Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat "falsch verstandenen Korpsgeist" in der Bundeswehr und "Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen" kritisiert. Wie ein Bumerang kam die Kritik zurück. Auch der Sprecher des Arbeitskreises kritischer Soldaten sagt: Die Ministerin trägt eine Mitverantwortung für die Skandale in der Truppe.
Herr Kling, ist der Eindruck richtig, dass sich die Skandale in der Bundeswehr in den vergangenen Jahren gehäuft haben?
Florian Kling: Das kann ich nicht ausmachen. Ich glaube, die Fälle waren noch viel zahlreicher, als die Bundeswehr noch eine Wehrpflichtarmee war (bis 2011; Anm. d. Red.), weil unter den Wehrpflichtigen viele junge Menschen rekrutiert wurden, die in sich nicht gefestigt waren und die sich viel mehr erlaubt haben.
Hängen die Verfehlungen zusammen?
Kling: In sich hat das Ganze nicht direkt etwas miteinander zu tun. Es gibt da keine Verbindung von rechtsextremistischen Vorfällen zu Misshandlungen oder Mobbing während der Ausbildung. Aber bei den Ursachen gibt es durchaus einen gemeinsamen Ausgangspunkt.
Welchen denn?
Kling: Junge Menschen, junge Soldaten haben eindeutig Rechtsbrüche begangen und sie waren sich ihrer Verfehlungen offenbar gar nicht bewusst. Zudem wurden viele Fälle nicht von der Bundeswehr geahndet. Die Ursachen dafür liegen tiefer, das kommt jetzt nicht ganz plötzlich.
Welche Ursachen sehen Sie?
Kling: Die Bundesverteidigungsministerin trägt eine Mitverantwortung, indem sie solche Strukturen und die Atmosphäre geschaffen hat, in der so etwas potenziell möglich ist.
Von der
Es hilft nicht, Leute wie den Chef-Ausbilder des Heeres, Walter Spindler, ohne Nennung von Gründen einfach rauszuschmeißen. Vorgesetzte müssen auch die Chance bekommen, aufzuklären und zu ermitteln, bevor sie ihre Soldaten aus der Bundeswehr werfen.
So kann keine normale Führungskultur entstehen. Es braucht ein Vertrauensverhältnis zu den Vorgesetzten – auf der obersten Ebene und auf der untersten.
Der vor einer Woche aufgeflogene Bundeswehr-Offizier Franco A. soll als getarnter syrischer Flüchtling Terroranschläge geplant haben. In Wahrheit war er offenbar Rechtsextremist. Hat die Truppe ein Problem mit rechten Soldaten?
Kling: Eindeutig ist, dass so etwas in der Bundeswehr immer wieder vorkommt. Das hat sich sicherlich nicht verbessert seit Ende der Wehrpflicht. Da hat die Ministerin völlig Recht, wenn sie das anspricht.
Der jetzige Vorfall könnte auch ein Anlass sein, das Problem noch einmal genau zu untersuchen – was die Bundeswehr in der Vergangenheit übrigens schon gemacht hat.
Halten Sie es für möglich, dass es sogar ein rechtsextremes Netzwerk gibt?
Kling: Es gibt noch keine Beweise dafür, das müssen die Ermittlungen im Fall Franco A. zeigen. Aber ein organisiertes Netzwerk wie der NSU (Nationalsozialistischer Untergrund; Anm. d. Red.) in der Bundeswehr – das kann eigentlich nicht sein.
Dafür sind die Sensoren in der Truppe zu sensibel. Dafür wird von den Vorgesetzten zu oft deutlich gemacht, dass es null Toleranz gegen Rechtsextremismus gibt.
Allerdings können Freundeskreise außerhalb der Kasernentore durchaus Netzwerke bilden. Das ist gut möglich.
Eine Berufsarmee ist auf jeden Soldaten angewiesen. Wird bei rechten Anwärtern schon mal ein Auge zugedrückt?
Kling: Obwohl ich Bundeswehrkritiker bin, muss ich da klar "nein" sagen. Dafür hätten die Vorgesetzten viel zu viel Sorge um die eigene Karriere, als dass sie rechte Umtriebe dulden würden. Das Problem ist: Seit dem Wegfall der Wehrpflicht haben wir diese Filterfunktion nicht mehr.
Was bedeutet das?
Kling: Früher hatten Soldaten den Grundwehrdienst und waren nah am Vorgesetzten. Wenn eine politische fragwürdige Gesinnung festgestellt wurde, war eine Karriere als Berufssoldat praktisch ausgeschlossen.
Heute müssen es Anwärter nur durch das Assessment-Center der Bundeswehr schaffen, dann bekommen sie einen Vertrag für mehrere Jahre. Wenn sie noch keine Straftaten begangen haben und sich unauffällig verhalten, bekommt der militärische Geheimdienst von ihrer Gesinnung nie etwas mit.
Das liegt aber nicht per se an der Abschaffung der Wehrpflicht, sondern daran, dass man danach nicht die richtigen Konsequenzen gezogen hat. Die politische Bildung der Soldaten und die Stärkung ihres demokratischen Selbstverständnisses hatten in den vergangenen Jahren keine Priorität.
Sie sind selbst Soldat. Gibt es einen "falsch verstandenen Korpsgeist", wie von der Leyen behauptet?
Kling: Das mag im Fall Franco A. eine Rolle spielen. Nehmen Sie dessen deutsch-französische Brigade. Das sind Infanteristen. Hier gibt es teilweise Soldaten, die daraus einen elitären Anspruch ableiten.
Auch bei den Skandalen in Bad Reichenhall und Pfullendorf handelte es sich um eine selbst wahrgenommene Elite. Wenn Vorgesetzte keine Vorbilder sind und nicht einschreiten, gibt es immer wieder Soldaten, die empfänglich für falsch verstandene Traditionen sind, etwa den Heldenkult der Wehrmacht.
Begünstigt der elitäre Anspruch die Vertuschung von Skandalen?
Kling: Das glaube ich nicht. Die Vorgesetzten dort sind auch eher stromlinienförmige Karrieristen, die sich aus Angst um ihre Laufbahn keinen Fehler erlauben wollen. Eher melden sie Probleme nach oben, damit sie selbst keine Probleme bekommen.
Der Bundeswehrverband, der Wehrbeauftragte des Bundestages und der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion haben von der Leyen nach ihren Äußerungen scharf kritisiert. Warum kommt ihre Schelte dort so schlecht an?
Kling: Wer von oben nach unten pauschal Kritik an der Führung der Bundeswehr übt, dabei aber nicht selbst in den Spiegel sieht und versteht, dass Führung ganz oben anfängt, der hat natürlich ein Problem.
Frau von der Leyen hätte in über drei Jahren im Amt etwas ändern können an dieser Kultur. Hat sie aber nicht.
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