• Erstmals seit zwanzig Jahren ist der Euro schwächer als der Dollar.
  • Was bedeutet das für Wirtschaft und Verbraucher?
  • Und wann gerät der Euro wieder in den Aufwind? Die wichtigsten Fragen im Überblick.

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Wieso war der 12. Juli ein historischer Tag am Devisenmarkt?

Der Euro steht schon seit einiger Zeit unter Druck – und riss am vergangenen Dienstag eine historische Marke. Erstmals seit zwei Jahrzehnten notierte die europäische Gemeinschaftswährung im Handel in London kurzfristig bei 0,9998 Dollar und war damit weniger wert als ein Dollar.

Als der Euro 1999 als Buchgeld eingeführt wurde, lag er am 4. Januar 1999 bei 1,18 Dollar. Die Parität zum Dollar wurde das letzte Mal im Oktober 2002 erreicht. Seitdem war der Euro stets mehr Wert als die US-Währung und erreichte während der Finanzkrise im Juli 2008 sogar ein Rekordhoch von 1,6038 Dollar pro Euro.

Wieso ist der Euro derzeit so schwach?

Spekulation, Wirtschaftsschwäche oder Geopolitik. Für das Auf und Ab am Devisenmarkt mag es verschiedene Gründe geben. Experten wie Ulrich Stephan, Chefanlagestratege Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank, haben für die jetzige Situation aber zwei Hauptfaktoren identifiziert.

"Ein wesentlicher Grund für die aktuelle Schwäche des Euro ist die unterschiedliche Geschwindigkeit, mit der die jeweiligen Zentralbanken auf die hohen Inflationsraten reagieren", erklärt Stephan. Während sich die Europäische Zentralbank vermutlich in der kommenden Woche mit einer anstehenden Zinserhöhung von 0,25 Prozentpunkten auf einen dann immer noch negativen Einlagezinssatz von -0,25 an die erste Zinswende seit zehn Jahren herantastet, haben etwa die Währungshüter in der Schweiz einen ersten Zinsschritt bereits im Juni um einen halben Prozentpunkt vollzogen.

Noch ein Stück weiter ist die US-Notenbank: Sollte diese erwartungsgemäß am 27. Juli die Leitzinsen erneut um 0,75 Prozentpunkte anheben, stünde der Leitzins dort bei 2,25 bis 2,50 Prozent. Die Konsequenz: Viele Anleger schieben gerade viel Geld in die USA und den Dollar, weil sich die höheren Leitzinsen auch auf die Kapitalmarktzinsen, etwa auf Sparbüchern oder bei Anleihen, ausstrahlen.

Zweitens, ist das Verhältnis zweier Währungen immer auch ein Symbol für die relative Stärke der dahinter liegenden Wirtschaftsräume. "Der Euro leidet momentan unter den Sorgen der Anleger hinsichtlich der Energieversorgung in den kommenden Monaten", sagt Anlagestratege Stephan. "Der verminderte Export russischen Erdgases nach Westeuropa schürt Rezessionsängste." Für Investoren spricht damit vieles dafür, ihr Geld lieber in den USA anzulegen als in Europa.

Muss sich die deutsche Wirtschaft wegen der Euro-Schwäche sorgen?

Wie so oft in der Wirtschaft: Es kommt darauf an. Denn dass eine Währung schwach ist, bedeutet nicht automatisch, dass es nur Verlierer gibt. Insbesondere exportstarke Länder wie Deutschland können von einem schwachen Euro profitieren, weil ausgeführte Waren billiger werden. Will beispielsweise ein Autokäufer aus den USA bei Porsche ein Fahrzeug im Wert von 100.000 Euro kaufen, muss er dafür weniger Dollar bezahlen als noch vor zwei Monaten. Der Käufer hat also einen monetären Anreiz, bei deutschen Herstellern einzukaufen. "Für die Unternehmen hat die Euro-Schwäche den Vorteil, dass die Produkte bei gleichem Euro-Preis im Dollarraum billiger und damit wettbewerbsfähiger werden", erklärt der Ökonom Peter Bofinger, ehemaliges Mitglied der "Wirtschaftsweisen".

Gleichwohl besteht die deutsche Wirtschaft nicht nur aus Exporteuren – und selbst diese sind auf den Import von Teilen und Rohstoffen angewiesen, insbesondere in der verarbeitenden Industrie. Diese Unternehmen stehen ohnehin unter Druck, denn währungsbereinigt haben sich Rohstoffe aufgrund des Ukraine-Krieges massiv verteuert.

Der Importpreisindex hat im Juni im Vergleich zum Vorjahresmonat um rund 30 Prozent, der Erzeugerpreisindex gar um mehr als 33 Prozent zugelegt. Nicht alle diese Kosten können an den Endverbraucher weitergegeben werden. Weil fast alles, was auf dem Weltmarkt gehandelt wird, in Dollar bezahlt wird, müssen die Unternehmen für dieselben Waren mehr Euros bezahlen. So haben deutsche Firmen im Juni erstmals für mehr Geld Waren importiert als exportiert, obwohl sich das Mengenverhältnis von Im- und Exporten nicht signifikant verändert hat.

Auch für einen Exportweltmeister wie Deutschland gleichen sich beide Effekte nicht aus, sodass die Wirtschaft unter dem Strich leidet. Zum einen hat sich die Importquote bei den Exportgütern in den letzten Jahren aufgrund der globalen Arbeitsteilung mehr als verdoppelt. Gleichzeitig leiden viele Exporteure weiterhin unter Problemen in den Lieferketten, sodass sie eine eventuelle größere Nachfrage aus dem Ausland überhaupt nicht bedienen könnten.

Dazu kommt: "Obwohl einem schwachen Außenwert der eigenen Währung in der Regel ein kurzfristig unterstützender Effekt für die Exporte nachgesagt wird, zeigt sich wirtschaftshistorisch das Gegenteil", so Anlageexperte Stephan. "Unternehmen aus starken Währungsräumen müssen sich schlicht mehr anstrengen, mit besseren Produkten wettbewerbsfähig zu bleiben."

Was bedeutet die Euro-Schwäche für Privatverbraucher?

Was für Unternehmen gilt, gilt für Privatverbraucher gleichermaßen: "Alle Produkte, die nicht aus dem Euroraum bezogen werden, werden teurer", erklärt Ökonom Bofinger. "Das gilt derzeit natürlich vor allem für Energie und andere Rohstoffe, die auf den Weltmärkten in Dollar gehandelt werden." Die steigenden Produktionskosten geben Unternehmen dann als Preiserhöhungen an die Verbraucher und andere Unternehmen weiter. Man spricht von der importierten Inflation.

Zudem wird sich der schwache Euro in der Urlaubskasse all jener bemerkbar machen, die ihre Ferien gerne am Strand von Miami oder im Disneyland in New York verbringen – oder in den Schweizer Bergen. Denn auch der Franken hat im Vergleich zum Euro zuletzt massiv aufgewertet. "Die Schweiz wird als Urlaubsdestination für viele nahezu unbezahlbar", prognostiziert der Ökonom.

Wie lange wird der Euro noch so schwach bleiben?

In einer Umfrage des Datenanbieters Reuters unter Währungsexperten glaubten Teilnehmer auch mittelfristig nicht an einen Kollaps des Euro, weil viele Profianleger hoffen, dass die europäischen Währungshüter ihre Zinswende bereits eingeleitet haben und die US-Notenbank ihre Zinsen in den kommenden Monaten vielleicht weniger kräftig anheben könnte als zuvor.

Dem Euro helfen könnte auch, falls nach den Wartungsarbeiten an der Nord Stream 1 Pipeline die Erdgasexporte Russlands nach Westeuropa wieder zunehmen. "Momentan ist eine hohe Risikoprämie mit Blick auf eine potenzielle Energieknappheit in den Außenwert des Euros eingepreist, die dann wieder aufgelöst würde", erklärt Anlagestratege Ulrich Stephan.

Ökonom Bofinger glaubt allerdings nicht, dass die EZB den Zinsvorsprung gegenüber den USA kurzfristig aufholen wird. Mit einer längeren Durstrecke sei deshalb zu rechnen: "Wir müssen uns also auf eine anhaltende Euroschwäche einstellen, wie man sie in der Einführungsphase des Euro von Januar 1999 bis April 2002 erlebte."

Über die Experten:
Professor Peter Bofinger ist einer der führenden deutschen Ökonomen und war 15 Jahre lang Mitglied der "Wirtschaftsweisen", einem der wichtigsten Beratergremien der Bundesregierung. Er lehrt an der Universität Würzburg.
Dr. Ulrich Stephan ist Chef-Anlagestratege der Deutsche Bank für Privat- und Firmenkunden. In dieser Funktion verantwortet er seit 2010 die Marktanalyse und Anlagestrategie für Privatkunden. Dr. Stephan studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre und beendete 1997 seine Promotion an der Universität zu Köln und am Massachusetts Institute of Technology.
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