Die Bundesregierung ist rund sechs Monate im Amt und hat bereits zwei veritable Krisen hinter sich. Dass der Streit innerhalb der GroKo derart eskalieren konnte, geht nach Ansicht von SPD-Chefin Andrea Nahles auch auf das Konto der Kanzlerin. In einem Interview kritisiert sie Merkel für mangelnde Führung und Haltung und droht mit einem Bruch der Koalition.

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SPD-Chefin Andrea Nahles hat Angela Merkel dazu aufgerufen, "dieser Regierung Stabilität zu geben". Ihr sei bisher nicht gelungen, die Koalition in ruhiges Fahrwasser zu bringen. Dabei habe sie als Kanzlerin dafür viele Mittel in der Hand. "Sie nutzt sie aber nicht", kritisiert Nahles in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit". "Ich würde mir von Frau Merkel oft mehr Führung und Haltung wünschen", sagte sie weiter.

Vor der Sommerpause war es zwischen CDU und CSU zu einem Streit um die Flüchtlingspolitik gekommen, an dem die Union und damit die Regierung beinahe zerbrochen wäre. Im September entzündete sich nach den Ausschreitungen in Chemnitz um Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen der nächste Streit.

"Große Koalition muss Größeres von sich verlangen"

Die Richtungsstreitigkeiten innerhalb der Union erschwerten die Arbeit der Regierung und belasteten die Koalition seit ihrem Beginn, sagte die SPD-Chefin. Wenn der unionsinterne Zoff weiterhin alles überlagere, mache gute Sacharbeit "natürlich keinen Sinn mehr", räumte Nahles ein. "Eine große Koalition muss Größeres von sich verlangen, als es schon als Erfolg zu feiern, wenn mal eine Woche lang keine Regierungskrise ist."

Die SPD haderte von Anfang an mit ihrer erneuten Regierungsbeteiligung in einer großen Koalition. Viele Sozialdemokraten sehen sich nach zwei Regierungskrisen in wenigen Monaten und desaströsen Umfragewerten in dieser Annahme bestätigt. Der Wunsch die Koalition zu verlassen wächst.

Trotz allem sieht die SPD-Vorsitzende für ihre Partei noch etwas Hoffnung in dieser Regierung. In den wenigen Momenten, in denen es der SPD gelungen sei, bei ihren Themen wie etwa der Rente "Power" zu machen, sei das in der Bevölkerung gut angekommen. "Das zeigt: Auch in dieser Regierung steckt Potenzial für die SPD."

SPD will sich von Agenda 2010 befreien

Mit Blick auf die seit Jahren sinkenden Zustimmungswerte der SPD kündigte Nahles an, dass sich ihre Partei von der Agenda 2010 des früheren SPD-Kanzlers Gerhard Schröder verabschieden werde. "Wir werden uns aus dem gedanklichen Gefängnis der Agendapolitik, über die wir viel zu lange rückwärtsgewandt geredet haben, befreien", sagte Nahles. Sie wolle mit einigen Sachen aufräumen, die die SPD seit Jahren blockierten.

Zu den Reformen der Agenda 2010 gehörten unter anderem das umstrittene Hartz-IV-Gesetz, die Absenkung des Rentenniveaus und weitere Leistungskürzungen im Sozialbereich. Aus Sicht vieler Sozialdemokraten ist Schröders Agenda zu großen Teilen für die Krise der SPD verantwortlich.

"Wir werden ein neues, modernes Sozialstaatskonzept entwickeln für den 'Sozialstaat 2025'", kündigte Nahles an. Dies solle "die sozialdemokratische Antwort auf die Herausforderungen des digitalen Kapitalismus" sein. Das Konzept werde ihre Partei bis Ende kommenden Jahres vorlegen. (jwo/AFP)

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