- Baden-Württembergs Finanzministerium hat am Montag eine Plattform online gestellt, wo Hinweisgeber anonym und sicher Verstöße melden können.
- Union, FDP und AfD kritisierten das Portal scharf – doch was genau ist eigentlich das Problem?
Es sind wirkmächtige Superlative, die derzeit Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz entgegenschlagen: "Blockwart-Mentalität" (FDP-Fraktionsvize Michael Theurer), "Denunziantentum" (CSU-Generalsekretär Markus Blume) und "Steuer-Stasi" ("Bild"-Zeitung) sind nur die Spitzen der Erregung.
Union, FDP und die AfD laufen rhetorisch Sturm gegen die bundesweit erste Meldeplattform zur Ermittlung von Steuerbetrügern im grün-regierten Baden-Württemberg. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock kann sich eine solches anonymes Online-Portal auch auf Bundesebene vorstellen. "Wir müssen Orte schaffen, wo auch gemeldet werden kann, wenn man weiß, dass es zu heftigem Steuerbetrug kommt", sagte sie am Mittwochabend bei ProSieben.
Doch wie funktioniert die Online-Plattform? Wie machen es andere Bundesländer? Und was soll das Problem sein? Das sind die Fakten hinter der Aufregung:
Was genau hat Baden-Württembergs Finanzminister Bayaz umgesetzt?
Bei der Jagd nach Steuerbetrügern setzt die Steuerverwaltung in Baden-Württemberg seit Montag auch auf Online-Hinweise aus der Bevölkerung. Eine entsprechende Meldeplattform ging an diesem Tag online. Das Portal solle Hinweisgebern "einen sicheren und anonymen Kommunikationsweg" bieten, um Verstöße anzuzeigen, teilte das Finanzministerium in Stuttgart mit. Es handle sich um das erste Portal dieser Art in Deutschland.
"Anonyme Hinweise wegen Steuerbetrugs waren bisher auch schon persönlich, per Brief oder Telefon möglich", betont das Finanzministerium in einer Pressemitteilung. Neu ist also tatsächlich nur, dass dies ab sofort auch online möglich ist.
Und: "Die Meldeplattform eröffnet den befassten Steuerfahnderinnen und -fahndern die Gelegenheit, nachzufragen, wobei gleichzeitig die Anonymität vollständig gesichert ist." Genau das war bisher ein Problem: Nach Angaben des Finanzministeriums fehlten bisher oft wesentliche Informationen, Rückfragen seien wegen der Anonymität aber oft nicht möglich gewesen.
Bayaz betonte: "Anzeigen müssen selbstverständlich gut begründet sein, sonst werden sie von der Steuerfahndung erst gar nicht bearbeitet. Ein einfacher Hinweis genügt ausdrücklich nicht."
Wie sieht die Situation in den anderen Bundesländern aus?
In allen 16 Bundesländern ist es schon seit Jahren möglich, Anzeigen persönlich vor Ort und postalisch, überwiegend auch per Telefon und Fax, bei der jeweils zuständigen Steuerfahndung einzureichen. In etlichen Bundesländern (darunter unter anderem Bayern, Berlin oder Nordrhein-Westfalen) ist dies zudem per E-Mail möglich.
Alle Bundesländer stellen für die Anzeigen online ein passendes und weitestgehend identisches Formular (meistens im Word-Format) zur Verfügung, bei dem unter anderem "Namen und Anschrift der an der Hinterziehung beteiligten Person(en)" angegeben werden sollen.
Das Formular kann überall auch ohne Angaben zur eigenen Person, also anonym, eingereicht werden. Allerdings besitzen namentliche Anzeigen "in der Regel größere Bedeutung, weil sie Rückfragen ermöglichen", wie es in einem Hinweis heißt.
Was sagen Experten zu dem Vorhaben der Grünen?
Unabhängige Organisationen wie Transparency International Deutschland unterstützen das Vorhaben der Grünen: Begriffe wie "Denunziantentum" und "Blockwart-Mentalität" seien absolut fehl am Platz. "Es geht beim Whistleblowing um Hinweise auf Verstöße, die der Allgemeinheit schaden und deren Aufdecken im Interesse der Gesellschaft liegt", erklärt Louisa Schloussen, die bei Transparency die Arbeitsgruppe Hinweisgeber leitet.
Sie sagt: "Entgegen der Vorurteile zeigen wissenschaftliche Studien und die Erfahrungen in der Praxis ganz klar, dass absichtliche Falschmeldungen ('Denunziationen') kaum vorkommen und kein Problem sind."
Der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, wies die Kritik an der Meldeplattform ebenfalls zurück. "Das ist zu einem großen Teil Wahlkampfgetöse", sagte er dem "Handelsblatt". Anonyme Anzeigen gebe es, seit es Finanzämter gebe. Das Portal in Baden-Württemberg sei eher eine Verbesserung, denn die Steuerverwaltung könne durch gezielte Rückfragen den "Anzeigenschrott" von "werthaltigen Hinweisen" trennen.
Warum haben Union, FDP und AfD ein Problem mit dem Portal?
Union, FDP und AfD argumentieren, dass ein solches Portal Denunziantentum und Misstrauen bei den Bürgern fördere, beispielsweise unter Nachbarn. Weitere Argumente nannten die Kritiker nicht.
Fazit:
Unklar ist, warum ein Online-Portal etwas anderes ist als die bisher schon verfügbaren Möglichkeiten zur Meldung von möglichen Steuerstraftaten. Der einzige Unterschied: Die Schwelle, Meldungen einzureichen, ist niedriger. Ansonsten ändert sich nichts: Denn Finanzämter müssen Hinweisen auf Steuerhinterziehung nur dann nachgehen, wenn diese glaubwürdig erscheinen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn Belege für den Vorwurf mit eingereicht werden – und der Absender für Rückfragen kontaktiert werden kann (was nun in Baden-Württemberg einfach ist).
Der wahre Grund für die Aufregung dürfte deshalb ein anderer sein: In weniger als vier Wochen wird ein neuer Bundestag gewählt.
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