Um die Finanzlöcher im Haushalt zu stopfen, will die Regierung unter anderem Entlastungen beim Agrardiesel und grüne Kennzeichen streichen. Landwirte in ganz Deutschland bringt das gehörig auf die Palme. Doch wer ist eigentlich am stärksten betroffen? Und sprechen die Demonstranten in Berlin für die gesamte Landwirtschaft? Ein Agrarwissenschaftler und ein Landwirt ordnen die Wut der Bauern ein.
Sie waren laut, sie waren wütend. Sprüche wie "Müsst ihr erst hungern, bevor ihr es versteht?" oder "Achtung. Hier fahren Arbeitsplätze. Noch" waren auf den Traktoren der Landwirte zu lesen, die zu Beginn der Woche in Berlin gegen die Sparpläne der Bundesregierung protestierten.
Laut Veranstalter sollen an der Demonstration am Brandenburger Tor etwa 8.000 bis 10.000 Menschen teilgenommen haben, mehr als 3.000 Traktoren waren in Berlin unterwegs. Ein Aus für die Regelungen zum Agrardiesel und für die Kfz-Steuerbefreiung bringt die Landwirte auf die Palme. Joachim Rukwied, Bauernpräsident, sprach von einer "Kampfansage", die man annehme. Die Ampel-Koalition wolle die Landwirte mit mehr als einer Milliarde Euro extra im Jahr belasten.
Streichung von 21,5 Cent pro Liter
Auch Agrarwissenschaftler Martin Banse vom Thünen-Institut hat die Demonstrationen aufmerksam beobachtet. Aus seiner Sicht bildeten die Demonstranten insgesamt eine breite Koalition. "Die Proteste wurden vom Deutschen Bauernverband initiiert – das ist nach wie vor der größte Interessensverband der Landwirte in Deutschland. Man kann deshalb von einem repräsentativen Panorama der deutschen Landwirtschaft sprechen", sagt er.
Banse erklärt noch einmal, was die Landwirte so wütend macht. "Eigentlich müssten sie etwa 47 Cent Steuern pro Liter Diesel zahlen. Tatsächlich zahlen sie aber nur rund 25,5 Cent, denn der Staat verzichtet auf 21,5 Cent an Steuern. Dieser Verzicht wird nun zurückgenommen", so Banse. Dadurch, dass Diesel in der Landwirtschaft nun teurer würde, stiegen auch die Produktionskosten. "Wenn das nicht über höhere Preise weitergegeben werden kann, sinken die Gewinne der Landwirte", so der Experte.
Wen es am stärksten trifft
Dabei ist nicht jeder Landwirt gleich stark betroffen. "Bei den Agrarprodukten, wo besonders viele Maschinen mit Dieselmotoren zum Einsatz kommen, macht sich der Kostenfaktor am stärksten bemerkbar", sagt Banse. In der deutschen Weizenproduktion betrage beispielsweise der Kostenanteil von Diesel, Treib- und Schmierstoffen 8 Prozent. "Ackerbaubetriebe sind tendenziell stärker betroffen als Tierhaltungsbetriebe. Aber auch hier sind in den Futterkosten Treibstoffkosten enthalten", zeigt er auf.
Bezogen auf den Dieselverbrauch je Hektar gebe es keinen wesentlichen Unterschied zwischen großen und kleinen Betrieben. In der Tendenz seien größere Betriebe – bezogen auf den Hektar – aber etwas weniger betroffen, weil sie größere Maschinen einsetzen könnten – die dann wiederum effektiver wirtschaften würden.
Auch kleine Betriebe betroffen
"Die gesamte Dieselrechnung bei großen Betrieben schlägt aber sehr stark zu Buche", erinnert Banse. Man müsse solche Zahlen aber in Bezug zu bewirtschafteten Flächen und den Erträgen setzen. "Große Betriebe haben schließlich auch höhere Erlöse als kleine Betriebe", sagt Banse.
Landwirt Reinhard Jung von den "Freien Bauern" sagt aber: "Auch kleine Betriebe können stark betroffen sein, wenn sie beispielsweise im Stall Maschinen wie Futtermischwagen laufen haben." Ökologische Betriebe könnten aus Sicht beider Experten etwas stärker betroffen sein als konventionelle Betriebe. Dabei handele es sich aber um eine geringe Prozentzahl. "In den Ökobetrieben wird natürlich auch mit Traktoren über die Flächen gefahren, gesät, gedüngt und Pflanzenschutzmaßnahmen ergriffen. Und das in unterschiedlichem Maß verglichen mit konventionellen Betrieben", erklärt Banse.
Landwirtschaft fühlt sich vor den Kopf gestoßen
Jung sagt: "Betroffen sind auch Landwirte, die weniger Pflanzenschutzmittel einsetzen, weil sie in der Unkrautbekämpfung zum Beispiel sehr stark auf mechanische, traditionelle Verfahren setzen. Die Bodenbearbeitung ist allgemein beim Agrardiesel ein wesentlicher Faktor", erinnert er.
Jung beschreibt die Gefühlslage, die bei vielen Landwirten derzeit herrscht: "Die gesamte Landwirtschaft fühlt sich vor den Kopf gestoßen. Wir wurden in der Vergangenheit in der Produktion beschnitten, der Freihandel wurde ausgedehnt, der Preisdruck ist gestiegen und es wurde nichts getan, um uns in der Wirtschaftskette gegen die Monopole im Einzelhandel zu stärken", klagt er. Das Plus an Steuern komme für die Landwirte noch einmal obendrauf.
Landwirt fürchtet Bürokratie-Chaos
"Die Steuer sollte einst die Verkehrsinfrastruktur finanzieren. Und weil die Landwirte zu 95 Prozent gar nicht auf den Straßen fahren, sondern auf dem Acker, hat man sie hier entlastet", erinnert er.
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Auch einer weiteren Maßnahme, die zum Paket dazugehört – der Abschaffung der grünen Kennzeichen – steht Jung ablehnend gegenüber. "Daran hängt ein riesiger Rattenschwanz an Bürokratie", kritisiert er und erklärt: "Dann dürften zum Beispiel die Lehrlinge unter 18 Jahren nicht mehr fahren, wenn die Sonderregelungen nicht mehr gelten. Alle Anhängemaschinen müssten zugelassen werden und ein neues Nummernschild bekommen."
Billiggetreide aus der Ukraine
Jung ist sich sicher: "Wenn wir noch die Preise vom letzten Jahr hätten, wäre die Erregung wesentlich geringer. Wir haben inzwischen aber die Grenzen für billiges Getreide aus der Ukraine aufgemacht". Gemeint sind die Solidaritätskorridore über den Landweg, die im Zusammenhang mit der Blockade im Schwarzen Meer eingerichtet wurden.
Das in der Ukraine deutlich billiger produzierte Getreide sorgt bei vielen Landwirten hierzulande für die Befürchtung, es könne Auswirkungen auf das Preisniveau geben. Deutliche Anzeichen dafür gibt es bislang jedoch nicht. Manche meinen sogar, die Gerüchte würden vom Kreml angeheizt, um im Westen Stimmung gegen die Ukraine zu machen.
Verkraftet die Landwirtschaft das?
Experte Banse sagt zusammenfassend: "Insgesamt wird die Abschaffung dieser Beihilfe nicht zum Ruin der deutschen Landwirtschaft führen." Durchschnittlich werde jeder landwirtschaftliche Betrieb ungefähr mit 3.000 Euro mehr an Steuern zur Kasse gebeten. "Die Gewinnsituation im letzten und im vorletzten Jahr war sehr gut in der Landwirtschaft", erinnert Banse.
Einem Kritikpunkt schließt er sich allerdings vollends an. "Die Diskussion um die Dieselbeihilfe gibt es schon länger. Die Abschaffung der Beihilfe sollte aber stufenweise erfolgen undvorab angekündigt und transparent gestaltet werden", so Banse.
"Die kurzfristige Umsetzung ist schon harter Tobak"
In dieser jetzigen Abruptheit müsse man jedoch sagen: "Das ist schon harter Tobak. Solche Maßnahmen sollten nicht über Nacht entschieden und von heute auf morgen umgesetzt werden", sagt Banse. Allerdings sei es auch bei anderen Programmen so gelaufen – etwa beim Erwerb von E-Autos.
"Das Maßnahmenpaket, welches jetzt beschlossen wurde, trifft die Landwirtschaft überproportional. Gleichzeitig ist die Landwirtschaft aber auch ein überproportional großer Empfänger staatlicher Transferleistungen", vergleicht er.
Dekarbonisierung der Landwirtschaft
Den Vorschlag, andere bereits beschlossene Maßnahmen wieder zu kippen – wie etwa dem Tierhaltungs-Umbauprogramm – hält Banse für den falschen Weg. "Der Umbau der Stallungen ist Teil eines langfristigen Politikkonzeptes zur Umsetzung von mehr Tierwohl, das auch von der Wissenschaft lange gefordert wurde. Dieses jetzt über Bord zu werfen, um die Dieselbeihilfe am Leben zu erhalten, empfinde ich als ein fatales Politiksignal", sagt er.
Im Grunde sei die langfristige Dekarbonisierung auch der Landwirtschaft vollkommen berechtigt. "Die Erhöhung von Preisen für fossile Brennstoffe entspricht dem Konzept einer CO₂-Steuer. Hier wird ein Sektor, der viel an Treibhausgasemissionen emittiert, nun höher besteuert. Das erfordert aber längere Schrittlängen als von heute auf morgen", bilanziert er.
Über die Gesprächspartner
- Prof. Dr. Martin Banse ist Leiter des Thünen-Instituts für Marktanalyse in Braunschweig. Er studierte Agrarwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen. Zu seinen Arbeitsbereichen zählen die Analyse der Agrar- und Ernährungswirtschaft, internationaler Agrarhandel sowie modellgestützte Politikfolgenabschätzung.
- Reinhard Jung ist Referent für Politik und Medien bei den "Freien Bauern", einer Interessensvertretung für bäuerliche Familienbetriebe. Jung ist studierter Historiker, gelernter Landwirt und Nebenerwerbsbauer aus Lennewitz in Brandenburg.
Verwendete Quellen
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