Nach dem Attentat auf eine Konzerthalle in der Nähe von Moskau bleiben viele Fragen offen. Russland sieht eine Verbindung in die Ukraine – diese dementiert vehement.

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Bei einem nationalen Trauertag gedenkt Russland an diesem Sonntag der mehr als 130 Opfer des Terroranschlags auf eine Konzerthalle bei Moskau. Die Terrormiliz Islamischer Staat hatte die Tat bereits in der Nacht zu Samstag für sich reklamiert, doch der russische Präsident Putin sah vielmehr eine "ukrainische Spur" hinter dem Anschlag – ohne jedoch Beweise dafür anzuführen. Kiew wies jede Beteiligung an der Tat zurück.

Zahl der Toten bei 133 geblieben

Im Ausland schlossen sich Serbien und Nicaragua mit eigenen Trauertagen dem Gedenken an. Bei dem Anschlag am Freitagabend waren mindestens 133 Menschen ums Leben gekommen, darunter drei Kinder. Die Zahl der Opfer ist zunächst bei 133 geblieben. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Tass am Sonntagmorgen unter Berufung auf das Katastrophenschutzministerium für die Region Moskau. Die Zahl der Verletzten stieg von 147 auf 152, darunter fünf Kinder. Viele der Verletzten sollen in kritischer Verfassung sein.

In der Nacht räumten schwere Maschinen Schutt auf dem Gelände. Es war befürchtet worden, dass weitere Opfer noch unter den Trümmern der schwer beschädigten Konzerthalle in Krasnogorsk nordwestlich von Moskau gefunden werden könnten. Die Aufräum- und Bergungsarbeiten sollten nach Behördenangaben mindestens bis Sonntagabend andauern.

Die vier Hauptverdächtigen des Terroranschlags wurden am Samstagabend zum Verhör in die russische Hauptstadt gebracht. Wie die Staatsagentur Tass weiter berichtete, waren die vier Männer in einer streng abgesicherten Wagenkolonne aus der Region Brjansk im Süden des Landes, wo sie festgenommen worden waren, zum sogenannten Ermittlungsausschuss gefahren worden. In den kommenden Tagen solle vor Gericht ein Antrag auf Haftbefehl gestellt werden. Ihnen allen drohe eine lebenslange Haftstrafe, hieß es bei Tass. Nach dem Anschlag waren elf Verdächtige festgenommen worden.

Selenskyj: Immer schiebt Moskau Schuld auf andere

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wies die Versuche Putins, mit unbelegten Schuldzuweisungen der Ukraine eine Mitverantwortung für den Anschlag zuzuschieben, kategorisch zurück. "Nach dem, was gestern in Moskau passiert ist, versuchen Putin und die anderen Bastarde natürlich nur, jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben", sagte Selenskyj am Samstagabend in seiner täglichen Videoansprache.

Die russische Seite habe immer die gleichen Methoden. "Und immer schieben sie die Schuld auf andere." Nach den Ereignissen in der Konzerthalle habe "dieser absolute Niemand Putin" einen Tag lang geschwiegen, anstatt sich um seine russischen Bürger zu kümmern. Vielmehr habe Putin darüber nachgedacht, "wie er das in die Ukraine bringen kann".

Selenskyj warf Russland vor, selbst Terror zu verbreiten. Russen kämen in die Ukraine, um Städte niederzubrennen, "und versuchen, die Schuld auf die Ukraine zu schieben". Sie folterten und vergewaltigten Menschen – und gäben den Opfern die Schuld. "Sie haben Hunderttausende ihrer eigenen Terroristen hierher gebracht, auf ukrainischen Boden, um gegen uns zu kämpfen, und es kümmert sie nicht, was in ihrem Land geschieht."

Putin: Fenster für Grenzübertritt der Täter in die Ukraine vorbereitet

Putin sprach in einer vom Staatsfernsehen übertragenen Rede am Samstagnachmittag von einer angeblichen Verwicklung der Ukraine in den Terroranschlag. Mit Blick auf vier der festgenommenen Männer sagte er: "Sie haben versucht, sich zu verstecken und haben sich in Richtung Ukraine bewegt, wo für sie ein Fenster für einen Grenzübertritt vorbereitet worden war."

Zuvor hatte Russlands Inlandsgeheimdienst FSB bereits über Festnahmen in der Grenzregion Brjansk berichtet. Die Ukraine, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen brutalen Angriffskrieg führt, hatte schon am frühen Samstag Gerüchte über eine Beteiligung deutlich zurückgewiesen. Der ukrainische Militärgeheimdienst konterte Putin und wies darauf hin, dass die Grenze seit Langem vermint sei.

Faeser: Gefahr durch islamistischen Terror bleibt akut

Bundesinnenminister Nancy Faeser (SPD) hält nach derzeitigem Stand Islamisten für den schweren Anschlag auf die Crocus City Hall verantwortlich. "Nach allem, was bisher bekannt ist, ist davon auszugehen, dass die Terrorgruppe 'Islamischer Staat Provinz Khorasan' (ISPK) den mörderischen Terroranschlag in der Nähe von Moskau zu verantworten hat", sagte sie der "Süddeutschen Zeitung". Von dieser Gruppe gehe derzeit auch in Deutschland die größte islamistische Bedrohung aus, sagte Faeser. "Die Gefahr durch islamistischen Terrorismus bleibt akut."

Khorasan steht für eine historische Region in Zentralasien, die Teile von Afghanistan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan und vom Iran umfasste. Die ISPK-Terrorgruppe hatte ihren Ursprung in Afghanistan. "Wie häufig der Fall, reagierte die Gruppe auf Erfolglosigkeit im Innern mit einer Strategie der Externalisierung. In letzten Jahren hat ISPK zunehmend Ziele in der 'Nachbarschaft' angegriffen und dort auch Kämpfer rekrutiert", hatte der Terrorismusexperte Peter Neumann vom King's College in London bereits im Dezember 2023 getwittert.

Der IS-Propagandakanal Amak veröffentlichte am Samstag ein Bild mit vier Personen, deren Gesichter unkenntlich gemacht worden waren. Die Kämpfer hätten bewaffnet mit Sturmgewehren, Pistolen und Bomben Russland einen "schweren Schlag" versetzt, hieß es in der Mitteilung. Der Angriff habe "Tausenden Christen in einer Musikhalle" gegolten. Der IS bekämpft Anhänger des Christentums und betrachtet sie als Ungläubige.

Identifizierung der Opfer geht weiter – Viele Blutspenden

Forensiker setzten unterdessen die Identifizierung der Opfer fort. Bis Samstagabend seien bereits 50 Opfer identifiziert worden, teilte Gouverneur Andrej Worobjow mit. Viele Menschen in der Konzerthalle seien bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, hieß es. Knapp 4.000 Menschen spendeten bis zum Abend Blut, um die ärztliche Behandlung der Verletzten zu erleichtern. Die Behörden sprachen von mindestens 147 Verletzten, viele von ihnen in kritischer Verfassung. (dpa/the)

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