Das Dreikönigstreffen ist ein Stück freidemokratische Folklore. Im liberalen Stammland Baden-Württemberg läutet die Partei das politische Jahr ein. Für FDP-Chef Christian Lindner ist es Gelegenheit für eine Abrechnung - und einen Ausblick. Kommt ein neuer Jamaika-Vorstoß?

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Gruß und Segen der Weisen aus dem Morgenland nimmt auch der unreligiöse Christian Lindner gern entgegen. "Wir fühlen uns spirituell bestärkt", sagt der FDP-Chef und steckt Geld in die Sammelbüchse, die die Sternsinger im Gewand der Heiligen Drei Könige mitgebracht haben zum Dreikönigstreffen seiner Partei in Stuttgart.

Im Jahr 2019 mit seinen Landtags- und Europawahlen kann die FDP jede Bestärkung gebrauchen. Lindner demonstriert Machtwillen, wirbt um Grünen-Sympathisanten - und versichert den eigenen Leuten, dass man so gut dastehe wie selten. In den Worten der Heiligen Drei Könige: "Frohsinn, Friede und Einigkeit".

Lindner gibt sich kokett

Da habe doch wer von einer "Krise der Liberalen" geschrieben, sagte Lindner auf der Bühne des Stuttgarter Opernhauses, hinter ihm junge Hoffnungen der Partei und Führungspersonal in lockerer Anordnung auf grau-weißen Sofas.

"Ich hab' mir vorgestellt, im Himmel: Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff, Guido Westerwelle. Die haben das gelesen und die wünschen sich, dass diese Krise der FDP möglichst lange anhalte." Umfragewerte von 10 Prozent hätten die gerne gehabt!

Kokett bezeichnet sich Lindner, der an diesem Montag 40. Geburtstag feiert, als Dinosaurier unter den deutschen Parteichefs. Was er lange gefordert hat - Merkel muss weg -, ist geschehen. Aber was nun?

Harte Linie gegen Annegret Kramp-Karrenbauer

Mit Merkels Nachfolgerin als CDU-Chefin geht Lindner nicht minder hart ins Gericht. Immer wieder habe Annegret Kramp-Karrenbauer Steuererhöhungen ins Spiel gebracht, ihre gesellschaftspolitischen Ansichten bereiteten ihm fast schon Bauchschmerzen.

Er erinnert daran, dass sie einst die "Ehe für alle" in einem Atemzug mit Inzest und Polygamie genannt hatte. "Das ist nicht nur konservativ, das ist sogar reaktionär." Lindner warnt inzwischen sogar vor einer "Rückabwicklung" von Merkels moderner Gesellschaftspolitik.

Gewohnt heftig keilt Lindner in seiner mehr als einstündigen Rede gegen die Grünen. Ihnen und ihren Sympathisanten unterstellt er, sie werkelten an einer Art Öko-Diktatur.

"Wir werden Zeugen, dass Wirtschaft und Gesellschaft gegenwärtig fundamental umgebaut werden: weniger Fleisch, weniger Mobilität, weniger Produktion. Alles entschieden von wohlmeinenden Politikerinnen und Politikern sozusagen am Grünen Tisch. Und die Menschen haben sich dem zu unterwerfen."

Möglicherweise eifersüchtig auf die bis zu 20 Prozent der Grünen bei Umfragen hält Lindner der Partei ein eigenes Klima- und Verkehrskonzept entgegen. Und er erinnert daran, dass liberale Spitzenpolitiker wie der damalige Innenminister Genscher schon in den 70er und 80er Jahren liberale Umweltpolitik betrieben haben.

"Ich empfehle uns, diese Traditionslinie der Freien Demokraten in Zukunft auch wieder stärker hervorzuheben", appelliert Lindner.

Helfen soll ein marktwirtschaftlicher Mechanismus, ein Preis für das Treibhausgas CO2, der in dem Maße steigt, wie es reduziert werden soll - so werde sich die effektivste Lösung von selbst ergeben. Minutiöse Klimaschutzpläne für die Jahre 2030 und 2050 lehnt er hingegen ab. "Die Sowjetunion hat sich nur Fünf-Jahres-Pläne zugetraut."

FDP-Chef streckt Hand Richtung Regierung aus

Abgrenzung ist wichtig, doch auf immer gar nicht regieren, das ist auch keine Lösung. "Wer uns ein faires Angebot zur Erneuerung des Landes macht, der kann zu jeder Zeit damit rechnen, dass wir bereit sind, Verantwortung für dieses Land zu übernehmen", verspricht Lindner.

Das sei seit 2017 Grundposition, fügt er sicherheitshalber noch hinzu. Der Anlauf zur Jamaika-Koalition mit Union und Grünen ist damals nach seiner Lesart an mangelnder Kompromissbereitschaft der Partner gescheitert. Aber die haben ja mittlerweile das Führungspersonal ausgetauscht, und so wirbt Lindner wieder.

Ob die FDP punkten kann, dafür ist die Europawahl im Mai ein erster Test. Ausgerechnet sein wichtigster Verbündeter, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, wirkt reichlich angeschlagen nach wochenlangen Gelbwesten-Protesten.

"Schauderhafte Bilder" seien das, sagt Lindner. Aber Macron spreche doch unangenehme Wahrheiten zu notwendigen Wirtschaftsreformen aus: "Die Menschen wollen nicht eingelullt werden." Er habe endlich eine Antwort aus Berlin auf seine Reformvorschläge verdient.

Es gehe um die großen Fragen, sagt Lindner, in Zeiten von US-Präsident Donald Trump und Brexit. "Wir wollen ein Europa der Freiheit und Vielfalt", ruft er in den stucküberzogenen Saal.

"Diese Europawahl 2019, das ist nicht wie in der Vergangenheit schon einmal eine nationale Protestwahl. Diese Europawahl ist eine europäische Richtungswahl, und deshalb gehen wir mit aller Kraft in diese Auseinandersetzung." (ank/dpa)  © dpa

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