Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel hadert mit seiner Partei. Wie die aktuellen Parteivorsitzenden in ihre Ämter gekommen sind, findet er aberwitzig. Die Sozialdemokraten ruft er zum Umsteuern auf.
Der ehemalige SPD-Chef
In seinem neuen Buch "Mehr Mut! Aufbruch in ein neues Jahrzehnt" nennt er dabei den "völlig von der Bevölkerung entkoppelten sogenannten Gerechtigkeits-Wahlkampf" des damaligen Kanzlerkandidaten
Gabriel: "Man muss von einem kollektiven Führungsversagen sprechen, wenn man sich die Kette von Entscheidungen anschaut, die innerhalb der SPD in den letzten zwei Jahren getroffen wurden." Gabriel war bis 2017 SPD-Chef, bis 2018 Außenminister und bis November 2019 Abgeordneter im Bundestag.
Sigmar Gabriel wirft Verantwortlichen Mutlosigkeit vor
Mit Blick auf die SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans schreibt Gabriel: "Es ist gewiss richtig, den beiden neu gewählten Vorsitzenden eine faire Chance zu geben und ihnen ihre gewiss nicht einfache Aufgabe nicht noch schwerer zu machen."
Aber über die Entwicklungen seit 2017 dürfte man nicht hinwegsehen. So hätten sich die Verantwortlichen nicht getraut, eine Antwort auf die Frage zu geben, ob die SPD weiterregieren oder in die Opposition gehen solle. Aus dieser Entschlusslosigkeit hätten sie sich in einen "aberwitzigen" Mitgliederentscheid über den Vorsitz der Partei geflüchtet.
Gabriel wirft SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, der den Mitgliederentscheid mitinitiiert hatte, vor, sich mit seinen Mitstreitern nur im "Gespenster-Vertreiben" geübt zu haben, "indem sie möglichst häufig die Arbeit früherer SPD-Vorsitzender verunglimpften".
Gabriel sieht bei SPD "thematisch-strategische Verzwergung der Gesamtpartei"
Ohne ihre Namen zu nennen, hält Gabriel Esken und Walter-Borjans vor, in ihrem Wahlkampf um den Vorsitz den Eindruck vermittelt zu haben, die Koalition verlassen zu wollen - um am Ende doch zu bleiben. "Links blinken und dann rechts abbiegen verwirrt alle anderen Verkehrsteilnehmer."
Zudem hätten sich die führenden Akteure scheinbar an den Zustand einer 13- bis 14-Prozent-Partei gewöhnt. Viel schlimmer sei aber die "thematisch-strategische Verzwergung der Gesamtpartei auf das Segment des Sozialen".
Der SPD attestiert Gabriel, die Interessen vieler ihrer Wähler aus dem Blick verloren zu haben. Erstarken könne die Partei nicht, "wenn sie andere Parteien nachahmt". Der natürliche "Feind" der Arbeitnehmer seien nicht nur die Neoliberalen, "sondern auch der Teil der Grünen, deren eigenes bürgerliches Leben so abgesichert ist, dass sie sich die materiellen Nöte anderer gar nicht mehr vorstellen können". Tatsächlich müsse die SPD für Sicherheit, Nachhaltigkeit und Internationalität stehen.
Für die Zeit nach dem Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU) sieht Gabriel die Zeit für eine neue politische Kultur an der Spitze der Regierung kommen. "Führungsstärke ist gefordert und nicht endlose Moderation, an deren Ende alle eingeschlafen sind", schreibt Gabriel in seinem Buch, in dem er ansonsten auf die internationale Ordnung, die Globalisierung, den Klimawandel, die Lage in Europa und in Deutschland eingeht. (hub/dpa)
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