• Die Europäische Zentralbank (EZB) will nach zehn Jahren erstmals die Leitzinsen im Euroraum erhöhen.
  • Der Schritt war für viele Experten überfällig.
  • Doch Sparer und Verbraucher sollten sich nicht zu früh freuen. Die wichtigsten Fragen.

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Genau 101 Ratssitzungen und gut zehn Jahre ist es her, dass die EZB zuletzt eine Erhöhung der Leitzinsen im Euroraum beschlossen hat – am Donnerstagnachmittag war es wieder so weit. Wie EZB-Chefin Christine Lagarde in Amsterdam verkündete, wollen die Währungshüter als Reaktion auf die steigende Inflation am 21. Juli die Leitzinsen um einen Viertel-Prozentpunkt erhöhen. Im September soll ein weiterer Schritt folgen.

Was hat die EZB entschieden?

Konkret bedeutet die Entscheidung, dass die drei wesentlichen Zinssätze in der Eurozone steigen werden. Also auch der Leitzinssatz, zu dem sich Geschäftsbanken bei der EZB Geld leihen - er liegt aktuell bei 0,0 Prozent. Gleiches gilt für den Einlagezins, zu dem die Banken ihr Geld bei der EZB parken und der aktuell bei minus 0,5 Prozent liegt. Schließlich legt auch der Spitzenrefinanzierungszinssatz zu, zu dem sich Geschäftsbanken über Nacht bei der EZB Geld leihen (aktueller Wert: 0,25 Prozent).

Die EZB-Chefin hat auch angekündigt, dass die EZB zum Monatsende die milliardenschweren Anleihekäufe beenden wird, mit denen sie seit Jahren die Zinsen drückt und so Ländern, Unternehmen und Bürgern die Aufnahme neuer Schulden erleichtert.

Warum will die EZB die Leitzinsen erhöhen?

Christine Lagarde versuchte in Amsterdam erst gar nicht, das Hauptproblem, das die Währungshüter derzeit umtreibt, schönzureden. "Die Teuerung ist unerwünscht hoch, wir werden sicherstellen, dass sie wieder auf das mittelfristige Ziel von zwei Prozent zurückgeht", versicherte Lagarde. Damit sprach sie jedoch nur eines von zwei ökonomischen Phänomenen an, das sich derzeit beobachten lässt und das zu einem echten Dilemma für die EZB-Ökonomen führt.

Das eine ist die von Lagarde angesprochene Inflation. Sie ist vor allem durch die Auswirkungen der beiden Großkrisen Ukraine und Coronavirus induziert und sorgt für Teuerungen an Zapfsäule, im Supermarkt oder im Reisebüro, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hat.

Für dieses und die beiden kommenden Jahre rechnen die EZB-Ökonomen vorerst weiterhin mit Teuerungsraten, die weit über dem Zwei-Prozenz-Ziel liegen dürften, die die EZB offiziell anstrebt. In Frankfurt, wo die EZB ihren Hauptsitz hat, ist man also gezwungen zu handeln. Über eine Reduzierung der Geldmenge die Inflation zu bekämpfen, ist daher eine Sofortmaßnahme, von der nicht sicher ist, wie stark und vor allem wie schnell sie wirkt.

Das sind die Gefahren der EZB-Entscheidungen

Gleichzeitig birgt das Gegensteuern der EZB auch Gefahren für die fragile Erholung der Euro-Wirtschaft, die durch den Krieg in der Ukraine abermals ins Stocken geraten ist. Für das laufende Jahr sagen die EZB-Volkswirte nur noch eine Wachstum von 2,8 Prozent für die Währungsunion voraus. Noch im März hatten sie ein Plus von 3,7 Prozent prognostiziert. Für 2023 rechnen sie nun mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2,1 (bisher: 2,8) Prozent. Für 2024 werden ebenfalls 2,1 (bisher: 1,6) Prozent erwartet.

Auf diesen Umstand muss Lagarde Rücksicht nehmen, denn ein zu abruptes Anheben der Zinssätze birgt das Risiko, die Wirtschaft abzuwürgen, weil Unternehmen schwerer an Kredite kommen und Länder unter einem höheren Schuldendienst ächzen. Deswegen erhöht die EZB nicht jetzt schon die Zinsen, sondern erst im Juli – und das auch noch zaghaft.

In Frankfurt ist man daher gezwungen, einen echten Eiertanz zu vollführen: Einerseits muss die EZB endlich und ernsthaft mit Zinserhöhungen die Inflation bekämpfen, andererseits darf sie nicht die fragile Euro-Wirtschaft in die Rezession treiben.

Ein drittes Risiko besteht außerdem darin, dass die Signalwirkung, die jede Zinsentscheidung der EZB hat, diesmal verpuffen könnte. Denn das Vertrauen in die Währungshüter ist mehr als angeschlagen. Viel zu lange und viel zu niedrig hatte man die Teuerung eingeschätzt, was die Frage aufwirft, ob sich die EZB-Tüftler bei ihren nächsten Prognosen wieder verrechnen. "Wir tun, was wir können", lautete Lagardes etwas hilflose Antwort auf diese Frage.

Was bedeutet die Entscheidung für Verbraucher und Sparer?

Großen Einfluss auf die Verbraucherpreise dürfte die EZB-Entscheidung zumindest kurzfristig nicht haben. Zum einen liegt die Teuerung nicht nur an der Geldpolitik, sondern ist vor allem mit harten ökonomischen Einflussfaktoren begründet: In China etwa stapeln sich aufgrund verschiedener Lockdowns seit Wochen die Container an den großen Frachtumschlagspunkten. Deshalb trifft ein zu geringes Angebot auf eine ungebremste Konsumentennachfrage, was die Preise treibt.

Dazu kommt das Zocken mit Rohstoffen und Nahrungsmitteln durch den Krieg in der Ukraine. Geldpolitisch ist die Maßnahme der EZB ohnehin nicht viel mehr als Homöopathie, was sich schon an einem einfachen Rechenbeispiel zeigt:

Selbst wenn die Notenbanker den Leitzins bis Mitte nächsten Jahres von aktuell null auf dann zwei Prozent und den Einlagensatz von aktuell minus 0,5 auf dann 1,5 Prozent anheben sollten (was längst nicht ausgemacht ist), lägen die Realzinsen im nächsten Jahr weiterhin im negativen Bereich.

Auch auf Sparer hat die aktuelle Entscheidung noch keinen großen Einfluss. Dass der Leitzins nun wieder in den positiven Bereich rutscht, hat vor allem Einfluss auf die Kreditvergabe. Der Grund: Dieser Zins legt fest, zu welchen Konditionen sich Geschäftsbanken Geld bei der Notenbank leihen können, und diese wiederum in Form von Krediten an Verbraucher und Unternehmen weitergeben.

Erst wenn die EZB vermutlich im September den Einlagezins ebenfalls in den positiven Bereich bringt, könnten zumindest die sogenannten Verwahrentgelte wegfallen. Diese verlangen viele Geschäftsbanken derzeit von ihren Kunden, weil die Banken für jeden Cent Strafzinsen zahlen müssen, den sie bei der EZB lagern.

Dennoch gilt zu beachten: Wegen der zurzeit hohen Inflation bleibt den Sparern real gerechnet noch weniger Ertrag als früher.

Was bedeutet die Entscheidung für Anleger?

Die Entwicklung von Aktien oder Anleihen lediglich an Leitzinsen festzumachen, greift zu kurz. Dafür hängen Märkte und einzelne Anlageklassen von zu vielen Variablen ab. Es lassen sich jedoch Trends ableiten. So werden durch die Anhöhung der Leitzinsen Anleihen relativ zu Aktien attraktiver, weil die Renditen steigen, wie eine Statistik der Deutschen Bundesbank zeigt. So wirft die Bundesanleihe mit zehnjähriger Laufzeit aktuell deutlich mehr als ein Prozent Rendite ab, während diese im vergangenen Jahr noch unter null lag.

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Auf Aktien wirken sich steigende Anleiherenditen hingegen tendenziell negativ aus, weil Anleger in die als sicherer geltenden Zinspapiere umschichten. Insbesondere Papiere, die vor allem von Zukunftshoffnungen getrieben werden, verlieren bei steigenden Zinsen kalkulatorisch an Wert. Das kann sich auch auf den realen Kurs auswirken. Abseits des EZB-Entscheids gilt es zu beachten, dass in Zeiten hoher Inflation Aktien als die besseren Wertpapiere gelten, weil die Teuerungsraten auch die Umsätze und Gewinne der Unternehmen aufblasen.

Wie kommentieren Experten den Entscheid?

Viele Experten kritisieren, dass die Entscheidung der EZB zu spät komme. So kommentierte Clemens Fuest, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo), die Entscheidung zwar als "richtigen Schritt". Er sagte jedoch auch, es sei nicht akzeptabel gewesen, dass die EZB bei einer Inflation von acht Prozent bis heute an Negativzinsen und Anleihenkäufen festgehalten habe. "Die Preissteigerungen betreffen nicht nur Energie und Lebensmittel, sie gewinnen an Breite", erklärte Fuest.

Auch Stefan Kooths, Konjunkturchef des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) Kiel, mahnte an, die EZB müsse dringend weitere Schritte unternehmen, um die Geldpolitik zu normalisieren, denn ihre Glaubwürdigkeit stehe auf dem Spiel. "Dass die EZB von einer Zinsanhebung abgesehen hat und diese erst für die nächsten Monate ankündigt, erhöht die geldpolitischen Risiken unnötig." Die verkündeten Schritte seien ein überfälliger Anfang, "aber eben auch nur das".

Auch Vertreter der deutschen Wirtschaft halten das Vorgehen der EZB für zu zögerlich. "Zu wenig und zu spät", sagte etwa der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Dirk Jandura, der Nachrichtenagentur Reuters zu der angekündigten Zinswende. "Anstelle der notwendigen, deutlichen und schnellen Zinserhöhung, läuft die EZB der Zinsentwicklung weiter hinterher". Zudem schade die zögerliche Entscheidung dem Euro. Je später und je sachter die ersten Zinsschritte werden, umso heftiger werde die dann nötige Korrektur ausfallen müssen.

Rückenwind gab es hingegen vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) – die Schritte gingen in die richtige Richtung. Die EZB könne zwar mit ihrem Handeln nicht die importierten Inflationstreiber in Form der dramatisch gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise komplett einfangen. "Jedoch würde ohne Zinswende der Euro gegenüber dem Dollar noch schwächer werden", sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier der Nachrichtenagentur Reuters. "Dann würde importiere Energie sogar noch teurer werden als ohnehin schon.

Verwendete Quellen:

  • European Central Bank – President Lagarde’s Press Briefing (9. Juni 2022)
  • ifo-Institut – "Fuest: EZB kommt zu spät"
  • IfW Kiel – "EZB-Entscheidung erhöht geldpolitische Risiken unnötig"
  • Deutsche Bundesbank – "Tägliche Renditen der jeweils jüngsten Bundeswertpapiere"
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