Am Sonntag wird in der zweitgrößten Stadt Österreichs gewählt. In Graz liegt die ÖVP von Langzeitbürgermeister Siegfried Nagl in Umfragen haushoch vorne. Aber wird sie einen Partner finden?

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Oberflächlich betrachtet, ist in Graz in mit keinen großen Überraschungen zu rechnen. Wenn am Sonntagabend die rund 222.000 Wähler ihre Stimmen abgegeben haben, wird die ÖVP von Langzeitbürgermeister Siegfried Nagl einmal mehr mit großem Abstand vor allen anderen Parteien liegen. Wer aber glaubt, dass damit die Fronten geklärt sind, irrt. Denn der zweite Platz geht Umfragen zufolge an die KPÖ, die Nagl den Chefsessel im Rathaus streitig machen könnte.

Wahlergebnisse sind eine Sache, Mehrheiten im Gemeinderat eine andere. Fest steht: Nach der Wahl wird der Grazer Wahlkrimi erst richtig losgehen. Eine kleine Orientierungshilfe für Nicht-Grazer.


Warum wird in Graz schon jetzt gewählt?

Regulär wären die Grazerinnen und Grazer erst im Herbst im zu den Urnen gerufen worden. Doch der Gemeinderat wurde vorzeitig aufgelöst, weil sich die beiden stärksten Parteien nicht auf einen Minimalkonsens einigen konnten: ein Budget für die zweitgrößte Stadt Österreichs.

Warum ist die Politik in Graz so besonders?

Ein Spezifikum der Murstadt ist die beispiellose Stärke der KPÖ. Seit über 20 Jahren sind die Kommunisten aus der Stadtpolitik nicht mehr wegzudenken. Parteichefin Elke Kahr verknüpft Kapitalismuskritik mit Engagement für leistbaren Wohnraum für Einkommenschwache. Als zuständige Stadträtin hat sich dafür breite Anerkennung erworben. Die Strahlkraft der pragmatischen Kommunistin reicht weit ins bürgerliche Lager. Die Stärke der KPÖ ist auch ein Problem der FPÖ, die im selben Wählerpool fischt. Umfragen zufolge könnte Kahr auf mehr als 20 Prozent kommen und damit die FPÖ deutlich abhängen.

Was bedeutet die Stärke der KPÖ für die anderen Parteien

Die SPÖ – die in Graz bis 2003 den Bürgermeister stellte – musste von Jahr zu Jahr Federn lassen. Davon hat nicht zuletzt die KPÖ profitiert. Bei den Wahlen am Sonntag droht den einst mächtigen Sozialdemokraten ein neuerlicher Tiefschlag. Ihnen droht die politische Bedeutungslosigkeit. Für die bürgerliche ÖVP war eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten lange Zeit völlig ausgeschlossen. Doch vor zwei Jahren blieb dem konservativen Nagl nichts anderes übrig, als mit der Linksaußen-Fraktion im Gemeinderat eine Zweckpartnerschaft zu bilden. Lange ging das nicht gut: Als die KPÖ im Herbst die Zustimmung zum Budget verweigerte, wurden Neuwahlen angesetzt.

Worum ging es im Wahlkampf?

Ausschlaggebend für das „Nein“ der Kommunisten zum Budget war das von Nagl geplante Murkraftwerk. Nicht nur Umweltschütze laufen gegen das Prestigeprojekt des Bürgermeisters Sturm: Auch Grüne und KPÖ wollen davon nichts wissen. Eine mögliche Lösung wäre eine Volksbefragung gewesen. Doch dagegen stellt sich Nagl. Das war der Grund, warum die KPÖ die Zusammenarbeit mit der ÖVP platzen ließ. Das Murkraftwerk war das prägende Thema des Wahlkampfes. Wenige Tage vor der Wahl bekommt Nagl nun Rückenwind: Das steirische Landesverwaltungsgericht bekräftigt seine Einschätzung, dass eine Volksbefragung zu diesem Thema unzulässig sei.

Warum nimmt sich Nagl keinen anderen Koalitionspartner?

Die anderen Grazer Parteien haben – gelinde gesagt – keine besonders gute Meinung über die Paktfähigkeit der Nagl-ÖVP. Der Bürgermeister hat bereits mit den SPÖ, den Grünen und der FPÖ gemeinsam regiert. Immer ging es schief. Nun hat er, selbst im Falle eines Wahlsieges schlechte Karten: Denn alle anderen Parteien sind sauer auf ihn. Am ehesten wäre noch die FPÖ bereit, mit Nagl eine Koalition einzugehen. Entscheidend wird sein, ob beide Parteien zusammen eine Mehrheit von 50 Prozent haben. Das könnte knapp werden.


Was, wenn sich Blau-Schwarz nicht ausgeht?

In diesem Fall würde Nagl wohl zum Bittsteller werden. Er müsste andere Parteien wie Grüne oder SPÖ umwerben und ihnen große Zugeständnisse machen. Ganz einfach wäre das wohl nicht. Vor allem die SPÖ ist seit einigen Wochen fuchsteufelswild auf den Bürgermeister, seitdem der ehemalige SPÖ-Klubchef in dessen Lager übergelaufen ist: Nagl hat ihm den Posten des Kulturstadtrats versprochen.

Könnte es eine kommunistische Bürgermeisterin geben?

Theoretisch ja, praktisch nein. Es könnte sein, dass KPÖ, Grüne und SPÖ im Gemeinderat nach der Wahl eine linke Mehrheit haben. Wahrscheinlich ist das nicht. Noch unwahrscheinlicher ist es, dass sich die immer noch selbstbewusste Grazer SPÖ einer kommunistischen Bürgermeisterin als Juniorpartner zur Verfügung stellt. So etwas hat es bisher in ganz Europa noch nicht gegeben.

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