Mit viel Einsatz und vor allem viel Geld hat Deutschland sein Gesundheitssystem auf die Corona-Pandemie vorbereitet. Die Krankenhäuser rüsteten ihre Intensivstationen auf - und wurden dafür vom Staat subventioniert. Doch offenbar ist bei der Vergabe der Steuergelder etwas schief gelaufen. Denn eigentlich müsste es laut der ausgezahlten Beträge viel mehr Intensivbetten geben.

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Es war ein Wettlauf gegen die Zeit. Als im März die Angst einflößenden Bilder aus den mit zu vielen COVID-19-Patienten völlig überlasteten Intensivstationen der norditalienischen Krankenhäuser nach Deutschland kamen, stellte sich die bange Frage: Ist das deutsche Gesundheitssystem den Anforderungen durch die Corona-Pandemie gewachsen?

Mit Hochdruck arbeiteten Politik und Medizin an der Bereitstellung von Intensivbetten, um den drohenden Kollaps im Falle eines massiven Anstiegs von Erkrankungen zu vermeiden.

Die im weltweiten Vergleich ohnehin schon hohe Zahl an rund 28.000 Betten mit Beatmungsmöglichkeiten sollte nach den Vorgaben der Bundesregierung aufgestockt werden.

Spahn: 50.000 Euro Bonus für jedes zusätzliche Intensivbett

Um die Krankenhäuser für die Versorgung von schwer erkrankten Corona-Patienten zu entlasten, wurden - soweit medizinisch vertretbar - alle planbaren stationären Behandlungen und Operationen auf unbestimmte Zeit verschoben.

Die dadurch entstehenden wirtschaftlichen Folgen für die Krankenhäuser werden laut "COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz" von Ende März seitens des Staates ausgeglichen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn versprach beispielsweise einen Bonus von 50.000 Euro pro zusätzlich geschaffenem Intensivbett.

Deutschlands rund 1.300 Akut-Krankenhäuser wurden von Spahn außerdem gesetzlich verpflichtet, zentral ihre Belegungsdaten beim sogenannten "DIVI-Intensivregister" zu melden. Aktueller Stand Mitte Juli: Rund 32.500 Intensivbetten stehen zur Verfügung, 21.500 davon sind belegt, 11.000 frei.

Staatssekretär: Wo sind die fehlenden 7.305 Intensivbetten?

Insgesamt lässt sich die Strategie als erfolgreich bezeichnen, bislang kam es zu keinem medizinischen Engpass – auch, weil sich die Corona-Pandemie durch die ergriffenen Maßnahmen in Deutschland nicht so schlimm ausgewirkt hat.

Doch finanziell scheint nicht alles ganz so glatt abgelaufen zu sein. Dies legt ein Bericht des ARD-Politikmagazins "Kontraste" nahe. Demnach hat man im Bundesgesundheitsministerium eine Diskrepanz entdeckt: Die Zahl der gemeldeten Intensivbetten entspricht nicht dem ausgezahlten Geld.

Staatssekretär Thomas Steffen monierte in einem internen Schreiben an die Bundesländer, das dem Magazin vorliegt, dass Intensivbetten fehlten, "die auf Grund der ausgezahlten Förderbeträge rein rechnerisch aber vorhanden sein müssten".

AOK: Fehlbetrag von 366 Millionen

Der AOK-Bundesverband bestätigte unserer Redaktion gegenüber die Existenz des Schreibens. Steffen konstatierte darin zum 24. Juni 2020 einen Stand von 7.305 fehlenden Betten. "Damit würde der Fehlbetrag bei 366 Millionen Euro liegen", schreibt die AOK.

Den ausgezahlten Steuergeldern entsprechend müssten eigentlich rund 39.700 Betten zur Verfügung stehen. Die AOK sieht die jeweiligen Bundesländer in der Verantwortung: Diese hätten "im Rahmen der Aufsicht Möglichkeiten, die Validität der Meldungen zu prüfen. Gegebenenfalls könnten die Länder auch Prüfungen in den Krankenhäusern vor Ort veranlassen."

Gesundheitsminister Spahn bestätigte am Donnerstagnachmittag auf einer Pressekonferenz ebenfalls die Existenz des Schreibens und erklärte, man versuche gemeinsam mit den Gesundheitsministern der Länder nachzuvollziehen, ob die Fördermittel tatsächlich genutzt wurden, um Intensivbetten aufzubauen.

Intensivbett-Pauschale lädt zu Missbrauch und Betrug ein

Doch noch ein zweites Problem tut sich auf. Pro bereitgestelltem Bett für Corona-Kranke erhielten die Krankenhäuser zu Beginn der Krise eine Freihalte-Pauschale von 560 Euro. Für manche Kliniken, etwa psychiatrische Einrichtungen, lohnt sich die Bereitstellung. Bei Universitätskliniken decken sich die Kosten hingegen erst ab einer Unterstützung von etwa 800 Euro.

Die Pauschale setze "massive monetäre Anreize, sich aus der Versorgung zurückzuziehen. Damit schadet sie den Patientinnen und Patienten", bemängelt die AOK.

Selbst Spahn räumt inzwischen ein, dass durch die Pauschale die Gefahr von Missbrauch und Betrug steige. Es gebe das Risiko, dass wegen der Entschädigungszahlungen vor allem in jenen Bereichen Kapazitäten zur Verfügung gestellt werden, die für die Krankenhäuser weniger lukrativ sind, sagte Spahn am Montag in Berlin.

Um Betrug handele es sich, wenn die Pauschale zusätzlich beansprucht werde, obwohl die Betten bereits regulär abgerechnet worden seien, sagte Spahn. Seit Beginn der Coronakrise wurden laut Bundesamt für Soziale Sicherung schon 6,6 Milliarden an Steuergeldern an die Krankenhäuser ausbezahlt. Eine Kontrolle gebe es zwar, aber diese sei nur nachgelagert möglich, räumte Spahn ein.

Neue Regel birgt ebenfalls Fallstricke

Eine derartige pauschale Maßnahme würde aus heutiger Sicht nicht noch einmal getroffen werden, sagte der Gesundheitsminister weiter. Aber in der damaligen Situation hätten Betten freigezogen werden müssen, "nicht wissend, in welchem Umfang wir sie brauchen werden", sagte Spahn. Inzwischen sei es viel besser möglich, Bettenkapazitäten zu steuern.

Seit 1. Juli beträgt die Entschädigung für die Krankenhäuser nicht mehr pauschal 560 Euro pro Bett, sondern variiert zwischen 360 und 760 Euro pro Tag. Dadurch wollte Spahn Fehlentwicklungen vermeiden – mit allerdings mäßigem Erfolg.

Denn beispielsweise bekommen neben den Universitätskliniken auch alle orthopädischen Kliniken den Höchstsatz von 760 Euro, auch unter Verweis auf den hohen "Sachkostenanteil". Das Problem dabei: Wenn ein Bett freigehalten wird und dadurch keine Operation stattfindet, sinkt dieser Sachkostenanteil deutlich - etwa, weil keine teuren künstlichen Hüft- oder Kniegelenke implantiert werden.

Verwendete Quellen:

  • Schriftliche Stellungnahme des AOK-Bundesverbands
  • www.tagesschau.de: "Hilfen für Krankenhäuser - Wo sind 7305 Intensivbetten geblieben?"
  • Webseite des Bundesgesundheitsministeriums
  • Webseite des Bundesamts für Soziale Sicherung
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