Die Stimmen, die nach einem zweiten Brexit-Referendum rufen, werden immer lauter. Millionen Menschen demonstrieren dafür, auch so mancher Politiker sieht darin eine Option. Einfach umzusetzen wäre ein zweiter Volksentscheid jedoch nicht.

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Das britische Parlament weiß zwar nicht, was es will, aber immerhin, was es nicht will. Keine der acht Brexit-Alternativen fand am Mittwochabend eine Mehrheit. Am besten schnitt bei der Abstimmung im Unterhaus noch die Idee eines zweiten Referendums ab: Mit 268 Ja-Stimmen und 295 Nein-Stimmen fand es am meisten Zustimmung.

Knapp sechs Millionen Briten (Stand: 28. März, 17:30 Uhr) haben eine Petition unterzeichnet, die einseitige Austrittserklärung zurückzunehmen und in der EU zu bleiben. Die Organisation "People's Vote" arbeitet seit Wochen auf ein zweites Referendum hin.

Am vergangenen Wochenende demonstrierten nach Angaben der Veranstalter mehr als eine Million Menschen in Großbritannien gegen den Brexit - und für eine zweite Volksabstimmung. Und auch die liberaldemokratische Abgeordnete Wera Hobhouse fordert in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: "Wir müssen ein zweites Referendum durchziehen." Doch wie realistisch ist die Option überhaupt?

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Parlament könnte ein zweites Referendum zulassen

Rein rechtlich betrachtet wäre es kein Problem, ein zweites Referendum abzuhalten. "Das Ergebnis des Brexit-Referendums ist rechtlich nicht bindend", erklärt Klaus Stolz, Professor an der Technischen Universität Chemnitz, im Gespräch mit unserer Redaktion. Nötig ist lediglich eine Entscheidung des Parlaments. "Die politischen Kosten eines solchen Verhaltens stehen jedoch auf einem ganz anderen Blatt", mahnt er.

Theresa May lehnt ein zweites Referendum bisher kategorisch ab. Mit ihr als Premierministerin sei eine Durchführung daher höchst unrealistisch, sagt Stolz. Zwar hat May ihren Rücktritt in Aussicht gestellt, allerdings im Gegenzug für ein Ja für ihren Deal mit der EU, über den sie das Parlament diesen Freitag ein drittes Mal abstimmen lassen wird.

"Ein zweites Brexit-Referendum hat nur eine Chance, wenn es den Befürwortern gelingt, diesen Plan als letzten und einzigen Ausweg vor einem No-Deal-Brexit zu präsentieren, so wie es Theresa May mit ihrem bereits mehrfach gescheiterten Brexit-Abkommen noch immer versucht", sagt Stolz.

Die Probeabstimmung im Unterhaus habe aber gezeigt, dass "die Labour-Führung nicht in der Lage ist, ihre Abgeordneten - und selbst Teile der Führungsriege - hinter diesen Vorschlag zu vereinen".

Zweites Referendum bräuchte Monate

Auch Fabian Zuleeg, Generaldirektor des European Policy Centre in Brüssel, schätzt die Chancen als äußerst gering ein. "Ein zweites Referendum ist die Bankrotterklärung der parlamentarischen Demokratie in Großbritannien und spaltet höchstwahrscheinlich beide großen Parteien", ist der Ökonom überzeugt.

Ein weiteres Problem ist der Zeitfaktor: Man bräuchte mindestens fünf Monate, um einen Volksentscheid durchzuführen - und eine Verlängerung der Austrittsfrist von EU-Seite. Damit müsste Großbritannien auch an den Europawahlen teilnehmen. Das will nicht nur May um jeden Preis vermeiden.

Schon seien die Auswirkungen des Brexit-Chaos auf die britische Demokratie verheerend. "Die wirtschaftlichen und politischen Folgeschäden des ursprünglichen Votums werden in Großbritannien noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte nachklingen", sagt Zuleeg im Gespräch mit unserer Redaktion.

Egal, wie es mit Großbritannien und der EU weitergehe: In jedem Szenario habe das Vertrauen der Bürger gelitten.

Eine ideale Variante gibt es nicht

Selbst wenn sich das Parlament zu einem zweiten Referendum durchringen würde, müsste im nächsten Schritt über die konkrete Fragestellung entschieden werden. Die Wissenschaftler Meg Russell, Alan Renwick und Jess Sargeant vom University College London haben die Optionen aufgeschlüsselt:

  • Ja/Nein: Mays EU-Deal annehmen oder ablehnen
  • Einzelfrage mit je zwei Optionen: EU-Deal oder bleiben, EU-Deal oder No Deal, No Deal oder bleiben
  • Mehrere Optionen zur Wahl: EU-Deal oder No Deal oder bleiben
  • Zweistufiges Referendum: Im ersten Schritt EU-Deal annehmen oder ablehnen, wenn der Deal abgelehnt wird: No-Deal oder bleiben. Oder alternativ im ersten Schritt noch einmal über Austritt oder Verbleib in der EU abstimmen - und wenn die Mehrheit für einen Austritt stimmt, über ein No-Deal-Szenario oder den Deal abstimmen lassen

Zuleeg ist der Meinung, dass es die britische Regierung nur verkehrt machen kann. "Hat man gewisse Optionen nicht auf dem Stimmzettel, werden deren Befürworter von Wahlbetrug sprechen", sagt er. "Und wenn es mehrere Optionen gibt, wird es völlig unübersichtlich." Zudem stellten sich dann Legitimationsfragen - etwa wenn die absolute Stimmenzahl niedriger wäre als beim ursprünglichen Austrittsvotum.

Wera Hobhouse plädiert dafür, die eine Million Demonstranten vom Wochenende nicht zu überhören. "Irgendjemand muss mal auf die Idee kommen, zwei Optionen zusammenzubringen", sagt sie. "Wenn man Mays Deal und ein Referendum zusammen vorlegt im Parlament, dann könnte das eine Mehrheit bekommen."

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Stolz, Professor für Britische und Amerikanische Kultur- und Länderstudien an der Technischen Universität Chemnitz
  • Gespräch mit Dr. Fabian Zuleeg, Generaldirektor des European Policy Centre, einer unabhängigen Denkfabrik mit Sitz in Brüssel
  • People's Vote: The Roadmap to a People’s Vote
  • UCL - The Constitution Unit: If there’s a second referendum on Brexit, what question should be put to voters?
  • UK Parliament: Petition: Revoke Article 50 and remain in the EU
  • Deutschlandfunk.de: Interview mit Wera Hobhouse: "Idee eines zweiten Referendums gewinnt an Stimmen"
  • dpa
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