Am 10. November 2000 wurde im Bundestag das Lebenspartnerschaftsgesetz beschlossen - umgangssprachlich die "Homo-Ehe". Axel und Andreas Hochrein haben sich lange Zeit dafür eingesetzt und erklären, warum dieser Tag so wichtig ist und wo sie heute noch Probleme für Lesben und Schwule sehen.

Ein Interview

Herr Axel und Andreas Hochrein, vor 20 Jahren wurde das Lebenspartnerschaftsgesetz verabschiedet. Was beutetet das Gesetz für Sie?

Mehr aktuelle News

Axel Hochrein: Damals waren wir vier Jahre zusammen. Ans Heiraten hatte ich damals eigentlich nie gedacht. Aber als ich bemerkt habe, dass ich nicht heiraten durfte, war das kein gutes Gefühl. Als das Gesetz im Bundestag durchgegangen ist, konnten wir offiziell sagen: "Das ist mein Mann".

Es war eine offizielle Anerkennung durch den Staat, eine Rechtsinstitution für die homosexuelle Liebe. Das hat auch im zwischenmenschlichen Bereich für mehr Anerkennung gesorgt und dadurch meine Einstellung zum Heiraten geändert.

Haben Sie damals gleich geheiratet?

Andreas Hochrein: Nein, in Bayern ging das nicht, weil der Freistaat damals genau wie Sachsen gegen das Gesetz Klage beim Verfassungsgericht eingelegt hat. Wir haben unsere Partnerschaft deshalb zunächst bei einem Notar eintragen lassen. Es wusste ja damals keiner, ob die Klage vor dem Bundesverfassungsgericht standhält.

Die Verkündung haben wir 2002 live am Fernsehen mitverfolgt. Danach wussten wir, wir konnten uns verloben und unsere Hochzeit planen. Nach dem Termin haben wir auch nie gesagt, wir sind verpartnert, wie es offiziell gesagt wurde. Wir haben immer gesagt, wir sind verheiratet, obwohl es ja damals noch keine richtige Ehe war.

Stört Sie in dem Zusammenhang der Begriff "Homo-Ehe"?

Axel Hochrein: Nein, den finde ich sogar gut! Ich glaube, die "Bild"-Zeitung hat den Begriff geprägt. Und wir haben ja auch immer von Ehe gesprochen statt von eingetragener Lebenspartnerschaft. Dass sich dieser Begriff durchgesetzt hat, hat auch etwas zur Akzeptanz in der Gesellschaft beigetragen.

Wie haben Sie sich vorher für das Gesetz eingesetzt?

Axel Hochrein: Ich war damals im Schwulen- und Lesbenverband der CSU. Wir hatten natürlich viele Diskussionen in der eigenen Partei. Vor allem mit dem Bundestagsabgeordneten Norbert Geis, der die Homosexualität aus dem christlichen Glauben heraus verteufelt hatte.

Es war lange ein Pfui-Thema in der Partei. Die Union hatte später selbst gegen das Gesetz geklagt. Unterstützung fanden wir vor allem bei Frauen, weil sie ebenfalls viele Jahre für Frauenrechte kämpfen mussten.

Was hat sie am meisten motiviert, sich für das Gesetz einzusetzen?

Axel Hochrein: Die Nichtanerkennung fühlt sich einfach fremd an. Es gab ja auch andere Paare, die keine Kinder hatten. Aber sie konnten im Krankenhaus sagen: "Das ist meine Ehefrau oder mein Ehemann, kann ich bitte zu ihm." Das war für uns nicht möglich. Offiziell war der Partner dort ein fremder Mensch.

Was bedeutete das damalige Gesetz für die Entwicklung der Bundesrepublik?

Andreas Hochrein: Es hat Deutschland nicht besser und nicht schlechter gemacht. Es hat den Menschen aber gezeigt, dass damit das Abendland in Deutschland nicht untergeht. Und vielen Lesben und Schwulen hat es natürlich Anerkennung und Erleichterung gebracht.

Gesetze sind das eine, aber welche wichtigen Schritte gab es aus Ihrer Sicht noch in Sachen Anerkennung von Lesben und Schwulen?

Axel Hochrein: Wichtig war beispielsweise, dass es mit Guido Westerwelle einen schwulen Vizekanzler in der Bundesregierung gab. Das war für die Generation vor uns ein Zeichen, dass die sexuelle Orientierung keine Rolle spielt bei der Besetzung von hohen Staatsämtern.

Dann kam die gleichgeschlechtliche Ehe 2017 in den Bundestag. Das war ebenfalls ein großer Schritt. Wir waren jetzt auf gleicher Stufe wie heterosexuelle Paare. Mein Mann und ich hatten damit nicht mehr eine Ehe zweiter Klasse. Aber dafür hat es auch 16 Jahre seit dem Lebenspartnerschaftsgesetz gebraucht.

Welche Probleme sehen Sie heute? Oder ist die schwul-lesbische Bewegung am Ziel angekommen?

Andreas Hochrein: Nein, es gibt weiterhin Probleme. Es werden wieder mehr lesbische und schwule Paare beleidigt und angefallen, wenn sie beispielsweise Händchen haltend in bestimmten Gegenden unterwegs sind. Und es werden immer noch krude Zusammenhänge geäußert.

Friedrich Merz hat auf die Frage nach einem schwulen Vizekanzler vor einigen Wochen geantwortet: "Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft". Er hat damit eine Verbindung zwischen Homosexualität und Pädophilie hergestellt.

Wie steht Deutschland bei der Anerkennung von Schwulen und Lesben im Vergleich zu anderen europäischen Ländern da?

Andreas Hochrein: Mit der Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule liegt Deutschland im vorderen Drittel. Aber gerade bei der Bildungspolitik liegt die Bundesrepublik im Vergleich zu skandinavischen Ländern oder den Niederlanden noch weit zurück.

Was müsste in den Schulen passieren, um die gesellschaftliche Akzeptanz von Schwulen und Lesben zu verbessern?

Axel Hochrein: Generell geht es um die Vermittlung einer besseren Anerkennung aller Minderheiten. Bei Schwulen und Lesben fängt es in den Schulbüchern an. Dort werden ausschließlich Abbildungen von Familien aus Mutter, Vater und Kind gezeigt und nicht Mutter-Mutter-Kind- oder Vater-Vater-Kind-Familien.

Die Kinder sollten lernen, dass in der Natur verschiedene Arten der Liebe vorkommen. Sie sollten erkennen, dass schwul sein normal ist, und dass man sich nicht dafür schämen muss.

Jugendliche, die selber schwul sind, müssen aus ihren Ängsten herauskommen. Die Suizidrate unter schwulen und lesbischen Jugendlichen ist dreimal höher.

Wann gibt es die erste lesbische Kanzlerin oder den ersten schwulen Bundeskanzler?

Axel Hochrein: Dazu müsste ich in die Kristallkugel schauen. Aber es geht doch darum, dass die- oder derjenige die Qualifikationen für das Amt ausfüllen kann.

Wichtiger ist es, wenn jemand für das Amt qualifiziert ist, dass die sexuelle Präferenz überhaupt keine Rolle mehr spielt. Aber es wird zunächst so bleiben, dass ein prominentes Outing einen gesellschaftlichen Boost zündet, wie bei Westerwelle und Wowereit. Wann sind wir so weit, dass das keine Rolle mehr spielt?

Über die Interviewpartner:
Axel Hochrein (Jahrgang 1963) ist seit 2002 Bundesvorsitzender des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD). Mit seinem Ehemann Andreas Hochrein-Margeit (Jahrgang 1965) ist er seit 24 Jahren zusammen, beide haben sich am 13.09.2002 verpartnert und nach der Ehe-Öffnung 2017 am 13.09.2018 geheiratet. Gemeinsam engagieren sie sich ehrenamtlich in der deutschen und internationalen LSBTI-Community. Der LSVD ist ein Bürgerrechtsverband und vertritt die Interessen und Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Der Verband feierte dieses Jahr sein 30-jähriges Jubiläum.

Jeder dritte Homosexuelle wird im Job diskriminiert

Immer noch wird in Deutschland ein großer Teil der Homosexuellen und Transmenschen am Arbeitsplatz gemobbt und benachteiligt. Eine neue Studie zeigt: Viele gehen deshalb nicht offen mit ihrer Sexualität um oder halten ihre geschlechtliche Identität geheim.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.