• Julia Wolkowa war die eine Hälfte des international bekannten russischen Pop-Duos t.A.T.u.
  • 2011 löste sich die Gruppe auf, nun will die 36-Jährige für die Partei von Präsident Wladimir Putin ins russische Parlament einziehen.
  • Dass Stars in die Staatsduma einziehen, hat System.

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Julia Wolkowa will zurück auf eine große Bühne. Über zehn Jahre lang bildete die heute 36-Jährige zusammen mit Jelena Katina das bekannte Pop-Duo t.A.T.u. Nun kandidiert Wolkowa bei den Vorwahlen für die Parlamentswahl im Herbst in der Stadt Iwanowo für Einiges Russland – der Partei von Präsident Wladimir Putin.

In einem vergangene Woche veröffentlichten Wahlkampfvideo zu den Vorwahlen, die vom 24. bis zum 30. Mai stattfinden, erklärte Wolkowa: "Ja, ich war in der Vergangenheit keine Politikerin, aber wie wir wissen, wird man nicht als Politikerin geboren – man wird es."

Weiter sagt Wolkowa in dem viereinhalb Minuten langen Clip, dass sie sich "nicht mehr für alles schämen will, was um mich herum passiert". Sie möchte "die Einstellung der Machthaber gegenüber den Menschen ändern".

Wohlgemerkt: Einiges Russland regiert das Land bereits seit fast zwei Jahrzehnten und verfügt derzeit über eine verfassungsgebende Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma, dem russischen Parlament. Der russische Politik-Analyst Alexander Kynew hält deshalb Wolkowas Kandidatur für einen Versuch, die Wahlen am 19. September zu "karnevalisieren" und so die Aufmerksamkeit von kritischen Themen wegzuschieben, darunter etwa die Inhaftierung von Oppositionsführer Alexej Nawalny.

Mit Stars soll von Problemen abgelenkt werden

"Die Förderung von einst populären Darstellern, die lustige Videos am Rande des politischen Trashs drehen, lenkt die Aufmerksamkeit ab", erklärte Kynew in einem Interview mit Radio Liberty/Radio Free Europe. "Anstatt über Repressionen und unfaire Wahlen zu diskutieren, von denen echte Kandidaten ausgeschlossen sind, werden die Bürger eingeladen, darüber zu sprechen, wie lächerlich diese Videos sind."

Der Inhalt von Wolkowas Video ist vergleichsweise unspektakulär – und austauschbar. Die in Moskau geborene Musikerin zählt Probleme auf, mit denen Iwanowo (wie wohl auch die meisten anderen russischen Städte) konfrontiert ist. So plage die etwa 250 Kilometer nordöstlich von Moskau gelegene Stadt niedrige Löhne, wenig Arbeitsplätze, schlechte Infrastruktur, Umweltverschmutzung und Korruption.

Für all das verspricht die Sängerin Lösungen, ohne diese genauer zu erklären. Während ihr ein funkelndes Kreuz am Hals baumelt, gibt sie zugleich "vergangene Sünden" zu und verwendet den Refrain des international erfolgreichen t.A.T.u.-Hits "They're not gonna get us" von 2001 (die englischsprachige Version wurde 2003 veröffentlicht).

Wolkowa distanziert sich damit vom – einst von den Produzenten konstruierten – Image der Pop-Gruppe als lesbisches Gesangsduo im Schulmädchen-Look.

Wolkowa fiel 2014 mit homophoben Äußerungen auf

Obwohl sowohl Wolkowa als auch Katina hetereosexuell sind, griff t.A.T.u immer wieder lesbische Themen in ihren Songs auf, unter anderem küssen sich die beiden Frauen in dem Video zum Hit "All about us" auf den Mund. Der Name der Gruppe t.A.T.u. soll die Abkürzung für "Ta ljubit tu" sein, was übersetzt "Die eine liebt die andere" bedeutet.

Wolkowa ist in ihren öffentlichen Äußerungen jedoch schon vor Jahren auf den Kurs der schwulenfeindlichen russischen Regierung umgeschwenkt. So bejahte sie 2014 die Frage in einer TV-Show, ob sie ihren Sohn verurteilen würde, sollte er schwul sein. "Ich finde, dass ein Mann ein Mann bleiben muss", sagte damals die Mutter zweier Söhne laut eines "Welt"-Berichts.

"Ein Mann hat kein Recht, eine Schwuchtel zu sein. Zwei Frauen zusammen – das ist nicht das gleiche wie zwei Männer zusammen", sagte sie demnach weiter. Wolkowa zufolge sei es immerhin "besser, schwul zu sein, als ein Mörder oder ein Drogenabhängiger".

Es ist die gleiche Erzählung, wie sie auch russische Politiker pflegen. Demnach richte sich etwa das im Juni 2013 von der Staatsduma verabschiedete sogenannte Gesetz gegen Homosexuellen-Propaganda nicht gegen homosexuelle Männer, sondern es solle lediglich Kinder vor Pädophilen schützen.

Ein Parlament voller Stars

Die alten Äußerungen werden Wolkowa nicht schaden, eher im Gegenteil. Sollte sie tatsächlich gewählt werden, wäre sie zudem alles andere als die erste Prominente, die in das russische Parlament einzieht. "Der Ruf der Staatsduma ist seit Jahren schlecht. Die Stars sollen das Image verbessern", meinte die Soziologin Olga Kryschtanowskaja schon 2016 mit Blick auf die damalige Abstimmung.

Damals zog die Kosmonautin Jelena Serowa in die Staatsduma ein. Schon länger sitzen dort der Eishockey-Star Wladislaw Tretjak (seit 2003), Eiskunstlauf-Olympiasiegerin Irina Rodnina (seit 2007), Ex-Schwergewichts-Weltmeister Nikolai Walujew und die Schachlegende Anatoli Karpow (beide seit 2011).

Ebenfalls kein Zufall: Sie alle sind Abgeordnete der Putin-Partei Einiges Russland.

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