Die Pläne zum neuen EU-Pfandsystem bringen deutsche Bierbrauer und Getränkehersteller auf die Palme. Sie fürchten: Milliarden Flaschen müssen eingeschmolzen, Bierkästen vernichtet werden. Was ist dran an den Sorgen? Experte Henning Wilts ordnet die Pläne der EU ein.

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Pläne der EU-Kommission für ein neues Pfandsystem haben die deutschen Bierbrauer und Getränkehersteller in Alarmbereitschaft versetzt. Werden Bierkästen bald abgeschafft und müssen Milliarden von Flaschen eingeschmolzen oder weggeworfen werden?

Grund für die Aufregung ist eine geplante Verpackungsverordnung der Europäischen Kommission, mit der unter anderem ein einheitliches Pfandsystem in Europa geschaffen werden soll. Anders als in Deutschland gibt es nicht in allen EU-Ländern ein vergleichbares Mehrweg-System.

Bierbrauer in Aufruhr

Hinter den Plänen der EU steckt das Ziel, Verpackungsmüll und damit Plastik zu reduzieren. Bis 2030 sollen alle Verpackungen entweder wiederverwendbar oder auf "wirtschaftlich vertretbare Weise recyclebar" sein, so die Vorstellung der EU-Kommission. Außerdem sollen alle Flaschen mit einem dauerhaften QR-Code oder Etikett versehen werden – mit Informationen über die Verpackung und in welchen Abfallbehälter sie gehört.

Eine Forderung, die die deutschen Brauer in Aufruhr versetzt: "Werden die EU-Pläne Wirklichkeit, müssten wir alle Mehrwegflaschen einschmelzen", warnte der Hauptgeschäftsführer des Brauer-Bunds, Holger Eichele, Ende Mai in der "Bild"-Zeitung.

Vier Milliarden Flaschen betroffen

Es sei nicht möglich, die etwa vier Milliarden Flaschen, die gerade im Umlauf seien, zu gravieren. Die EU-Kommission stellte bereits klar: "Ablösbare Papier-Etiketten, die im deutschen Flaschenpfandsystem üblich sind, können diese Bedingung erfüllen." Man schlage nicht vor, alle bestehenden Flaschen neu zu produzieren. Der QR-Code müsse außerdem nicht Teil der Flasche sein, er könne auch aufgedruckt werden.

Das Problem ist aus Sicht der Brauer damit aber noch nicht vom Tisch. Sie erinnern: Im Entwurf für die neue Verpackungsverordnung habe die Kommission festgeschrieben, die Kennzeichnung müsse so dauerhaft angebracht werden, dass sie die Nachverfolgung der Verpackung sowie die Berechnung von Umläufen und Kreislaufdurchgängen erleichtere.

Vorschlag noch in Verhandlung

"Dies aber wäre faktisch nur möglich, wenn alle Flaschen direkt markiert werden. Der Brauer-Bund hatte gemeinsam mit anderen Verbänden darauf hingewiesen, dass die bestehenden Mehrwegpfandflaschen dies nicht leisten können", heißt es in einer Stellungnahme des Brauer-Bunds.

Die Informationen würden auf dem Etikett verschwinden, sobald mit jedem neuen Umlauf ein neues Etikett aufgebracht werde. "Damit bleibt die Frage weiter offen, wie das umweltfreundliche Mehrwegsystem der deutschen Brauwirtschaft künftig die Vorgaben der EU erfüllen soll", sorgt sich die Branche weiter. Noch ist der Vorschlag der Kommission kein Gesetz, er muss erst Rat und Parlament passieren. Es bleibt somit noch Raum für Anpassungen.

Deutschland bereits jetzt Vorreiter

Darauf weist auch der Experte für Kreislaufwirtschaft Henning Wilts hin. "In der Tat sind manche Kriterien sehr technisch und bringen die Getränkehersteller teilweise unnötig in Bedrängnis. Kritiker malen aber aktuell an die Wand, was im schlimmsten Fall passieren könnte. Viel ist noch im Verhandlungsprozess, sodass ich nicht glaube, dass diese Szenarien eintreten."

In der Sache sei der Vorschlag der EU sehr sinnvoll, es komme aber natürlich auf die Details an. "In Deutschland funktioniert das Mehrweg-System bereits gut, in den meisten anderen europäischen Ländern gibt es das aber nicht. Mit einer neuen Verordnung möchte man das einführen und möglichst einheitlich gestalten", betont Wilts im Gespräch mit unserer Redaktion.

Auch wenn Deutschland im europäischen Vergleich weit vorne ist: Die gesetzliche Mehrwegzielquote von 70 Prozent werden auch hierzulande weit verfehlt. Der Mehrweganteil lag zuletzt bei 43 Prozent.

"Das liegt vor allem daran, dass wir nicht wirklich standardisierte Flaschen haben", erklärt Wilts. Bei den Bierflaschen habe jeder Hersteller angefangen, seine eigene Flasche auf den Markt zu bringen. "Das ist ein Riesenproblem, weil man sie nur bei der einen Brauerei wieder zurückbringen und neu befüllen kann", sagt der Experte.

Neues Pfandsystem: EU plant Übergangsfrist von vier Jahren

Wilts' Urteil zur geplanten Vereinheitlichung der EU: "Langfristig lohnt es sich. Gerade für Menschen, die in Grenzregionen wohnen oder viel pendeln, ist es ärgerlich, wenn jedes Land sein eigenes Pfandsystem hat. Wir merken es an vielen Stellen, etwa bei den Telefonnetzen, dass es sinnvoll ist, wenn wir in einem einheitlichen Binnenmarkt wohnen."

Man müsse sich wirklich fragen: "Warum kann ich eine Flasche, die ich hier gekauft habe, nicht in den Niederlanden abgeben?" Die Frage sei jedoch, in welcher Geschwindigkeit die Änderungen vonstattengehen und welche Fristen es für bestehende Mehrweg-Systeme gebe.

Die EU plant laut eigenen Angaben mit einer Übergangszeit von vier Jahren. "Eine Bierflasche hält nicht ewig. Wenn man aussortierte Flaschen Stück für Stück durch ein neues, einheitliches Kennzeichnungssystem ersetzt, ist es nicht so teuer, wie wenn man alles auf einmal einschmelzen muss", argumentiert Wilts.

Insgesamt sei es ein "gigantischer Schritt", den die EU-Kommission gehen will. Er komme der Umwelt und dem Klima deutlich zugute. "Das Recyclen einer Einwegflasche ist extrem energieaufwändig. Wir können mit Mehrweg wahnsinnig viel CO2 und Abfall sparen", sagt Wilts.

Bierkästen-Frage ist bereits geklärt

Sinnvoll sei das aber ökologisch nur, wenn die Mehrwegflaschen dann nicht gigantische Transportdistanzen fahren müssten, um gewaschen und neu befüllt zu werden. "Deshalb ist eine Vereinheitlichung so sinnvoll", sagt Wilts. Der Schritt zum einheitlichen Mehrwegsystem sei deutlich wichtiger, als die Frage: "Papier- oder Plastiktüte?"

Eine Befürchtung der Brauer konnte bereits aus der Welt geräumt werden: die Sorge, dass Mehrwegkisten geschreddert werden müssen. Das wäre natürlich nicht ökologisch sinnvoll. Andererseits ist es auch nicht sinnvoll, Verpackungen zu haben, wo die Hälfte Luft ist. Bei einer Bierkiste ist viel Luft, die beim Transport unnötig Platz wegnimmt.

Teil der EU-Verordnung ist nämlich auch, dass der sogenannte Leerraumanteil – also Luft – in Verpackungen nur 40 Prozent betragen darf. Das könnte auch Bierkästen betreffen, vermuteten die Brauer. Die EU-Kommission betont jedoch: Der Vorschlag ziele vor allem auf Pakete des Onlinehandels ab. Transportverpackungen in bestehenden Mehrwegsystemen, wie zum Beispiel Bierkästen, seien von der Regel ausgenommen.

Über den Experten: Prof. Dr. Henning Wilts ist Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Transformationsprozesse in der Kreislaufwirtschaft, Ökonomie der Abfallvermeidung, Umweltbewertung von Abfallvermeidungsmaßnahmenund Ressourceneffizienz.

Verwendete Quellen:

  • Europäische Kommission: Verringerung von Verpackungsabfällen – Überprüfung der Vorschriften
  • Europäische Kommission: Neue EU-Verpackungsverordnung: Etikett auf Mehrweg-Bierflaschen reicht
  • bild.de: Müssen wir Milliarden Bierflaschen vernichten?
  • zdf.de: Was passiert mit deutschen Bierflaschen?
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