Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, geht mit der geplanten Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach hart ins Gericht. Sie löse nicht die aktuellen Finanzsorgen der Kliniken und werde den Personalmangel verschärfen, sagt er im Interview mit unserer Redaktion.

Ein Interview

Der Bundesgesundheitsminister spricht von einer Revolution: Karl Lauterbach will die Krankenhauslandschaft in Deutschland neu ordnen. Nicht mehr jedes Krankenhaus soll praktisch jede Leistung anbieten. Die Kliniken sollen sich spezialisieren und den Patientinnen und Patienten damit die bestmögliche Behandlung bieten. Mit den Ländern hat sich der Minister nach langem Ringen auf Eckpunkte geeinigt. Über den Sommer soll ein erster Gesetzentwurf für die Krankenhausreform stehen.

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Gerald Gaß ist wenig begeistert von den Plänen. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht in der Reform keine Antwort auf den kalten Strukturwandel, der die Kliniklandschaft in Deutschland schon jetzt bedroht.

Herr Gaß, Sie haben vor Kurzem gesagt, dass die Patientinnen und Patienten die Verlierer der Krankenhausreform werden. Wie kommen Sie darauf?

Gerald Gaß: Wenn die Politik nicht gegensteuert, werden immer mehr Krankenhäuser schließen. In einer aktuellen Umfrage heißt es, dass in den nächsten zehn Jahren ein Drittel der Krankenhäuser wegfallen könnte. Und dies unkontrolliert, denn der Veränderungsprozess verläuft nicht geordnet, weil die Politik ihm tatenlos zusieht. Karl Lauterbach hat es selbst gesagt: Wir stehen am Vorabend eines Kliniksterbens. Dabei werden auch Krankenhäuser wegfallen, die wir zukünftig für die Versorgung brauchen. Das sind seine Worte.

Herr Lauterbach sagt aber auch: Seine Reform soll diesen Prozess ordnen, damit Patientinnen und Patienten künftig bestmöglich versorgt werden.

Die Krankenhausreform würde frühestens 2028 erste Wirkung entfalten. Ziel der Reform ist es, komplexe Behandlungen an gut ausgestatteten Standorten zu zentralisieren, gleichzeitig aber eine flächendeckende Versorgung aufrechtzuerhalten. Das sind Perspektiven für die Zukunft. Die jetzt geplante Reform gibt keine Antworten auf den kalten Strukturwandel der Gegenwart. Deswegen fordern wir ein Vorschaltgesetz, das einen Inflationsausgleich ermöglicht. Uns laufen die Kosten weg. Krankenhäuser müssen zurzeit 500 Millionen Euro mitbringen, sich verschulden oder eigene Mittel aufbrauchen, um die Patientenbehandlung sicherzustellen. Das wird nicht mehr lange gut gehen.

Das heißt aber: Sie lehnen die Krankenhausreform nicht grundlegend ab – sie wird aus Ihrer Sicht nur zu spät wirken?

Wir lehnen die Krankenhausreform nicht ab. Wir haben uns sehr früh zu einem notwendigen geordneten Strukturwandel bekannt. Wir wissen auch, dass wir die Bevölkerung perspektivisch mit weniger Krankenhausstandorten versorgen müssen. Dieser Prozess muss aber geordnet ablaufen. Mit der jetzt geplanten Reform würde es zu einem ungeordneten Krankenhaussterben kommen, und das würde Versorgungslücken in die Regionen reißen. Das würde den Patientinnen und Patienten ein Stück weit englische Verhältnisse bringen.

Was meinen Sie damit?

In England gibt es sehr knappe Kapazitäten im Krankenhausbereich. Die Patienten müssen dort viele Monate, zum Teil Jahre auf planbare Leistungen warten. Ich gehe nicht davon aus, dass das in den nächsten Jahren in der Dimension bei uns auftritt. Bisher ist es so: Wenn Sie als Patient von Ihrem niedergelassenen Arzt oder Ihrer Ärztin zur weiteren Diagnose oder Behandlung ins Krankenhaus eingewiesen werden, müssen Sie nicht monatelang auf einen Termin warten – anders als zum Beispiel als bei einem niedergelassenen Facharzt. Behandlungen und Operationen sind im Krankenhaus häufig relativ schnell möglich. Das könnte sich ändern, zumindest in vielen Regionen in Deutschland.

Gerald Gaß: "Es kommt kein zusätzliches Geld ins System"

Der Bundesgesundheitsminister verspricht, die kleineren Kliniken im ländlichen Bereich durch seine Reform eher zu stärken. Glauben Sie nicht daran?

Er spricht sogar von einer Existenzgarantie für kleine Krankenhäuser im ländlichen Raum. Wir halten das für irreführend, weil es in den nächsten Jahren dafür überhaupt kein Instrument gibt.

Warum nicht? Die Finanzierung der Krankenhäuser soll sich doch ebenfalls ändern. Sie sollen in Zukunft weniger abhängig sein von Fallpauschalen, also einzelnen Behandlungen. 60 Prozent ihrer Mittel soll eine Klinik dafür bekommen, dass sie medizinische Infrastruktur für ihre Region vorhält.

Das wird aber erst in etlichen Jahren wirksam. Grundsätzlich ist diese Vorhaltefinanzierung ein sinnvoller Schritt. Dadurch kommt aber kein zusätzliches Geld ins System, es handelt sich um eine Umverteilung: Man reduziert die Fallpauschalen um ein bestimmtes Volumen und verteilt das gewonnene Geld auf die Krankenhäuser neu. Das ist besser als die heutige Situation, aber definitiv keine Existenzgarantie für Krankenhäuser im ländlichen Raum.

Das Bundesgesundheitsministerium stellt einen Transformationsfonds in Aussicht. Geld soll es daraus aber erst geben, wenn die Länder ihre Krankenhauslandschaften umgebaut haben.

Das Geld aus dem Transformationsfonds soll für zukünftige Investitionen zur Verfügung stehen. Zum Beispiel, wenn kleinere Krankenhäuser in einer Region fusionieren oder ein Standort erweitert wird. Das ist durchaus ein richtiger Gedanke. Dafür braucht man erhebliche Investitionsmittel. Wir gehen von 25 bis 50 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren aus. Der Transformationsfonds hilft den Krankenhäusern aber nicht, die laufenden Personal- und Sachkosten zu bewältigen. Dort klafft durch die Inflation eine große Lücke. Hier verweigert der Minister eine Preisanpassung, weil er diese Verwerfungen in Kauf nehmen möchte.

Warum sollte er das wollen?

Er traut wohl den Ländern einen geordneten und kraftvollen Standortabbau und Fusionsprozess nicht zu. Deswegen nimmt er das Risiko eines kalten Strukturwandels durch ein ungeordnetes Krankenhaussterben in Kauf. Das ist ein riskantes politisches Spiel. Wir glauben auch nicht, dass nur kleinere Krankenhäuser in den Großstädten wegfallen. Es werden auch mittelgroße Krankenhäuser sterben. Die Stadt Leipzig muss zum Beispiel 100 Millionen Euro zusätzlich in ihr großes Klinikum stecken, um eine Insolvenz abzuwenden. Auch mehrere Landkreise müssen zweistellige Millionenbeträge zur Verfügung stellen, um die Versorgung aufrechtzuerhalten.

Ist es nicht unfair, nur auf den Bund zu zeigen? Für die Investitionen in Krankenhäuser sind die Länder zuständig.

Das stimmt, die Länder sind in den letzten Jahren oder sogar Jahrzehnten ihrer Investitionsverpflichtung in der Tat nicht nachgekommen. Da sind hohe zweistellige Milliardendefizite aufgelaufen. Die Misere in der Krankenhauslandschaft, die fehlende Modernisierung, die fehlenden Fusionen hängen auch damit zusammen. Mit einem Transformationsfonds ließe sich da einiges aufholen. Aber wir brauchen eben jetzt eine Preisanpassung, um die hohen Betriebskosten zu bewältigen.

Bund und Länder haben sich inzwischen auf Eckpunkte für die Reform geeinigt. Sie kritisieren aber, dass dabei noch viele Fragen unbeantwortet sind. Welche zum Beispiel?

Die Reform soll kleine Krankenhausstandorte in regionale Gesundheitszentren umwandeln. Sie sollen dann mehr ambulante Eingriffe oder auch Pflegeleistungen anbieten. Das halten wir für vernünftig, gerade für Regionen mit wenig niedergelassenen Fachärzten. Bei den Rahmenbedingungen ist aber noch ganz vieles unklar. Dafür gibt es noch kein Geschäftsmodell. Ein weiteres Problem ist die Telemedizin. Gesundheitszentren, kleinere Krankenhäuser in der Peripherie könnten damit künftig Patienten auch bei komplizierteren Anliegen unterstützen. Da ist noch viel offen, weil sich die Verantwortlichen immer nur auf die einzelnen Krankenhausstandorte konzentrieren, aber nicht auf die Vernetzung.

Deutschland hat Jahre gebraucht, um elektronische Rezepte zu ermöglichen. Medizinische Prozesse digital unter verschiedenen Behandlungsstandorten zu koordinieren, erscheint da unrealistisch, oder?

In anderen Ländern sind diese Fragen zum Teil längst gelöst. Außerdem werden wir um dieses Thema nicht herumkommen. Perspektivisch müssen wir aufgrund des demografischen Wandels mit deutlich weniger Beschäftigten mehr alte Menschen versorgen. Wir müssen effizienter werden. Der Personalmangel ist jetzt schon akut.

"Die Belegschaft eines Krankenhauses ist kein Wanderzirkus"

Lauterbach erwartet, dass sich der Personalmangel durch die Reform verbessert: Wenn Kliniken wegfallen, soll sich das Personal auf die übrigen verteilen. Kann diese Rechnung aufgehen?

Die Belegschaft eines Krankenhauses ist kein Wanderzirkus, der von A nach B marschiert, wenn ein Standort geschlossen wird. Wir wissen aus Umfragen und praktischen Erfahrungen nach Standortschließungen, dass vor allem Pflege- und Teilzeitkräfte eine große regionale Verbundenheit haben und sehr auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf achten. Die ziehen nicht eben mal 30 Kilometer weiter zur nächsten Universitätsklinik. Ein großer Teil dieser Leute wird sich eine andere Beschäftigung suchen oder in den Vorruhestand gehen. Und das Thema hat noch eine andere Dimension.

Welche?

Viele Krankenhausstandorte haben auch eine Krankenpflegeschule. Wenn das Krankenhaus schließt, kann auch die Pflegeschule nicht weiter betrieben werden. Das Potenzial an jungen Menschen, die Interesse an solchen Berufen hätten, werden wir dort nicht mehr erreichen. Das können wir uns nicht leisten.

"Wir haben schon vielfach Lücken im Rettungsdienst"

Gerald Gaß

Viele Beschäftigte von Rettungsdiensten werfen schon jetzt aus Frustration ob der schlechten Arbeitsbedingungen hin. Dabei bräuchte man hier künftig mehr Personal: Wenn die lokalen Kliniken zumachen, müssen die Rettungsdienste längere Wege zurücklegen.

Der Rettungsdienst ist ein wunder Punkt. Auch den denkt die Krankenhausreform nicht mit. Wenn man eine stärkere Zentralisierung will und weitere Wege in Kauf nimmt, muss man auch die Frage beantworten: Wie kommen die Patienten in die Kliniken? Wir haben schon vielfach Lücken im Rettungsdienst. In einigen Bundesländern gibt es Probleme mit Nachtflügen von Rettungshubschraubern. Die Vorstellung, dass jemand mit Herzinfarkt oder Schlaganfall sofort in die nächste Uniklinik geflogen wird, ist eine Fehleinschätzung. Künftig müssen signifikant mehr Patientinnen und Patienten transportiert werden. Dadurch wird der Rettungsdienst stärker gefordert. Die Krankenhausreform hat dafür keine Lösung. Das ist ein riskantes Unterfangen.

"Kein Bereich ist so transparent wie die Krankenhäuser"

Herr Lauterbach will mit einer Transparenzübersicht Patientinnen und Patienten helfen, einen Überblick zu bekommen, welches Krankenhaus für welche Eingriffe gut geeignet ist. Was halten Sie davon?

Wir nehmen das mit Kopfschütteln zur Kenntnis, weil es diese Übersicht schon gibt. Das Bundesgesundheitsministerium selbst veröffentlicht seit Jahren auf seiner Website das Deutsche Krankenhausverzeichnis. Wenn Sie das anklicken, können Sie für jeden Standort sehen: Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dort beschäftigt? Welches Leistungsspektrum wird angeboten? Wie viele Eingriffe, zum Beispiel Brustkrebsoperationen, werden durchgeführt? Außerdem können Sie dort sehen, ob die Klinik alle Qualitätsindikatoren erreicht und wie die Komplikationsrate ist. Es ist schon absurd, was der Minister in der Öffentlichkeit erzählt. Er tut so, als ob er geheime Daten im Keller hätte, die bisher nicht veröffentlicht wurden. Die Daten sind aber längst veröffentlicht. Das ist wirklich sehr speziell, anders kann man das gar nicht sagen.

Aber der breiten Öffentlichkeit ist diese Übersicht offenbar noch nicht ausreichend bekannt.

Natürlich kann man die Bevölkerung noch intensiver darauf hinweisen oder die Daten noch besser darstellen. Damit haben wir kein Problem. Aber es gibt keine validen weitergehenden Daten, die in irgendwelchen Giftschränken liegen. Es gibt keinen Bereich im Gesundheitswesen, der so transparent ist wie die Krankenhäuser. Sie können ja mal versuchen, über eine Arztpraxis derartige Informationen zu bekommen. Da werden Sie nichts finden.

Zur Person: Dr. Gerald Gaß ist promovierter Volkswirt und Soziologe und seit April 2021 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Zuvor war er unter anderem Abteilungsleiter für Gesundheit im Sozialministerium in Rheinland-Pfalz. Die DKG ist der Dachverband der Krankenhausträger in Deutschland.
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