• Die USA haben sich in der Corona-Pandemie vom Sorgenkind zum Musterschüler gemausert.
  • Der Grundstein für diese Entwicklung wurde noch unter Trump gelegt.
  • Epidemiologe Ralf Reintjes erklärt erklärt, was die USA richtig machen - und was das größte Problem der deutschen Impfkampagne ist.

Mehr aktuelle Informationen zum Coronavirus finden Sie hier

Den 19. April dürften sich viele Amerikaner im Kalender angestrichen haben. Von diesem Tag an sollen alle Erwachsenen in den USA das Recht auf eine Corona-Impfung haben. Diesen Schritt konnte US-Präsident Joe Biden früher verkünden als geplant.

Die USA vermelden derzeit rasante Fortschritte bei ihrer Impfkampagne: Von den US-Bürgern waren am Freitag rund 34 Prozent mindestens einmal gegen das Coronavirus geimpft, in Deutschland lag die Quote bei rund 15 Prozent. Die USA sind in der Pandemie vom Sorgenkind zum Musterschüler geworden. Wie ist ihnen das gelungen? Ein Rückblick.

Frühling 2020: Frühe Zuschüsse für Impfstoff-Entwicklung

Der damalige US-Präsident Donald Trump setzt schon zu Beginn der Pandemie alles auf die Entwicklung von Impfstoffen: Am 30. März 2020 gibt das US-Gesundheitsministerium bekannt, den Hersteller Johnson&Johnson mit 456 Millionen Dollar zu unterstützen. Im April und Mai folgen Zuschüsse für Moderna (483 Millionen Dollar) und Astrazeneca (1,2 Milliarden Dollar).

Zu dieser Zeit ist noch unklar, ob und wie schnell sich Impfstoffe überhaupt entwickeln lassen. Die Trump-Administration geht aber ins Risiko und verkündet am 12. Mai 2020 die "Operation Warp Speed", benannt nach der Über-Lichtgeschwindigkeit des Raumschiff Enterprise: 10 Milliarden Dollar stellt der US-Kongress für die Entwicklung und Produktion von Vakzinen zur Verfügung und arbeitet dafür mit der Privatwirtschaft eng zusammen.

Die deutsche Bundesregierung wiederum pumpt ab Juni 2020 Geld in die Impfstoffproduktion: Sie beteiligt sich mit 300 Millionen Euro am Tübinger Unternehmen Curevac. Es gilt damals als aussichtsreicher Kandidat, wird später aber von Konkurrenten überholt. Im September 2020 gibt der Bund nochmal eine Förderung in Höhe von insgesamt 750 Millionen Euro für die Impfstoffherstellung bekannt. Davon profitiert auch das Mainzer Unternehmen Biontech.

Sommer 2020: Bei Bestellung "alles auf eine Karte gesetzt"

Die Amerikaner stehen bei der Pandemie-Bekämpfung zunächst sehr schlecht dar: Trump spielt die Gefahr herunter, währenddessen fordert das Coronavirus in keinem anderen Land so viele Todesfälle. Auch deswegen ist der Handlungsdruck groß.

"Die Amerikaner waren schlecht auf diese Pandemie vorbereitet", sagt Ralf Reintjes, Professor für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. "Sie haben dann aber alles auf eine Karte gesetzt und frühzeitig viel Impfstoff bestellt – vor allem von Firmen mit amerikanischem Fokus", so Reintjes im Gespräch mit unserer Redaktion.

Schon am 22. Juli 2020 sichert die Trump-Regierung Pfizer und Biontech den Kauf von bis zu 600 Millionen Impfdosen zu. Biontech ist zwar ein deutsches Unternehmen, kooperiert aber mit dem New Yorker Pharmariesen Pfizer. Wohlgemerkt haben die beiden Firmen zu diesem Zeitpunkt nur einen Kandidaten im Angebot, der noch in der Entwicklung ist.

Die Amerikaner verschaffen sich mit der frühen Bestellung aber einen Vorsprung vor den Europäern: Die EU-Kommission einigt sich erst im November, also rund vier Monate später, auf eine Bestellung von zunächst bis zu 300 Millionen Dosen von Pfizer und Biontech.

Dezember 2020: Bei Zulassungen sind die USA einen Schritt voraus

Am 9. November 2020 – sechs Tage nach der Abwahl von Donald Trump – geben Biontech und Pfizer bekannt, dass ihr Impfstoff zu 90 Prozent wirksam ist. Sie beantragen eine Notfallzulassung bei der US-Arzneimittelbehörde FDA. Am 30. November folgt der US-Hersteller Moderna.

"Bei einer Notfallzulassung übernehmen staatliche Stelle die Haftung für den Fall, dass Impfreaktionen auftreten", erklärt Epidemiologe Reintjes. Das sei für die Hersteller attraktiv – und es ermögliche den USA, die eigene Impfkampagne vor anderen Ländern zu starten.

Am 11. Dezember erteilt die FDA dem Biontech/Pfizer-Impfstoff die Notfallzulassung, am 18. Dezember auch dem Projekt von Moderna. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA lehnt eine Notfallzulassung dagegen ab. Deswegen fällt die Entscheidung dort etwas später: Am 21. Dezember gibt die EMA mit einer bedingten Zulassung grünes Licht.

2021: Impfen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten

Kurz vor dem Jahreswechsel starten die Impfkampagnen auch in der EU. Doch wie Großbritannien und Israel kommen die Amerikaner deutlich schneller voran. Sie profitieren davon, dass sie früh Impfstoffe bestellt haben. Im Gegensatz zu den europäischen Ländern.

"Das zentrale Problem für die Impfkampagne in Deutschland besteht darin, dass zu wenig Impfstoff auf dem Markt ist", sagt Ralf Reintjes. Allerdings liegt das auch daran, dass Europa 46 Prozent der auf dem Kontinent hergestellten Impfstoffe exportiert. Die Amerikaner zeigen sich weniger solidarisch und behalten bisher die komplette US-Produktion für sich.

In Deutschland steht auch der Föderalismus in der Kritik: Verhindert ein Kompetenz-Wirrwarr schnelle Fortschritte beim Impfen? Ralf Reintjes glaubt das nicht. Schließlich haben auch die USA eine föderale Staatsstruktur – trotzdem läuft die Kampagne in Amerika auf Hochtouren.

Unter dem neuen Präsidenten Joe Biden hat sich auch die Zusammenarbeit mit den Bundesstaaten verbessert. Geimpft wird in manchen Zentren wortwörtlich rund um die Uhr. Die Spritzen dürfen auch Tiermediziner, Medizin-Studierende oder Sanitäter setzen. Auch die Nationalgarde hilft bei der Organisation.

So werden in den USA bis zu 3,5 Millionen Dosen pro Tag verimpft. "Das sind wirklich sehr beeindruckende Zahlen", sagt Ralf Reintjes. "Die Amerikaner sind sehr pragmatisch vorgegangen und nutzen viele Möglichkeiten, um Menschen zu impfen. Die Kampagne läuft dort vielleicht etwas weniger systematisch und weniger durchdacht ab als in deutschen Impfzentren. Aber die USA laufen damit ihren Zielvorgaben voraus."

In Deutschland dagegen sieht der Epidemiologe beim Impftempo noch deutlich Luft nach oben. Immerhin hofft er wie andere Expertinnen und Experten auf einen Schub, nachdem nun auch die Arztpraxen in die Impfungen eingestiegen sind: "Am wichtigsten ist es jetzt, den niedergelassenen Ärzten genügend Impfstoff und Möglichkeiten an die Hand zu geben, um voranzukommen."

Über den Experten:
Ralf Reintjes ist Professor für Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Er forscht unter anderem zu Infektionskrankheiten und Gesundheitssystemen.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Ralf Reintjes, HAW Hamburg
  • Deutsche Presse-Agentur (dpa)
  • U.S. Department of Health and Human Services: Explaining Operation Warp Speed
  • Robert-Koch-Institut: Digitales Impfquotenmonitoring zur Covid-19-Impfung
  • Centers for Disease Control and Prevention: COVID-19 Vaccinations in the United States
  • Bundesregierung.de: Impfstoff-Förderung angelaufen
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.