Bereits während des Ukraine-Kriegs waren die Vereinten Nationen nicht in der Lage, Frieden zu schaffen. Jetzt scheitern sie abermals dabei, beim Krieg im Nahen Osten zu vermitteln.

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Es klingt schon fast wie Satire. Vergangenen Donnerstag übernahm der Iran den Vorsitz im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen. Ausgerechnet das Regime in Teheran, das seit Jahren blutig die Opposition im eigenen Land niederschlägt, Frauen unterdrückt und Homosexuelle hinrichtet, soll über Menschenrechte entscheiden. Trotz heftiger Kritik hielt der Präsident des Menschenrechtsrats, Vaclav Balek, an der Entscheidung fest – und das ohne Abstimmung mit anderen Staaten: Die Mitglieder des Rates selbst wurden nicht an der Entscheidung beteiligt, wie die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf das Auswärtige Amt berichtet.

Der Vorsitz des Iran ist der vorläufige Tiefpunkt in einer langen Kette von fragwürdigen Entscheidungen, die im wichtigsten Gremium der Weltgemeinschaft getroffen wurden. Ursprünglich waren die Vereinten Nationen von US-Präsident Franklin D. Roosevelt als Antwort auf den Zweiten Weltkrieg erdacht worden. Gemäß ihrer Charta sind die Sicherung des Weltfriedens, die Einhaltung des Völkerrechts, der Schutz der Menschenrechte und die Förderung der internationalen Zusammenarbeit ihre wichtigsten Aufgaben. Doch gerade hier scheinen sie aktuell zu scheitern.

Russische Blockade im Sicherheitsrat

Die Bilanz der letzten Jahre ist ernüchternd: Als Russland im Februar 2022 seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine startete, saßen in New York gerade die 15 Botschafter des Weltsicherheitsrates, des wichtigsten Gremiums in Sicherheitsfragen, zusammen und diskutierten über die mögliche Kriegsgefahr in Osteuropa. Anstatt den Austausch zu suchen, schaffte Russlands Präsident Putin derweil Fakten und marschierte ins Nachbarland ein. Die anderen Mitglieder des Sicherheitsrates erfuhren von dem Angriff laut Informationen des "Handelsblatt" aus den Nachrichten.

Aber auch nachdem der Angriff öffentlich geworden war, konnte der Sicherheitsrat seiner Aufgabe, Frieden zu schaffen, nicht nachkommen. Eine Resolution im Sicherheitsrat vom 25. Februar 2022, deren Ziel es war, den russischen Angriffskrieg zu verurteilen und die russische Armee zum Rückzug aufzufordern, scheiterte letztlich am Veto des Aggressors Russland.

Vergangene Woche hatte dann die sogenannte Gaza-Resolution Aufsehen erregt. Bei der UN-Generalversammlung wurde in dieser Resolution eine Waffenruhe in Gaza gefordert, ungehinderte humanitäre Hilfe und die Freilassung aller "gefangenen Zivilisten". Die USA und Israel lehnten die Resolution ab, da sie darauf verzichtete, die Hamas als Verursacher des Krieges klar zu benennen. Deutschland enthielt sich und löste damit wiederum internationale Kritik aus. Ein Waffenstillstand ist hingegen bis heute nicht erfolgt, genauso wenig wie eine Freilassung der Geiseln aus den Händen der Hamas.

Brauchen wir die Vereinten Nationen überhaupt noch?

Bei den jüngsten Beispielen fällt auf: Die Vereinten Nationen scheinen immer mehr zu einer Bühne für die Durchsetzung der eigenen Interessen zu werden. Den eigentlichen Zweck, nämlich gemeinsam an einer friedlicheren Welt zu arbeiten und Konflikte durch Diplomatie zu lösen, verfehlt das Gremium offenbar. Es stellt sich die Frage: Brauchen wir die Vereinten Nationen überhaupt noch oder sind sie ein Relikt aus einer vergangenen Zeit?

Manuela Scheuermann ist Professorin für Internationale Beziehungen an der Universität Würzburg und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. Gegenüber unserer Redaktion verteidigt sie die Institution: "Wenn es die Vereinten Nationen nicht bereits gäbe, müssten wir sie gerade jetzt erfinden." Zwar gebe es einige Defizite, sagt Scheuermann: "Natürlich sind die Vereinten Nationen auch eine Arena für Machtspielchen und Machtpolitik, gerade solcher Staaten, die im Sicherheitsrat sitzen." Allerdings werde der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der Nahost-Krieg nicht stillschweigend akzeptiert.

So betreibe der UN-Generalsekretär Antonio Guterres "stille Diplomatie" und bemühe sich, die Fäden auch nach Russland nicht abreißen zu lassen, sagt die Politikwissenschaftlerin: "Er appelliert an das humanitäre Gewissen der Welt, täglich derzeit in Bezug auf Israel und Palästina."

Scheuermann verweist darüber hinaus darauf, dass die Vereinten Nationen aus mehr bestehe als lediglich dem Sicherheitsrat. "Der Internationale Gerichtshof wie auch der eng mit den Vereinten Nationen verbundene Strafgerichtshof protokollieren die Verbrechen in der Ukraine", erklärt Scheuermann. Und die Generalversammlung der UN hatte das russische Vorgehen in der Ukraine – trotz des russischen Vetos im Sicherheitsrat – im März 2022 mit einer Mehrheit von 140 Stimmen verdammt.

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Expertin sieht Verbesserungsbedarf

Im Falle des UN-Sicherheitsrates, der immer wieder wegen der Vetos der Großmächte Anlass für Kritik bietet, sieht aber auch Scheuermann Verbesserungsbedarf. Es gebe Überlegungen, die Generalversammlung gegenüber dem Sicherheitsrat zu stärken, sodass die Notstandssondertagungen, die es derzeit im Falle der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten gebe, zu einer festen Einrichtung würden.

Letztlich könne man aber der Lähmung der Vereinten Nationen dauerhaft und nachhaltig nur dann begegnen, wenn der Glaube an den Mehrwert der Vereinten Nationen in allen Staaten fest verankert ist und deren Normen zur Richtschnur des außenpolitischen Handelns werden: "Es braucht Koalitionen überzeugter Multilateralisten mit Strahlkraft, dann kann das Ruder vielleicht herumgerissen werden."

Über die Gesprächspartnerin:

  • Manuela Scheuermann ist Professorin für Internationale Beziehungen an der Universität Würzburg und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen.

Verwendete Quellen:

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