Polen gibt auch angesichts des steigenden Drucks beim EU-Sondergipfel im Flüchtlingsstreit nicht bei. Die Regierenden weigern sich strikt, Migranten aufzunehmen. Auch in der katholisch geprägten Bevölkerung macht sich Stimmung gegen Einwanderer breit.

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Die Anti-Flüchtlingsstimmung in Polen bekämpft Warschau mit einer Kampagne in Metro und Bussen. "Soll ich Angst vor meinem Nachbarn haben, weil er ein Muslim ist?", fragt eine Frau in dem Spot, der derzeit über Bildschirme im Nahverkehr flimmert.

"Wir werden unsere Kinder nicht in Angst vor Ausländern erziehen", sagt ein Elternpaar. Mit der Initiative wirbt die von der Opposition regierte Hauptstadt für Toleranz und Respekt für Migranten - und widersetzt sich dem Kurs der konservativen Regierung, die die von der EU geforderte Aufnahme von Flüchtlingen nach einer Quote ablehnt.

Regierungspartei wehrt sich gegen Flüchtlingsaufnahme

Seit ihrer Amtsübernahme 2015 wehrt sich die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gegen die Aufnahme von Migranten. Die Einwilligung ihrer Vorgänger, im Rahmen der Quotenlösung etwa 7.000 Menschen ins Land zu lassen, nahm sie wieder zurück.

Der Widerstand der Nationalkonservativen bleibt auch angesichts des steigenden Drucks beim EU-Sondergipfel ungebrochen: Polen werde eine Umverteilung von Flüchtlingen unter keinen Umständen akzeptieren, sagte Europaminister Konrad Szymanski der "Welt". Den Vorschlag von Kanzlerin Angela Merkel, die Auszahlung von EU-Geldern an das Engagement beim Thema Flüchtlinge zu binden, nannte er einen Fehler.

Schon die Willkommenspolitik Merkels, die allein 2015 zu einem Zuzug von fast 900.000 Migranten ins Nachbarland führte, war der PiS ein Dorn im Auge. Nur weil Deutschland Migranten eingeladen habe, dürfe Polen nicht gezwungen werden, sie aufzunehmen, lautete die Kritik.

Warschau könne sich das im Gegensatz zu Deutschland nicht leisten, sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erst letzte Woche anlässlich seines Antrittsbesuchs in Berlin.

Die Nationalkonservativen hatten bereits im Wahlkampf Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht: PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, politischer Strippenzieher im Land, warnte vor Krankheiten und Parasiten.

Eine Welle muslimischer Flüchtlinge drohe Polen zu überrollen, hieß es von Anhängern seiner Partei. PiS-Politiker sahen nach Attentaten in Paris, Nizza und Berlin zudem ihre Sicherheitsbedenken bestätigt: Man wolle Terroranschlägen in Polen vermeiden, argumentierten sie.

Die Warnungen griffen mit der PiS sympathisierende Medien auf, Nutzer in sozialen Netzwerken malten zudem Schreckensszenarien von Flüchtlingsströmen aus. Dadurch wurde die Wahrnehmung der Polen laut Experten beeinflusst: "Ein Flüchtling, der bisher als Mensch galt, der seine Heimat verlässt, um sein Leben zu retten, wurde zum Vertreter einer 'verdächtigen Gemeinschaft', die keine positiven Emotionen mehr weckt", heißt es in einer aktuellen Studie von Migrationsforschern an Polens Akademie der Wissenschaften (PAN).

Widerspruch zwischen Vorstellung und Realität

Die Vorurteile wurden demnach von Medienberichten über Zustände im Ausland und nicht durch die Lage im Land geprägt: Nur die wenigsten Polen hätten je selbst einen Flüchtling getroffen, so wenige gebe es von ihnen im Land, heißt es weiter in dem Bericht.

Laut Warschauer Einwanderungsbehörde wurde im letzten Jahr 520 Menschen der Flüchtlingsstatus zuerkannt. 70 Prozent davon waren Russen. "Die Widersprüche zwischen Vorstellung und Realität spiegeln die Rolle der Politik wieder", schlussfolgern die PAN-Experten und meinen, aus dem Flüchtlingsstreit werde politisches Kapital geschlagen.

Denn die PiS ist trotz oder wegen ihres EU-Konfrontationskurses beliebteste Partei im Land. Die Polen fühlen sich in der Flüchtlingsfrage offenbar gut vertreten: Die Mehrheit der Bürger gab in Umfragen sogar an, lieber aus der EU auszutreten als Migranten aufzunehmen. Nationalistische Stimmungen im Land nahmen zu. NGOs und der Ombudsmann für Bürgerrechte, Adam Bodnar, warnten vor einer Zunahme rassistisch motivierter Übergriffe.

Nicht einmal Aufforderungen von Papst Franziskus, Nächstenliebe zu zeigen, brachten die Regierung des katholisch geprägten Landes dazu, den Dauerstreit mit der EU beizulegen. Denn in der Flüchtlingsdebatte zeigten sich selbst polnische Kirchenvertreter gespalten. Erzbischof Henryk Hoser warnte ebenfalls vor einer Islamisierung Europas.

Doch kürzlich schlug der Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanislaw Gadecki, andere Töne an: Bei der Flüchtlingsfrage komme der Mensch und nicht das Staatsinteresse oder die nationale Sicherheit an erster Stelle, sagte er.

Die Hilfe vor Ort, die Polen in Transitländern leiste, sei nicht genug. Er hoffe, die Regierung werde humanitäre Korridore einrichten, betonte er. "Zu manchen Gedanken muss man reifen."  © dpa

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