• Italiens Ministerpräsident Conte ist Zitterpartien gewohnt.
  • Nach seinem Sieg im ersten von zwei Vertrauensvoten folgt im Machtkampf mit Ex-Premier Renzi am Dienstag ein Kräftemessen im Senat.
  • Vorgezogene Wahlen in Pandemie-Zeiten wollen in Italien nur wenige.

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Dramatische Appelle und knapp neun Stunden Ungewissheit: Im Kampf um sein politisches Überleben hat Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte die erste von zwei wichtigen Machtproben im Parlament in Rom gewonnen. Fünf Tage nach dem Auszug der Splitterpartei Italia Viva von Ex-Premier Matteo Renzi sprach die größere von zwei Kammern Contes Mitte-Links-Bündnis das Vertrauen aus. Der Sieg in der Abgeordnetenkammer war erwartet worden. Am Dienstag soll ein Showdown im kleineren Senat folgen. Dort könnte die Regierung mitten in der Corona-Pandemie noch scheitern.

In einer emotionalen Rede um die Mittagszeit hatte der 56 Jahre alte, parteilose Jurist in der brodelnden Regierungskrise um die Stimmen der Parlamentarier geworben. "Helfen Sie uns!", rief Conte während seiner fast einstündigen Rede. Er appellierte an "die Willigen" anderer Parteien, sein politisches Projekt zu stützen.

Conte deutete in der Rede im Abgeordnetenhaus an, dass noch Posten in seiner Mannschaft zu vergeben seien. Etwa das Agrarministerium, das er übergangsweise selbst führt. Den Namen seines Widersachers Renzi erwähnte der Premier nicht. Erst gegen 21 Uhr stand fest: Conte bekam 321 Stimmen und damit die absolute Mehrheit.

Renzi hatte am vergangenen Mittwoch die Koalition platzen lassen, als er mit seiner Italia Viva das Bündnis verließ. Conte und seine großen Koalitionskräfte, die Fünf-Sterne-Bewegung und die Sozialdemokraten, hatten seitdem in unzähligen Telefonaten um Überläufer und die Hilfe anderer Kleinparteien bemüht. Die seit September 2019 herrschende Koalition hatte sich an der Frage der Verteilung von Corona-Hilfen der EU entzweit.

Regierung braucht Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments

Die Regierung in Rom braucht Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments. Der Senat, in dem Conte am Dienstag die nächste Hürde nehmen muss, hat 321 Sitze. Dort hatte die Italia Viva mit 18 Stimmen bislang die Mehrheit Contes gesichert. Eine absolute Mehrheit ist mit 161 Stimmen erreicht. Wenn ein Premier das Vertrauen des Parlaments verliert, geht er in der Regel zum Staatspräsidenten und reicht seinen Rücktritt ein.

Das ist derzeit der Sozialdemokrat Sergio Mattarella (79). Der Staatschef hat in Krisenzeiten eine wichtige Rolle in Italien. Er kann dann einen anderen Politiker beauftragen, eine neue Regierung zu bilden. Wenn das Parlament zu zerstritten ist, erwirkt er in der Regel vorgezogene Wahlen. Er kann theoretisch auch Conte eine neue Chance geben.

Schnelle Wahlen sind bei vielen Kräften in Rom unbeliebt, nicht nur wegen der Herausforderungen der Pandemie. Das linke Lager befürchtet, dass rechte Parteien zulegen könnten. Matteo Salvini und seine rechte Lega betonten wiederholt, sie könnten eine Regierungsmehrheit mit anderen Parteien zustande bringen.

Außerdem hat Italien 2020 eine Wahlrechtsreform beschlossen. Demnach soll das Parlament verkleinert werden, und viele Abgeordnete würden damit ihre Sitze verlieren. Regulär wird das Parlament erst im Frühjahr 2023 neu bestimmt.

Allerdings betonten Regierungsmitglieder in den vergangenen Tagen, dass rechtlich gesehen auch eine "relative Mehrheit" ausreichend sei. "Die absolute Mehrheit ist für Änderungen am Haushalt und für sehr wenige andere Rechtsakte nötig. Und wenn sie gebraucht wird, werden wir sie haben", sagte Außenminister Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung einer Zeitung.

In der Pandemie geht es für Italien nicht nur darum, eine Regierung zu finden, die das Land aus der Krise führt. Italien muss auch einen Plan bei der EU vorlegen, um die rund 210 Milliarden Euro an Hilfen aus dem EU-Wiederaufbaufonds zu bekommen. Das 60-Millionen-Einwohner-Land wurde hart von Corona getroffen. Seit Februar 2020 starben offiziell schon mehr als 82.500 Menschen im Zusammenhang mit dem Virus. Die Behörden registrierten rund 2,4 Millionen Infizierte. (Petra Kaminsky/Johannes Neudecker/dpa/ash)

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