Die FDP spielt mit dem Gedanken, die Rente mit 63 abzuschaffen. Warum das zur sozialen Gerechtigkeit beitragen kann, erklärt FDP-Arbeitsmarktexperte Pascal Kober.

Ein Interview

Zu Beginn der Sitzungswoche im bereits drückend heißen Berlin veröffentlichte die FDP ein Fünf-Punkte-Papier zur generationengerechten Haushaltspolitik, das einigen Ampelkoalitionären zusätzliche Schweißperlen auf die Stirn getrieben haben dürfte. Unter anderem heißt es dort: "Die Rente mit 63 wie das Bürgergeld in seiner jetzigen Ausgestaltung setzen Fehlanreize, die wir uns nicht leisten können."

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Was die FDP damit meint und warum wir uns bei den Schweden etwas abschauen können, bei den Österreichern allerdings nicht, erläutert im Gespräch mit unserer Redaktion der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober.

Herr Kober, haben Menschen, die 45 Jahre gearbeitet haben, nicht schon genug geleistet?

Pascal Kober: Sie haben sehr viel geleistet und im Umlagesystem unserer Rentenversicherung die Renten der Vorgängergenerationen finanziert. Ihre Rente wird aber von den heutigen und künftigen Beitragszahlern bezahlt. Und das werden immer weniger. Der Generationenvertrag sieht vor, dass die Generationen nicht nur Beiträge bezahlen, sondern auch für genügend Nachwuchs sorgen. Das ist leider unterblieben.

Das hätte man schon vor Jahren mit mehr Kindern oder mit mehr Einwanderung von Fachkräften ausgleichen müssen. Schon 2011 stellte die damalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen fest, dass Fachkräftemangel das zentrale, wohlstandsgefährdende Problem des nächsten Jahrzehnts wird.

"Die Rente mit 63 kostet nicht nur enorme Summen, sondern entzieht zusätzlich Arbeitskräfte."

Pascal Kober

Und jetzt soll es die Abschaffung der Rente mit 63 richten?

Wenn wir die Belastbarkeit künftiger Generationen im Blick behalten möchten, gibt es verschiedene Optionen. Da ist die schrittweise Abschaffung der Rente mit 63 nur eine davon. Man könnte über das Generationenkapital hinausgehen und eine Aktienrente nach schwedischem Vorbild einführen. Man könnte Anreize für das Arbeiten nach 67 schaffen. Die Rente mit 63 ist aber nicht nur teuer, da ist noch ein anderes Problem.

Das wäre?

Die Rente mit 63 kostet nicht nur enorme Summen, sondern entzieht zusätzlich Arbeitskräfte, daher ist es nur logisch hier irgendwann anzusetzen.

Sie sprechen in dem FDP-Beschluss für eine generationengerechte Haushaltspolitik davon, dass die Rente mit 63 „Fehlanreize“ setzt. Wie erklären Sie den Menschen, die 45 Jahre ihres Lebens gearbeitet haben?

Zum einen gibt es diese Option, abschlagsfrei nach 45 Beitragsjahren in Rente zu gehen, erst seit 2014. Davor galt für alle dasselbe Renteneintrittsalter. Zweitens erreichen die 45 Jahre meistens nur die besserverdienenden Arbeitnehmer – nicht der viel zitierte Dachdecker oder Bauarbeiter.

Und was machen Sie, wenn jemand 44 Jahre, elf Monate und 29 Tage eingezahlt hat? Der Sozialstaat kann nur begrenzt Gerechtigkeit herstellen. Wir müssen insgesamt das Renteneintrittsalter erhöhen. Nicht zwingend per Gesetz, aber dann müssen wir Anreize für das freiwillige Längerarbeiten schaffen.

Die wären?

Unsere Regierungskoalition hat eingeführt, dass Sie unabhängig von Ihrem Hinzuverdienst, Ihre Rente in voller Höhe beziehen können. Man könnte zusätzliche Zuschläge auf die Rente oder steuerliche Begünstigungen bei Weiterarbeit nach dem Renteneintrittsalter in Erwägung ziehen.

Außerdem müsste man an das Teilzeit- und Befristungsgesetz ran. Das müsste für Rentner angepasst werden, sodass Sie beispielsweise nach Ihrem Renteneintritt befristet oder in Teilzeit bei Ihrem Arbeitgeber weiterarbeiten können.

Was halten Sie vom österreichischen Modell, in dem auch Beamte und Selbstständige in das System einzahlen?

Das ist eine Nullrechnung. Der demografische Wandel findet auch bei den Beamten und Selbstständigen statt, das heißt, es würden nicht nur mehr Beitragszahler, sondern noch mehr Rentner dazukommen. Zusätzlich müssten bei den Beamten zunächst zwei Systeme nebeneinander finanziert werden. Und noch etwas könnte schwer vermittelbar sein.

Was meinen Sie?

Beamte müssten dann 9,3 Prozent ihres Gehalts als Anteil an der Rentenversicherung zahlen. Das wollen sie natürlich oben auf ihr Gehalt draufgeschlagen bekommen. Am Ende muss der Staat den gesamten Rentenbeitrag von 18,6 Prozent beim Aufbau dieses neuen Systems bezahlen. Das ist unfinanzierbar.

"Wir wollen die Steuerklasse V noch in dieser Legislaturperiode abschaffen."

Pascal Kober

Sie sprachen bereits von Fachkräftemangel durch wegbrechende Rentner. Die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, sagte in einem Gespräch mit unserer Redaktion, dass es auch viel Potenzial bei Menschen gibt, die aufgrund der Kindererziehung in Teilzeit arbeiten. Sollte die Regierung nicht dafür sorgen, dass diese Menschen wieder besser und schneller in Vollzeit arbeiten können?

Wir haben bereits einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung. Aber da beißt sich die Katze in den Schwanz. Auch bei der Kinderbetreuung gibt es Fachkräftemangel. Ebenso bei der Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger. Um die Vollzeitarbeit für Frauen attraktiver zu machen, wollen wir die Steuerklasse V noch in dieser Legislaturperiode abschaffen. Große Einkommensunterschiede sollen nicht durch das Steuergesetz verfestigt werden. Klar ist aber auch, dass es für viele ein bewusst gewähltes Lebensmodell ist, ihre Kinder selbst zu betreuen und eben nicht oder nur in Teilzeit arbeiten zu gehen – häufig gerade in der gut ausgebildeten Mittelschicht, die für den Arbeitsmarkt so wertvoll ist.

Der Wirtschaftsexperte Sebastian Dullien sowie die CDU schlagen vor, den Spitzensteuersatz von 42 Prozent zu erhöhen, er soll aber erst bei einem höheren Einkommen greifen. Die FDP lehnt Steuererhöhungen ab. Wäre das nicht dennoch eine Option, mehr Geld für die Rente zu generieren?

Man muss bedenken, dass der Spitzensteuersatz bei Selbstständigen und kleinen Unternehmen der Unternehmenssteuer entspricht. Eine Steuererhöhung bei diesen Gruppen würde sich in der Gesamtbilanz ökonomisch nicht rechnen, weil es die wirtschaftliche Dynamik ausbremst. Das würde viele davon abhalten, zu investieren und dadurch verhindern, dass aus ihren Firmen vielleicht später einmal Unternehmen mit mehreren hundert Mitarbeitern werden könnten.

Über den Gesprächspartner

  • Pascal Kober wurde am 3. Juli 1971 in Sindelfingen geboren. Nach dem Studium der Evangelischen Theologie in Tübingen, Kiel und Neuendettelsau wurde Kober Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Von 2014 bis 2017 war er Militärseelsorger der Standorte Stetten am kalten Markt und Pfullendorf. Seit 1998 ist Kober Mitglied in der FDP und seit 2000 Bezirksvorsitzender der FDP Neckar-Alb. 2013 zog Kober in den Deutschen Bundestag ein. Er ist Arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion in aktuellen Wahlperiode. Seit 2015 ist er Mitglied im Bundesvorstands der FDP und stellvertretender Landesvorsitzender der FDP Baden-Württemberg.
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