• Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien hat einen Shitstorm auf Twitter ausgelöst.
  • In einer Debatte um an Covid-19 gestorbene Kinder warfen ihr Nutzerinnen und Nutzer Zynismus und Herzlosigkeit vor. Selbst Priens jüdischer Glaube wurde thematisiert.
  • Jetzt hat die stellvertretende CDU-Vorsitzende ihren Acccount vorläufig deaktiviert.

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Der damalige Grünen-Chef Robert Habeck hat es gemacht, die SPD-Nachwuchspolitikerin Lilly Blaudszun hat es gemacht – und jetzt auch Karin Prien: Die stellvertretende CDU-Vorsitzende und schleswig-holsteinische Bildungsministerin hat ihren Account beim Kurznachrichtendienst Twitter deaktiviert. Vorausgegangen war ein heftiger Shitstorm.

Priens Sprecher David Ermes verbreitete am Sonntagabend eine Stellungnahme der Ministerin, in der sie erklärt, dass der Account "vorläufig" deaktiviert sei. "Ich nehme mir einige Wochen Zeit, um darüber nachzudenken, ob und wie ich Twitter als Medium weiter zur Kommunikation nutze", teilte Prien auf diesem Weg mit.

Karin Prien: Tweet über Sterblichkeit von Kindern sorgte für Empörung

Den Stein ins Rollen gebracht hatte ein Auftritt Priens, die derzeit auch Präsidentin der Kultusministerkonferenz ist, in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz. Prien war dort am 10. Februar Kritik von unterschiedlichen Seiten ausgesetzt. Sie musste sich gegen den Vorwurf wehren, die Politik erzeuge einen "Impfdruck" auf Kinder und Jugendliche. Sie musste aber auch Stellung nehmen zur Kritik der Schülerinnen- und Schüler-Initiative #WirWerdenLaut. Die Initiative fordert einen besseren Infektionsschutz der Lernenden in den Schulen.

Priens Äußerungen hatten für scharfen Widerspruch auf Twitter gesorgt. Nutzerinnen und Nutzer warfen ihr vor, die Gefährlichkeit des Coronavirus für Kinder zu verharmlosen. Die Nutzerin Bruja schrieb: 65 Kinder seien in Deutschland an COVID-19 gestorben.

Die Ministerin schaltete sich in die Diskussion ein und schrieb in einer Antwort, die von mehreren Medien zitiert wurde: "Bitte differenzieren: Kinder sterben. Das ist extrem tragisch. Aber sie sterben mit COVID-19 und nur extrem selten wegen COVID-19."

Coronavirus: Schülerinnen und Schüler fühlen sich schutzlos

Die CDU-Politikerin traf damit jedoch einen wunden Punkt bei vielen Eltern und ihren Kindern, die das Gefühl haben, dass Schülerinnen und Schüler dem Virus schutzlos ausgesetzt sind und die Politik offenbar auf ihre Durchseuchung setzt.

"Schulen sind aktuell keine sicheren Lernräume", heißt es zum Beispiel im Schreiben der Initiative #WirWerdenLaut an Bildungs- und Gesundheitspolitiker. "Wir werden in überfüllte Klassenräume mit unzureichenden Infektionsschutzmaßnahmen gezwungen. Damit werden vermeidbare Infektionen mit "milden” Verläufen oder gar Todesfälle bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien in Kauf genommen." Der aktuelle Durchseuchungsplan sei unverantwortlich und unsolidarisch.

Priens Äußerung löste daher einen Shitstorm und einen Twitter-Trend unter dem Hashtag #PrienRücktritt aus. Die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl zum Beispiel schrieb: "Als Mutter eines Kindes mit einer Vorerkrankung werde ich für immer darum kämpfen, dass Leute wie Sie keinerlei Macht und Einfluss mehr haben."

Nutzer wirft Prien Einteilung in "wertes und unwertes Leben" vor

Kritik an ihrer Politik dürfte Karin Prien gewohnt sein – Kultusministerinnen und -minister stehen schon in "normalen" Zeiten unter Dauerbeschuss. Auch in ihrer eigenen Partei erntet die als liberal geltende Prien immer wieder heftigen Widerspruch vom konservativen Flügel.

Die Grenze war für sie aber offenbar überschritten, als in der aktuellen Debatte auch ihr jüdischer Glaube ins Spiel gebracht wurde. Ein Nutzer schrieb: "Ich fordere Sie hiermit auf, sich davon zu distanzieren, Kinder in wertes und unwertes Leben einzuteilen. Niemand mit ein bisschen Verstand wird diesen Tweet anders lesen und es ist geradezu grotesk, dies von einer Mutter dreier Kinder mit jüdischen Vorfahren zu lesen."

Der Nutzer hat seinen Tweet inzwischen gelöscht. Für Prien war damit allerdings ein "Tiefpunkt" erreicht, wie sie am Wochenende vor der Deaktivierung ihres Accounts schrieb.

Prien hat in den vergangenen Tagen nicht nur Kritik, sondern auch viel Solidarität erfahren. Ihre Kritiker wird sie mit dem Twitter-Stopp aber wohl kaum besänftigen. Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl warf Prien auf Twitter indirekt ein "Aufreibungs-Befindlichkeits-Spiel" vor. Familien mit vorerkrankten Kindern könnten sich nicht ständig provozieren lassen: "Es ist grausam, wir können nicht mehr."

Quellen:

  • Twitter-Accounts von David Ermes, Bruja und Natascha Strobl
  • ZDF.de: Markus Lanz vom 10. Februar 2022
  • Wirwerdenlaut.org
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