In der "New York Times" schreibt ein anonymer Regierungsmitarbeiter von Widerstand gegen US-Präsident Donald Trump in den eigenen Reihen. Beschädigt die Zeitung damit die Glaubwürdigkeit des Journalismus? Und greift Trump jetzt noch radikaler durch? Medien und Experten diskutieren - und sind oft uneins.

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Der anonyme Gastbeitrag in der "New York Times" (NYT) über angeblich systematischen Widerstand gegen US-Präsident Donald Trump in den eigenen Reihen hat die Regierung in Aufruhr versetzt. In dem Artikel heißt es, hochrangige Regierungsmitarbeiter vereitelten bewusst die Umsetzung von Plänen Trumps, um Schaden vom Land abzuwenden. Der US-Präsident tobt, die Suche nach dem Autor hat begonnen.

Schadet die "New York Times" sich selbst?

Dass die NYT einen Gastbeitrag ohne Namen veröffentlicht, ist ungewöhnlich. Die Redaktion argumentiert, die anonyme Veröffentlichung sei die einzige Möglichkeit, den Autor zu schützen und den Lesern zugleich "eine wichtige Sichtweise zu übermitteln".

Bernhard Goodwin, Experte für Medienforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, kann sich dieser Argumentation nur bedingt anschließen: "Ich finde eine öffentliche Debatte mit offenem Visier besser. Aber die besonderen Umstände des Autors lassen diesen anonymen Beitrag zu." Der Artikel schade laut Goodwin der NYT nicht.

Diese Meinung vertritt auch Stephan Weichert, der an der Hamburg Media School (HMS) lehrt: "Die NYT macht von ihrer Möglichkeit des Quellenschutzes Gebrauch." Die Anonymisierung des Beitrags sei hinreichend mit dem Schutz der beruflichen Position des Autors begründet.

Solche Informanten hätten in der Regel kaum Möglichkeiten, sich rechtlich zu schützen, wenn sie mit sensiblen Informationen an die Öffentlichkeit gehen. "Daher gilt es, ihre Identität geheim zu halten", erläutert Weichert. Das habe der Fall Edward Snowden damals gezeigt.

Beschädigt der Beitrag die Glaubwürdigkeit des Journalismus?

Obwohl die NYT vielleicht nicht sich selbst schadet, ist die Veröffentlichung des Beitrags unter den Medien umstritten. Sie schadet nach Ansicht der spanischen Zeitung "El Mundo" dem Journalismus an sich. Die Veröffentlichung des Artikels untergrabe den Glauben der Bürger. Mit diesem Beitrag, "den kein Autor unterschrieben hat, der für den Inhalt und somit den Wahrheitsgehalt verantwortlich ist", überschreite die Zeitung eine rote Linie.

"Die einflussreichste Zeitung Amerikas experimentiert hier mit einer gefährlichen Verschiebung von informativer Arbeit hin zu reinem Aktivismus", so "El Mundo" weiter.

Diese Meinung vertritt auch die "Neue Züricher Zeitung": "Es ist ja gerade die wichtigste Charakteristik des seriösen Journalismus, dass seine Aussagen überprüfbar sind." Darstellungen mit anonymen Quellen könnten dem Leser zwar eine Idee davon geben, was sich hinter verschlossenen Türen abspielte. Aber zur glaubhaften Wahrheitsfindung brauche es auf Fakten basierte, überprüfbare Recherchen.

Den Vorwurf des Aktivismus lässt Weichert nicht gelten: "Reinen Aktivismus kann ich nicht erkennen, da es sich um einen Meinungsbeitrag handelt, der als solcher gekennzeichnet wurde." Es sei natürlich immer eine Frage der Abwägung, welche Interessen mit solchen Enthüllungen einhergehen.

"Da die Quelle der Redaktion bekannt ist, dürfen wir Leser aber davon ausgehen, dass die Person auf ihre Glaubwürdigkeit hin überprüft wurde." Außerdem vertritt Weichert die Meinung, dass es das Recht und die Pflicht der Presse sei, "unablässig Fragen zu stellen, ob der Präsident geistig in der Lage ist, dieses wichtige politische Amt zu bekleiden".

Welchen Einfluss hat der Beitrag auf die Fake-News-Debatte?

In Hinblick auf die Fake-News-Debatte spielt der anonyme Beitrag nach Ansicht der Zeitung "El Mundo" in die Karten der Trump-Anhänger. Diese Kompetenzüberschreitung gebe leider denen Munition, die wie Trump eine Verleumdungskampagne gegen die Presse organisieren und sie beschuldigen, "der Feind des Volkes" zu sein.

Das sieht Goodwin ähnlich: "Wie jeder Angriff schließt der Beitrag die Reihen der starken Unterstützer." Allerdings seien diejenigen, die Trump ins Weiße Haus gebracht haben, zu einem guten Teil keine starken Unterstützer. "Es waren auch viele dabei, die Frau Clinton verhindern wollten oder die Sorge vor einem linkeren Kurs in einem demokratischen Weißen Haus hatten."

Weichert hingegen rechnet damit, dass sich die Fake-News-Debatte in den USA bald erledigen wird. "Immer mehr Menschen begreifen, dass Trumps Anschuldigungen gegenüber der Presse haltlos und bösartig sind und seiner Fantasie entspringen."

Könnte Trump jetzt noch radikaler durchgreifen?

Ob der anonyme Beitrag Trump dazu veranlassen wird, noch radikaler durchzugreifen, bleibt abzuwarten. "Sicherlich stärkt es nicht sein Vertrauen in seine direkte Umgebung", erklärt Goodwin. Alles andere könne man aus der Ferne allerdings nicht sagen.

Weichert hingegen hält es nicht für ausgeschlossen, dass Trump in "Bulldozer-Manier" durchgreifen und solange keine Ruhe geben wird, bis der Autor enttarnt ist: "Es ist wie bei Kampfhunden, die noch aggressiver werden, wenn man sie provoziert."

Bernhard Goowin ist Leiter der Geschäftsstelle des Departments Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Ludwigs-Maximilians-Universität (LMU) München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissenschafts- sowie Umweltkommunikation und Datenjournalismus.
Stephan Weichert leitet den Masterstudiengang "Digital Journalism", das "Urban Storytelling Lab" und das "Digital Journalism Fellowship"-Programm an der Hamburg Media School (HMS). Zuletzt hat er gemeinsam mit Leif Kramp das Whitepaper "Hasskommentare im Netz. Steuerungsstrategien für Redaktionen." veröffentlicht.
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