Vor Bundesinnenminister Horst Seehofer wird nach der Stuttgarter Krawallnacht medienwirksam ein beschädigter Polizeiwagen enthüllt. Die Ordnungshüter wollen damit auf ein Gewaltproblem aufmerksam machen. Die Diskussion um die Ursachen wird auf breiter Front geführt.

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Auch die Polizei weiß um die Wirkmächtigkeit von Bildern. Ein solches inszenierte sie in der Stuttgarter Innenstadt, als der Bundesinnenminister zum Tatort kam. Mit Horst Seehofer verschafften sich auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der CDU-Landeschef Thomas Strobl und Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn nach den Ausschreitungen in der Nacht von Samstag auf Sonntag vor Ort ein Bild der Lage.

Vor Seehofer wurde ein seitens des Mobs beschädigter Einsatzwagen der Stuttgarter Polizei enthüllt. Aber auch ohne diese Inszenierung tobt auf der politischen Bühne längst die Diskussion um das öffentliche Bild der Polizei und deren Ansehen in der Bevölkerung. Vor allem Jüngere scheinen jeglichen Respekt vor Ordnungskräften verloren zu haben oder sind im Begriff, ihn zu verlieren.

Brutale Gewalt gegen Polizisten

Haften geblieben ist aus der Nacht der spontanen Randale, die auf eine Polizeikontrolle zurückgeht, das Bild eines jungen Mannes, der einen Polizisten mit Anlauf in den Rücken und damit zu Boden tritt.

Ein 16-Jähriger muss sich wegen versuchten Totschlags verantworten, weil er nach Angaben der Staatsanwaltschaft einem am Boden liegenden Studenten gezielt gegen den Kopf getreten haben soll.

"Vor allem muss die Frage gestellt werden, woher die Wut der Jugendlichen kam, die sich dort Bahn gebrochen hat", sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ).

Die Debatte um Polizeigewalt und Rassismus werde nun überlagert von einer "Inszenierung der Polizei als Opfer", so Jelpke weiter.

Gewerkschaft der Polizei: "Auflagen machen aggressiv"

Die Gewerkschaft der Polizei hält dagegen. Die Respektlosigkeit gegenüber Polizei und Rettungskräften halte schon einige Jahre an, sagte der stellvertretende GdP-Vorsitzende Jörg Radek am Dienstag im ARD-"Morgenmagazin". "Und wir erleben jetzt offensichtlich durch die Pandemie, wie durch ein Brennglas, dass es sich hier noch weiter zuspitzt." Je länger "diese Pandemie mit ihren Auflagen" andauere, "desto weniger finden wir noch Verständnis vor. Das schlägt zum Teil um in Aggression."

Diesen Eindruck bestätigte im Gespräch mit dem Kolumnisten Gabor Steingart auch Thomas Berger, Vizepräsident der Stuttgarter Polizei: "Diese Gruppe reagiert auf staatliche Ansprache aggressiv. Und wenn man ganz normale polizeiliche Maßnahmen trifft, kommt es zu einem hohen Maß von Solidarisierung." Der Anlass in Stuttgart, die Kontrolle eines 17-Jährigen auf den Besitz von Drogen, sei "lapidar" gewesen. Solche "kleineren Drogen-Delikte" fänden "jeden Tag" statt.

OB-Kandidat Körner: "Das ist nicht die Partyszene"

Martin Körner, Kandidat der SPD für die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart am 8. November 2020, schilderte, dass er selbst in der Nacht durch einen von der Polizei aufgrund der Vorgänge eingesetzten Hubschrauber geweckt worden sei. "Für diese Gewalt ist nicht die Club- und Partyszene verantwortlich", stellte er aus seiner Sicht in einem Videobeitrag auf Facebook ("Körner am Montag") klar. Es handele sich um "einzelne Kriminelle, die eine beispiellose Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten ausgeübt haben."

Middelberg: "Unangemessene Parallelen zu den USA"

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Mathias Middelberg, warnte in der Diskussion um die Ursachen für derlei Gewaltexzesse davor, zwischen Polizeigewalt in Deutschland und den USA "unangemessene Parallelen" zu ziehen. "Die unangemessene Diskussion über Polizeigewalt bei uns in Verbindung mit den Ereignissen in den USA hat möglicherweise dazu beigetragen, den Respekt gegenüber unserer (!) Polizei weiter zu erschüttern", schrieb Middelberg auf Facebook.

Manche meinten, selbst gegen die Polizisten zurückschlagen zu dürfen, fügte Middelberg im Gespräch mit der NOZ hinzu. "Wer sich von der Polizei ungerecht behandelt fühlt, kann in Deutschland unabhängige Gerichte anrufen", erinnerte Middelberg in den sozialen Netzwerken.

"Für Gewalt gegen Polizeibeamte aber gibt es in unserem Rechtsstaat keine Rechtfertigung", denn: "Polizeibeamte stehen für unsere Gemeinschaft. Sie repräsentieren uns und das Recht." Insofern, so Middelberg wieder in der NOZ, müsse "die ideologische Stimmungsmache gegen unsere Polizei ein Ende haben".

Bartsch wirft "feinen Herren der Union" Stimmungsmache gegen SPD-Chefin Esken vor

Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Deutschen Bundestag, forderte auf Facebook, "ein Klima der gesellschaftlichen Beruhigung" ein. "Sonst droht weitere Spaltung im Land."

Bartsch wirft vor allem den "feinen Herren in der Union" vor, "nach Stuttgart infam Stimmung" zu machen gegen SPD-Chefin Saskia Esken.

Esken hatte Polizeibeamten latenten Rassismus vorgeworfen. Dafür erntete sie auch aus den eigenen Reihen massiven Gegenwind.

Umso schneller setzte sie nach den Vorkommnissen in Stuttgart einen Tweet ab, in dem sie symbolisch für die verletzten Polizistinnen und Polizisten eine Träne per Emoji vergoss: "Was für eine sinnlose, blindwütige Randale in Stuttgart."

In der Nacht zum Sonntag waren Hunderte Menschen durch die zentrale Einkaufsstraße Stuttgarts gezogen, hatten Schaufenster zerstört und Geschäfte geplündert. Nach Angaben der Polizei waren 400 bis 500 Menschen an der Randale beteiligt. (dpa/AFP/hau)

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