Die Ampel-Koalition steckt in der Finanzkrise. Die erste gravierende Folge des Haushaltsurteils: Der Etat für 2024 wird kommende Woche nicht beschlossen. Doch damit sind längst nicht alle Probleme gelöst.
Das Karlsruher Haushaltsurteil stellt die Ampel-Koalition vor drei grundlegende Probleme: Wie kann der Etat für das laufende Jahr nachträglich rechtssicher gemacht werden? Kann der Bundestag den Haushalt für das kommende Jahr überhaupt beschließen? Und was ist mit den wichtigen Investitionen in Klimaschutz und eine moderne Wirtschaft? Zumindest auf eine Frage haben SPD, Grüne und FDP am Mittwoch eine vorläufige Antwort gegeben: Der Haushalt für 2024 wird kommende Woche nicht beschlossen.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen Mittwoch müsse bei der Aufstellung des Etats sorgfältig berücksichtigt werden, begründeten die Fraktionschefs gemeinsam die Absage. Die Haushaltswoche im Bundestag, bei der über vier Tage stundenlang jeder einzelne Etat abgestimmt werden sollte, findet nicht statt. Stattdessen soll das Parlament andere Themen beraten.
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Etatbeschluss vor Jahresende eher unwahrscheinlich
"Unser Ziel ist, den Haushalt zügig, aber mit der gebotenen Sorgfalt zu beraten, um Planungssicherheit zu schaffen", erklärten Rolf Mützenich (SPD), Britta Haßelmann und Katharina Dröge (Grüne) sowie Christian Dürr (FDP). Ob der Etat trotzdem noch vor Jahresende verabschiedet werden kann, steht in den Sternen. Theoretisch wäre das möglich, denn es gibt noch eine reguläre Bundestagssitzung und der Bundesrat könnte eine Fristverkürzung gewähren. Doch aus der Ampel-Koalition ist zu hören, ein Beschluss im Dezember werde schwierig.
Denn zu viele Fragen sind noch nicht entschieden. Sollen hohe Preise für Strom und Gas auch im kommenden Jahr abgefedert werden? Dafür müssten die Haushälter mehrere Milliarden Euro im Etat locker machen, denn das Sondervermögen für die Energiepreisbremsen, der mit Krediten über 200 Milliarden Euro gefütterte "Doppelwumms", kann nach erster Bewertung nicht mehr genutzt werden.
Ebenfalls offen ist, ob Projekte aus dem Klima- und Transformationsfonds in den Kernhaushalt übertragen werden sollen. Denn in diesem Fonds für Investitionen in Klimaschutz und andere Zukunftsprojekte fehlen nach dem Urteil des Verfassungsgerichts 60 Milliarden Euro. Das Gericht hatte die Umwidmung dieser eigentlich zur Corona-Bekämpfung bewilligten Kredite für nichtig erklärt.
Weiterregieren auch ohne Haushalt erstmal möglich
Liegt zu Jahresbeginn kein Bundeshaushalt vor, greift die sogenannte vorläufige Haushaltsführung. Dann sind vorerst nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. In der Praxis kann das Finanzministerium den Ministerien jedoch bewilligen, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen.
Dieses Verfahren ist in der Bundesregierung bereits eingeübt, denn es greift üblicherweise auch nach einer Bundestagswahl, wenn die neue Regierung in der kurzen Zeit zwischen Koalitionsbildung und Jahreswechsel keinen eigenen Haushalt aufstellen kann. Ob allerdings die offiziell noch nicht beschlossene Aufstockung der Ukraine-Hilfe um vier Milliarden Euro greifen kann, ist umstritten.
Keine Entscheidung über Haushalt des laufenden Jahres
Auf die zweite durch das Urteil aufgeworfene Grundsatzfrage haben die Koalitionäre erst einmal keine Antwort. Lassen sie sich nichts einfallen, droht auch im Haushalt für das laufende Jahr ein Verfassungsbruch. Denn das Verfassungsgericht entschied, dass der Staat sich Notlagenkredite nicht für spätere Jahre auf Vorrat zurücklegen darf.
Genau das hat der Bund nach Auffassung von Experten im Fonds für die Energiepreisbremsen aber gemacht: 2022 erklärte der Bundestag wegen des Ukraine-Kriegs eine Notlage, setzte die Schuldenbremse aus und bewilligte Kredite über 200 Milliarden Euro. Nur ein Teil der Mittel wurde 2022 genutzt - der Rest sollte 2023 und 2024 fließen. 37 Milliarden Euro wurden in diesem Jahr ausgegeben - Geld, das der Bund wohl eigentlich nicht hätte nutzen dürfen.
Nachträglich muss die Ampel-Koalition jetzt also diese Kredite rechtlich absichern. Das könnte, so heißt es, durch den erneuten Beschluss einer Notlage geschehen - mit der Begründung etwa, dass die Auswirkungen der Energiekrise Anfang 2023 noch spürbar waren. Dann könnte man erneut die Ausnahmeregel der Schuldenbremse nutzen.
Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) sprach sich beim Nachrichtenportal t-online dafür aus. "Das Krisenjahr 2022 ist noch nah, die Folgen hoher Energiepreise und der Inflation spüren wir nach wie vor", sagte er. "Wir stecken in einer Rezession, das Bruttoinlandsprodukt sinkt. Das rechtfertigt die Notlage, so sehen es auch viele Experten."
Schuldenbremse reformieren für Klimaschutz-Projekte?
Auch ob und wie die eigentlich aus im Klima- und Transformationsfonds geplanten Vorhaben umgesetzt werden sollen, ist in der Koalition umstritten. Es geht dabei nicht nur um Klimaschutz-Projekte, sondern auch um Milliarden für die Ansiedlung moderner Chipfabriken, die Entwicklung hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft und die Entlastung von Bürgern und Unternehmen bei den Strompreisen. Weil sie diese Investitionen für unverzichtbar halten, fordern Ökonomen eine Reform der Schuldenbremse. Auch der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück sprach sich dafür aus. "Es muss eine Schuldenbremse geben, aber die jetzige ist erkennbar nicht mehr zeitgemäß", sagte er der "Zeit". Es gebe einen extremen Investitionsbedarf auf diversen Feldern.
Die Union dagegen schließt Änderungen an der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse aus. Dabei würden CDU und CSU nicht mitmachen, sagte der erste parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Schuldenbremse sei essenziell für eine generationengerechte Haushaltsführung. Die Ampel habe sich daran vorbeischummeln wollen. "Dafür muss die Bundesregierung nun die Verantwortung tragen." Jetzt müssten Prioritäten gesetzt werden. Fraktionschef Friedrich Merz schlug einen Verzicht auf die Kindergrundsicherung, das Heizungsgesetz und auf ein höheres Bürgergeld vor. "Es geht eben nicht mehr alles", sagte er in der ARD-Talkshow "Maischberger".
Die Union und auch die Linke erwarten nun auch klare Worte von Kanzler Olaf Scholz (SPD). Er solle die Bevölkerung per Fernsehansprache darüber informieren, "wie er den Karren aus dem Sumpf ziehen" wolle, sagte Linksfraktionschef Dietmar Bartsch der Deutschen Presse-Agentur. Unionspolitiker Frei forderte eine Regierungserklärung im Bundestag. (dpa/lag)
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