. "Die Krise hat auch emotionspolitische Anteile, hier ist Empathie ist gefragt", sagt Holland-Cunz. Ihr Einfühlungsvermögen stellte die deutsche Bundeskanzlerin mehrfach unter Beweis: "Es ist grausam, wenn außer den Pflegekräften niemand da sein kann, wenn die Kräfte schwinden und ein Leben zu Ende geht", sagte Merkel beispielsweise in ihrer Regierungsansprache am 23. April. Holland-Cunz dazu: "Bei Merkel sehen wir die Kombination aus Kompetenz, Nüchternheit und Zugewandheit. Genau das hilft beim Krisenmanagement."

Populisten gelten als Negativ-Beispiele

Noch ein weiterer Punkt ist ausschlaggebend: Die Negativ-Beispiele, die in der Pandemie-Bekämpfung immer wieder genannt werden, lauten: Amerikas Donald Trump, Großbritanniens Boris Johnson und Brasiliens Jair Bolsonaro. "Sie gelten als Populisten und sind damit ein besonderer Typus von Mann", erinnert Wiesner.

Alle drei spielten die Bedeutung der gesundheitlichen Krise zunächst herunter (Trump: "Theoretisch wird es im April, wenn es ein bisschen wärmer wird, einfach weggehen“), zeigten sich unbesiegbar (Bolsonaro: "Wenn ich mich mit dem Virus infiziere, bekomme ich nur eine kleine Grippe oder eine kleine Erkältung“) oder gaben sich größenwahnsinnig (Johnson: "Wir können das Ding in zwölf Wochen drehen"). Doch auch bei Frankreichs Präsident Emmanuel Macron läuft das Corona-Management nicht gerade blendend. Der Franzose wartete gleich mit Kriegsrhetorik auf, in Frankreich gibt es mehr als viermal so viele Corona-Tote wie in Deutschland.

Regierungen sind Teams

Bei aller Euphorie für weibliche Politik, zwei Punkte dürfen nicht vergessen werden: Nur in knapp 10 Prozent der Länder stehen Frauen an der Spitze – wissenschaftlich gesehen eine geringe Datenmenge. Außerdem gibt es auch Länder mit männlichen Staatsoberhäuptern, die gut durch die Coronakrise kommen: Schweden mit Stefan Löfven, Kanada mit Justin Trudeau oder Japan mit Shinzo Abe.

Wiesner ergänzt: "Wir müssen Regierungen auch als Teams betrachten. Wenn sie diverser besetzt sind, gibt es bessere Ergebnisse. Eine Monokultur - nur Männer, nur Frauen, nur Schwarze, nur Weiße - macht ein Team generell schlechter." Auch Kabinett und Beraterstäbe spielen somit eine wichtige Rolle.

Blick auf das Geschlecht ist zu eindimensional

"Politik von Frauen ist nicht gleich Politik von Frauen", erinnert Wiesner. Während Mette Frederiksen in Dänemark Kindergärten teilweise wieder geöffnet habe und damit für eine frauenfreundliche Politik sorge, erlebe man in Deutschland in vielen Haushalten einen Rückfall in die 50er Jahre. "Der Vater arbeitet im Homeoffice, die Mutter kümmert sich um die Kinderbetreuung. Merkels Politik ist viel konservativer", so Wiesner.

Wer also nur das Geschlecht für den Erfolg verantwortlich macht, denkt zu eindimensional. Die Länder, die sich im Kampf gegen Corona als resilienter erweisen, haben zudem weitere Stärken: etwa ein gutes Gesundheitssystem und eine niedrige finanzielle Verwundbarkeit.

Über die Expertinnen:
Prof. Dr. Barbara Holland-Cunz ist Politikwissenschaftlerin und Professorin i.R. an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Ihre Schwerpunkte liegen in der Politischen Ideengeschichte und bei Politik und Geschlecht. Holland-Cunz gehört zum Beirat der Zeitschrift Gender und war in der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft die Vorsitzende des Ständigen Ausschusses für Fragen der Frauenförderung.
Prof. Dr. Claudia Wiesner ist Jean Monnet Chair Lehrstuhlinhaberin sowie Professorin für Politikwissenschaft an der Fulda University of Applied Sciences sowie adjunct professor an der Universität Jyväskylä/Finnland. Ihre Forschungsschwerpunkte sind vergleichende Forschung zu Demokratie in der EU und ihren Mitgliedstaaten, vergleichende Forschung zu Politikinnovationen und Modellprojekten sowie Kernkonzepte der Vergleichenden Politikwissenschaft.

Verwendete Quellen:

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