• CDU-Chef Merz befürchtet einen Strom-Blackout durch Abschalten der verbliebenen Kernkraftwerke Ende des Jahres.
  • Doch Experten widersprechen da: Das deutsche Stromnetz sei auch bei abgeschalteten Kernkraftwerken "stabil".
  • Derweil weist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz auf Selbsthilfetipps für Bürger bei kurzfristigen Stromausfällen hin.

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Der Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz warnte bereits vor einer Woche: Wenn nur jeder fünfte Gaskunde mit Strom heizen würde, und die Atomkraftwerke nicht am Netz bleiben würden, käme es zu Blackouts, so Merz zur "Bild am Sonntag".

Kann sich also Deutschland diesen Schritt der Abschaltung der letzten AKWs überhaupt erlauben? Um die Folgen des Herunterfahrens der Kernkraftwerke für das Stromnetz bemessen zu können, hat Wirtschaftsminister Habeck einen "Stresstest" erstellen lassen. Sein Fazit: zwei der drei Kraftwerke sollen noch in einer Notreserve verbleiben.

Das AKW Emsland soll Ende des Jahres wie geplant heruntergefahren werden. Die Kraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 hingegen sollen in einem Zustand gehalten werden, der zwar keinen Weiterbetrieb darstellt, jedoch im Notfall ein Hochfahren ermöglicht. Dies kann jedoch, wenn es notwendig werden sollte, sechs bis acht Tage dauern. Die Stromnetzbetreiber sehen das Vorhaben des Ministers kritisch und hätten befürwortet, die Kraftwerke weiterzubetreiben, wie tagesschau.de berichtet.

Expertin Kemfert: "Selbst in absoluten Extremsituationen kann Deutschland auf ausreichende Reserven zurückgreifen"

Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht das anders. "Strom ist derzeit in Deutschland nicht knapp, auch das Netz ist stabil", sagt die Energieexpertin im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Stresstests hätten gezeigt, dass es nur in "absoluten Extremsituationen" zu einem angespannten Strommarkt kommen könne. Auch Daten des Statistischen Bundesamtes machen deutlich, welch geringen Stellenwert die Atomkraft innerhalb der Quellen der Stromerzeugung in diesem Jahr überhaupt noch hat.

Im ersten Halbjahr 2022 machte die Atomkraft noch 6 Prozent der Gesamtstromerzeugung aus. Im Jahr davor waren es noch 12,4 Prozent. Die Reduzierung dieses Anteils ist die Folge des fortschreitenden Atomausstiegs in Deutschland. Für den Anteil des Stroms, der bisher aus den aktuell wegfallenden russischen Gaslieferungen produziert wurde, springen derzeit schon Kohlekraftwerke ein.

Deutschland exportiert gegenwärtig sogar Strom ins europäische Ausland, erklärte auch Wirtschaftsminister Habeck bei der Vorstellung des Stresstestes. Die Gefahr eines Blackouts bestehe hingegen viel eher in Frankreich, sagt Claudia Kemfert vom DIW. Dort seien derzeit viele Atomkraftwerke nicht am Netz. Dass sich diese Unterversorgungssituation bis nach Deutschland ausbreite, weil beide Länder Teil eines europäischen Stromnetzes sind, sei aber nicht zu erwarten, so die Energieökonomin. "Selbst in absoluten Extremsituationen kann Deutschland auf ausreichende Reserven zurückgreifen," sagt die Professorin für Energiewirtschaft.

Hierfür sei jedoch wichtig, dass in der deutschen Struktur der Energieversorgung mehr auf kurzfristige Kapazitäten der Erneuerbaren Energien gesetzt werde. Zudem sollten die Menschen von sich aus darum bemüht sein, Strom einzusparen.

"Grundsätzlich hat Deutschland ein sehr sicheres Stromnetz", sagt auch ein Sprecher des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BKK). Die Bundesnetzagentur hat für 2020 berechnet, dass die durchschnittliche Versorgungsunterbrechung pro Person bei 10,72 Minuten im gesamten Jahr lag.

Dennoch sei ein vorübergehender großflächiger Stromausfall nicht gänzlich auszuschließen. Ursachen seien hier jedoch dann eher etwa Naturkatastrophen oder Cyberangriffe. Stromausfälle wegen Gasmangel hingegen hält der Sprecher des BKK zwar nicht für unmöglich, zu erwarten seien sie seiner Einschätzung nach allerdings nicht.

Für den Fall, dass doch ein kurzfristiger Strommangel auftreten würde, gäbe es Maßnahmen, dass diese lokalen Mangelsituationen auf alle Bereiche des Stromnetzes verteilt werden würden. So ließe sich die Unterversorgung dann jeweils besser auffangen. Zu solchen Situationen führt die Bundesnetzagentur regelmäßig Stresstests durch.

Es gibt Notfallpläne für den Ernstfall

Ein Stromausfall, so unwahrscheinlich er ist, hätte die größten negativen Auswirkungen in der sogenannten "kritischen Infrastruktur". Hierzu zählen die Kommunikationssysteme, Gesundheitseinrichtungen oder die Wasserversorgung. Zudem verstärke sich die Problematik dadurch, dass die Abhängigkeit der Gesellschaft von diesen Sektoren immer mehr zunehme, so das BKK.

Die Betriebe innerhalb der "kritischen Infrastruktur" sind allerdings angehalten, eine Notstromversorgung vorzuhalten, die deren Weiterbetrieb für 72 Stunden sichern soll. Zudem sind die Bundesländer und Kommunen gegenüber den jeweiligen besonders sensiblen Betrieben verpflichtet zu überwachen, dass es Notfallpläne für den Ernstfall gibt.

Da aber ein Stromausfall, der auf unterschiedlichen Ursachen beruhen kann, nie grundsätzlich ausgeschlossen werden kann, bietet das "Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe" Hinweise für die Bevölkerung an. Diesen Ratgebern kann jeder Bürger entnehmen, wie er sich in Situationen verhalten kann, in denen die Heizung ausfällt, oder plötzlich das Licht ausgeht.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt
  • Gespräch mit einem Sprecher des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe
  • bmwk.de: Stresstest zum Stromsystem
  • bbk.bund.de: Stromausfall
  • destatis.de: Stromerzeugung im 1. Halbjahr 2022: 17,2 % mehr Kohlestrom als im Vorjahreszeitraum
  • tagesschau.de: Nach Stresstest: Habecks grüner Weg mit Notausgang
  • Bild am Sonntag: "Uns droht Anfang nächsten Jahres ein Blackout"
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