- Die Türkei verlässt die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen.
- Das Abkommen sei von Menschen vereinnahmt worden, "die versuchten, Homosexualität zu normalisieren", behauptet die türkische Führung.
- Kritiker fürchten einen Rückschritt für den Kampf um Frauenrechte.
Tausende Menschen in der Türkei haben gegen den Austritt des Landes aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen protestiert. Bei der Demonstration im Zentrum der Millionenmetropole Istanbul setzte die Polizei am Donnerstagabend Tränengas gegen die Teilnehmenden ein und versuchte so, die Menge aufzulösen.
In Sprechchören skandierten die Protestierenden unter anderem: "Wir werden sie dazu bringen, die Istanbul-Konvention umzusetzen." Die Polizei war mit etlichen Kräften im Einsatz, viele Straßen wurden abgeriegelt, die Beamten versuchten immer wieder, den Demonstrationszug zu stoppen.
Auch in der Küstenmetropole Izmir, der Hauptstadt Ankara und anderen türkischen Städten gab es Proteste. Die Demonstrationen fanden unter massivem Polizeiaufgebot statt. Präsident Recep Tayyip Erdogan verteidigte unterdessen den umstrittenen Schritt.
Worum es in der Istanbul-Konvention geht
Die Istanbul-Konvention war 2011 vom Europarat ausgearbeitet worden. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, Gewalt gegen Frauen zu verhindern und zu bekämpfen und dazu einen Rechtsrahmen zu schaffen. Ziel ist eine "echte Gleichstellung von Frauen und Männern" und Diskriminierung abzuschaffen. Erdogan selbst hatte die Konvention in Istanbul - dem Ort der finalen Einigung - unterschrieben, damals noch als Ministerpräsident. Später wurde sie in der Türkei ratifiziert.
Im März diesen Jahres hatte Erdogan dann per Dekret den Austritt aus der Konvention verkündet, der mit dem 1. Juli vollzogen wurde. Als Grund gab die türkische Führung an, das Abkommen sei von Menschen vereinnahmt worden, "die versuchten, Homosexualität zu normalisieren". Eine Klage gegen das Dekret hatte das Oberste Verwaltungsgericht zurückgewiesen.
Die Entscheidung wurde scharf kritisiert. Die Generalsekretärin von Amnesty International, Agnès Callamard, sagte: "Die Türkei hat die Uhr für Frauenrechte um zehn Jahre zurückgestellt und einen erschreckenden Präzedenzfall geschaffen." Die Chefin der Föderation der Frauenverbände, Canan Güllü, sagte, Opfer von Gewalt in der Türkei hätten durch den Austritt aus der Konvention Angst und fragten sich, "wer sie schützen wird".
Erdogan rechtfertigt Entscheidung
Präsident Erdogan dagegen kritisierte in Ankara, dass manche "Kreise" versuchten, den Rückzug aus der Konvention als "Rückschritt" darzustellen. Er versicherte: "Unser Kampf gegen Gewalt an Frauen hat nicht mit der Istanbul-Konvention angefangen und endet auch nicht mit dem Rückzug aus dieser Konvention." Mit einem sogenannten "Aktionsplan" wolle man die Sensibilität der Gesellschaft für Gewalt gegen Frauen erhöhen.
Erdogan erklärte, die Türkei habe ohnehin schon ein effektives Gesetz gegen Gewalt, ohne Unterschiede etwa in Religion, Geschlecht oder "Rasse" zu machen. Diskriminierung wegen sexueller Orientierung ließ der Präsident aber in dieser Aufzählung aus. (dpa/mko)
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