Das Oktoberfest 2020 in München fällt aus. Auf der Theresienwiese droht sogar ein Alkoholverbot aus Angst vor einem Corona-Hotspot. Alternativprogramme sollen die Menschen anlocken, doch Ärzte sind skeptisch.
Weiß-blauer Himmel, Sonne: Perfektes Wiesn-Wetter ist angesagt für den kommenden Samstag. Um Punkt 12:00 Uhr hätte am 19. September der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) das erste Fass Bier mutmaßlich mit zwei Schlägen angezapft und das größte Volksfest der Welt eröffnet.
Doch auf der Theresienwiese heißt es Testzelt statt Festzelt. Wo sonst Millionen Liter Bier fließen, lassen sich derzeit Menschen auf das Coronavirus testen.
Zum ursprünglich geplanten Wiesn-Start könnte es ausgerechnet dort sogar ein Alkoholverbot geben, um private Ersatzpartys mit hohem Infektionsrisiko zu verhindern. Erstmals seit 70 Jahren ist das Münchner Oktoberfest abgesagt - eine historische Entscheidung.
Reiter: "Ein Herbst ohne Wiesn - da fehlt einfach etwas"
"Ein Herbst ohne Wiesn - da fehlt einfach etwas", sagt Reiter. Am Samstag hätte er Ministerpräsident
Stattdessen aber waren die beiden im April gemeinsam vor die Presse getreten, um die Entscheidung zur Absage der Wiesn zu verkünden. "Es tut uns weh", sagte Söder damals. Reiter sprach von einem traurigen Tag und einem emotional schwierigen Moment.
Trotzdem wird es am Samstag in München dutzendfach heißen: "O'zapft is". "WirthausWiesn" heißt die Alternative zum geplatzten Volksfest, mit der mehr als 50 Wirte bis zum 4. Oktober Wiesn-Stimmung schaffen wollen.
"Für uns ist die Wiesn kein Ort und keine Veranstaltung. Die Wiesn ist ein tiefes, in uns verankertes Lebensgefühl", sagt der Sprecher der Innenstadtwirte, Gregor Lemke.
Es scheint ein wenig die Stunde der Ehemaligen zu sein: Alt-OB Christian Ude (SPD), der 2014 das Amt und damit das Anzapf-Ritual an Reiter abgab, sticht im Bahnhofsviertel an; Ex-Wirtschaftsreferent und Ex-Wiesnchef Josef Schmid (CSU) zapft im Augustiner am Platzl an.
Brauereien haben viele Millionen Liter trotz Oktoberfest-Absage gebraut
Die "WirtshausWiesn" will an die Hochzeit von Kronprinz Ludwig mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen 1810 als Ursprung der Wiesn anknüpfen. Auf der nach der Braut benannten Theresienwiese fand ein Pferderennen statt, zum Essen und Trinken gab es aber nichts.
Der König habe die Untertanen deshalb in die Wirtshäuser eingeladen. Das sei vielleicht auch eine Idee für "König Markus", meint Lemke in Anspielung auf den bayerischen Regierungschef Söder.
Wiesnbier fließt schon seit Wochen - meistens "dahoam": Die Brauereien haben viele Millionen Liter trotz der Absage gebraut - der Gerstensaft fand teils besseren Absatz als sonst. Passend gibt es den originalen Wiesn-Maßkrug, sinnreich beworben als "Koa Wiesn-Krug".
Ebenfalls seit Wochen drehen auf verschiedenen Plätzen Karussells ihre Runden. Am Königsplatz ermöglicht ein Riesenrad den Blick über die Stadt, ein 90 Meter hohes Kettenkarussell kreist am Olympiagelände. Es gibt Schießbuden, Trachtenstände, Zuckerwatte und Lebkuchenherzen - "Sommer in der Stadt" heißt das Alternativ-Programm.
Beim "Trachtival" lockt die Kult-Achterbahn "Wilde Maus". Statt auf der Wiesn drehen die Ochsen "Max" oder "Paul" nun am Chinesischen Turm im Englischen Garten am Grill, am Samstag zum Anstich gibt es Ochsenfleisch auch im legendären Hofbräuhaus.
"Sommer in der Stadt" soll Verlust etwas kompensieren
Für Schausteller, Wirte und Budenbesitzer bringt das zumindest etwas Verdienst. Auch Hotels, Gaststätten, Taxifahrer und Einzelhändler verpassen Einnahmen.
Die Wiesn 2019 hatte laut Stadt einen Wirtschaftswert von rund 1,23 Milliarden Euro - sechs Millionen Gäste aus aller Welt kommen sonst zur Wiesn. Volle Fahrgeschäfte, überfüllte Zelte - das Fest wäre ein Mega-Infektionsherd geworden. Schon sonst grassierte regelmäßig die sogenannte Wiesngrippe.
Ärzte sehen die Wiesn-Alternativen bei steigenden Corona-Zahlen mit Skepsis. Bei Einhaltung der Hygieneregeln sei das Risiko einschätzbar, sagt Bernd Zwißler von der Klinik für Anästhesiologie am Klinikum der Universität München.
Das Ideal zur Vermeidung der Krankheitsübertragung sei es, sich nicht zu treffen. Derartige Veranstaltungen komplett zu verbieten, sei aber weder gesellschaftlich akzeptiert noch verhältnismäßig.
Arzt: "Dieses Jahr heißt es für uns alle, Opfer zu bringen"
"Angesichts steigender Zahlen an Neuinfektionen mit COVID-19 sehe ich eine 'Wiesn light' eher skeptisch bis sorgenvoll", sagt der Chefarzt der Klinik für Infektiologie in der München Klinik Schwabing, Clemens Wendtner. Eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 40 Fällen auf 100.000 Einwohner spreche "bei allem Verständnis für dieses Traditionsfest" gegen solche Events.
Zusammenkünfte unter freiem Himmel mit begrenzter Personenzahl seien unter Beachtung der Corona-Regeln prinzipiell vorstellbar, sagt Wendtner. Die Realität zeige aber: "Aus kleinen Versammlungen, nicht zuletzt mit verstärktem Alkoholkonsum, können leicht wieder Superspreader-Events werden, die uns alle in unserem Kampf gegen das Virus zurückwerfen." Ein einziger Infizierter könne eine ganze Infektionskette in Gang setzen.
Deshalb meint Wendtner: "Dieses Jahr heißt es für uns alle, Opfer zu bringen und das große Ganze, nämlich die Kontrolle der Pandemie, nicht aus dem Auge zu verlieren. Die nächste 'gscheite Wiesn' kommt bestimmt, wenn wir das Virus nicht mehr im Nacken haben, hoffentlich nächstes Jahr."
Es wird befürchtet, dass Oktoberfestfans eine "wilde Wiesn" feiern könnten
Was am Samstag auf der Theresienwiese als originärem Ort des Volksfestes passiert, ist offen. Nur ein paar Buden stehen auf der Fläche, die mit trockenen Grasbüscheln und Schotter eher eine Steppe als Wiese ist.
Gerade dort wollte man keine Fahrgeschäfte. Als Wiesn-Alternative wollen Klimaschützer dort demonstrieren, zugleich ist aber neben dem Alkoholverbot sogar ein Betretungsverbot im Gespräch: Befürchtet wird, dass Oktoberfestfans eine "wilde Wiesn" feiern könnten - mit großem Infektionsrisiko.
"Wenn jemand Wiesnflair haben möchte, bieten sich zahlreiche schöne Gelegenheiten", mahnt Kreisverwaltungsreferent Thomas Böhle schon jetzt und verweist auf die diversen Angebote wie "WirtshausWiesn" und "Sommer in der Stadt". "Es gibt sicher Schöneres, als sich auf eine öde leere Fläche zu stellen und mitgebrachtes Bier zu trinken." (msc/dpa)
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