- Die neusten Zahlen zum Frauenanteil in Aufsichtsräten und Vorständen deutscher Unternehmen zeigen: Die gesetzlichen Quoten entfalten Wirkung.
- "Noch nicht genug", sagen aber zwei Wissenschaftlerinnen. Denn trotz steigender Zahlen sind Frauen in Führungspositionen noch immer massiv unterrepräsentiert.
- Wie sich die Entwicklung beschleunigen ließe und warum Deutschland sogar zu den Schlusslichtern in Europa zählt.
Es ist zunächst eine erfreuliche Nachricht: Bis Januar 2021 ist der Frauenanteil in den Aufsichtsräten und Vorständen der größten deutschen Unternehmen weiter gestiegen. Das zeigen die jüngsten Zahlen des Women-on-Board-Index, den die Initiative "Frauen in die Aufsichtsräte" (FidAR) laufend veröffentlicht.
So liegt der durchschnittliche Frauenanteil in den Aufsichtsräten der 187 größten börsennotierten Unternehmen derzeit bei 33,5 Prozent. In den Vorständen sind es 14,5 Prozent. Zwar ist das ein neuer Höchststand für Deutschland, trotzdem gibt es weiterhin großen Aufholbedarf. Überall sind in Europa Frauen in den Führungsetagen unterrepräsentiert, Deutschland liegt aber im unteren Drittel.
Expertin: "Die Quote wirkt"
2020 war der Frauenanteil mit Blick auf alle Top-Führungspositionen, wozu neben Aufsichtsrat und Vorstand auch Geschäftsführung und Führungspositionen in Handel, Produktion und Dienstleistungen zählen, im Vergleich zum Vorjahr sogar um 2 Prozent auf rund 28 Prozent gesunken. Deutlich höhere Quoten erreichen hierbei Lettland (47 Prozent), Polen (44) und Schweden (42).
"Die Zahlen zeigen: Die Quote in Deutschland wirkt", sagt Politikwissenschaftlerin Annette Henninger. Seit 2015 müssen mindestens 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsräten voll mitbestimmungspflichtiger und börsennotierter Unternehmen sitzen, ab Mitte des Jahres greift auch eine Quoten-Regelung für Vorstände.
Deutschland hinkt hinterher
"Im EU-Vergleich liegt die deutsche Quote damit im unteren Bereich. Der Vorschlag für eine EU-Direktive zur Quotierung von Führungspositionen setzt 40 Prozent an", erinnert Henninger. Und selbst mit einer Quote für Aufsichtsräte und Vorstände bleibe ein enormer Teil der Top-Führungspositionen ausgenommen.
"Da hilft auch eine wachsweiche Berichtspflicht nicht. Das Modell, dass Unternehmen sich selbst Vorgaben machen, und im Falle der Nicht-Erfüllung eine Begründung liefern müssen, funktioniert schon seit 20 Jahren nicht", sagt Henninger.
Geltungsbereich der Quote zu klein
Auch aus Sicht von Betriebswirtin Anja Seng ist der Geltungsbereich der gesetzlichen Quoten zu klein. "Die großen Unternehmen haben zwar eine Vorreiterrolle, aber es sind insgesamt zu wenige", sagt sie.
Die Quote müsse daher für mehr Unternehmen gelten. "Wenn die Quote nicht nur für Unternehmen gelten würde, die sowohl an der Börse notiert als auch vollmitbestimmungspflichtig sind, sondern auch für solche, die nur eins der Kriterien erfüllen, dann wären nicht mehr nur rund 100 Unternehmen betroffen, sondern um die 2.000", rechnet sie vor.
Wer deutlich über der Quote liegt
Schon jetzt zeigt sich: Unternehmen, die einer Quote hinsichtlich des Frauenanteils unterliegen, haben einen deutlich höheren Frauenanteil als solche, die nicht unter die Quote fallen. In den 104 der Quote unterliegenden deutschen Unternehmen liegt der Frauenanteil in den Aufsichtsräten (35,6 %) und in den Vorständen (15,8 %) deutlich über den 83 Nicht-Quoten-Unternehmen (27,3 und 12,3 %).
In der CEWE Stiftung & Co. KGaA sitzen mit 58,33 Prozent sogar mehr Frauen im Aufsichtsrat als Männer. Deutlich über der gesetzlichen Quote liegen beispielsweise auch die Unternehmen Commerzbank AG, Deutsche Telekom, thyssenkrupp AG, Deutsche Lufthansa oder Henkel.
Neue Quote auch für Vorstände
6 der aktuell 104 börsennotierten und voll mitbestimmten Unternehmen erreichen allerdings derzeit keinen Anteil von 30 Prozent Frauen im Aufsichtsrat – dazu zählen die Rheinmetall, Telefónica und Salzgitter. Mit verbindlichen Vorgaben will die Bundesregierung nun auch mehr Frauen in die Vorstände großer Unternehmen bringen.
Denn noch immer sind mit 94 etwa die Hälfte der 187 Konzernvorstände frauenfrei. Nun gilt: Ab vier Vorstandsmitgliedern muss im Vorstand von börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen künftig mindestens eine Frau sein. Davon betroffen sind in Deutschland derzeit 66 Unternehmen.
Unternehmen profitieren
17 davon haben aktuell keine Frau im Vorstand – etwa Hugo Boss und freenet. Seit Bekanntgabe der Pläne zur Vorstandsquote im Oktober 2020 haben einige Unternehmen jedoch nachgezogen: So beriefen etwa adidas, Bayer, E.on, Uniper, Fielmann und Südzucker eine Frau in den Vorstand, so dass sie nun das Mindestbeteiligungsgebot im Vorstand erfüllen. Das zweite Führungspositionengesetz mit dem Mindestbeteiligungsgebot für Vorstände ist ab August 2022 bei der Bestellung von Vorständen einzuhalten.
Schaden dürfte das den Unternehmen nicht: "Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass die Qualifikation von Personen in Vorständen und Aufsichtsräten durch die Einführung von Quotenregelungen steigt. Die Frauen, die neu dazukommen, bringen also formal höhere Qualifikationen mit", sagt Expertin Henninger.
Das alte "Buddy"-System, bei dem über männliche Seilschaften Kumpels in Top-Positionen gehievt würden, werde außer Kraft gesetzt.
Bessere Entscheidungen mit Frauen
"Außerdem steigt die Qualität der Entscheidungen. Nicht, weil Frauen die besseren Menschen sind, sondern weil plötzlich alle viel aufmerksamer die Unterlagen lesen und sich vorbereiten – weil sie sich vor der neuen Kollegin keine Blöße geben wollen", sagt Henninger weiter.
Auch Seng meint: "Mehr Sichtweisen führen zu anderen, oft besseren Entscheidungen. Wenn Frauen Autos planen, würde es in einem Fahrzeug vielleicht auch mal ein Lippenstift- oder Handtaschenfach geben."
Zu zaghafte Sanktionen
Damit noch mehr Unternehmen das allerdings erkennen, braucht es aus Sicht der Expertinnen weitere Schritte. "Effektive Sanktionen fehlen in Deutschland bislang", meint Henninger. Italien verlangt derweil hohe Geldstrafen, wenn die Quote nicht eingehalten wird, in Norwegen reichen die Sanktionen bis zur Unternehmensauflösung. "Die Politik des leeren Stuhls, wie sie in Deutschland praktiziert wird, ist zu zaghaft", meint Henninger daher.
In den letzten Jahren hätten die Regierungen unter konservativer Beteiligung einen eher wirtschaftsliberalen Kurs gefahren und seien vor Eingriffen in den Markt zurückgeschreckt. "Dabei brauchen wir viel effektivere Maßnahmen gegen Geschlechterungerechtigkeit, etwa bei der Lohndiskriminierung oder den Karrierechancen", meint Henninger.
Führungsposition: Ende eines langen Weges
Führungspositionen seien nur das Ende eines langen Weges, der schon vorher einige Hindernisse für Frauen bereithalte. "Dabei scheitert es aber nicht an den Fähigkeiten der Frauen", betont die Wissenschaftlerin.
Bei den Qualifikationen, die in Aufsichtsräten häufig gefordert würden – ein Studium der Betriebswirtschaftslehre oder Rechtswissenschaften beispielsweise – seien die Frauenanteile hoch. "Die Position zu besetzen, ist definitiv nicht das Problem", analysiert Henninger.
Kultureller Wandel nötig
Auch Seng glaubt, dass eher ein kultureller Wandel eintreten muss: "Wenn Väter für die Karriere der Frau zurückstecken, findet das gesellschaftlich immer noch wenig Anklang. Jetzt wurde über den Mann von Frau Baerbock diskutiert, weil er sich um die Kinder kümmert – bei Frau Genscher wurde so etwas nie thematisiert", sagt sie. Nicht Frauen müssten sich ändern – sondern die Spielregeln.
"Die Pandemiesituation hat Vieles auf den Kopf gestellt, das bietet Chancen. Auch für das Thema Gleichstellung könnte es einen neuen Schub geben, auch wenn es bisher noch nicht so ist", hofft Seng. Neben den privaten Unternehmen brauche es dabei auch einen besonderen Blick auf öffentliche Unternehmen, Verwaltungen und die Politik, die ihrer gesamtgesellschaftlichen Vorbildfunktion gerecht werden sollten.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Prof. Dr. Henninger
- Interview mit Prof. Dr. Seng
- FidAR: Women-on-Board Index
- Statistisches Bundesamt: Frauen in den Führungsetagen weiterhin unterrepräsentiert
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