Uli Grötsch soll Baustellen bei der Polizei finden – und ein offenes Ohr für ihre Angestellten sowie Bürgerinnen und Bürger haben. Wie läuft es für den Bundespolizeibeauftragten? Und wo muss die Polizei besser werden? Ein Gespräch.

Ein Interview

Ein Jahr kann schnell vorbeigehen. Besonders, wenn man viel zu tun hat. Für Uli Grötsch dürfte 2024 deshalb im Eiltempo abgelaufen sein. Denn seit dem 15. März vergangenen Jahres ist er der Bundespolizeibeauftragte des Bundestages.

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Eine Menge Arbeit für den ehemaligen SPD-Abgeordneten und Ex-Polizisten. Denn vor ihm gab es das Amt überhaupt nicht. Für Grötsch hieß das, dass er ein Team aufbauen und sich erst einmal bekannt machen musste. Auch bei der Polizei selbst – davon zeugen die zahlreichen Antrittsbesuche, die Grötsch in den vergangenen Monaten absolvierte.

Was ist ihm bislang besonders in Erinnerung geblieben und welche Probleme sieht er innerhalb der Polizei? Zu seinem Amtsjubiläum hat unsere Redaktion bei Uli Grötsch nachgefragt.

Herr Grötsch, Sie sind jetzt seit einem Jahr Bundespolizeibeauftragter. Gab es Momente, die Sie dabei besonders geprägt haben?

Uli Grötsch: Die Themen, mit denen wir zu tun haben, sind vielfältig. Da ist es schwer, etwas besonders hervorzuheben. Aber natürlich prägen mich die Gespräche mit den Polizeibeschäftigten, den Bürger:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft. Und auch manch eine der Eingaben. Etwa wenn darin sexuelle Belästigung – und wie diese der Person körperlich wie seelisch zusetzt – geschildert wird.

Qua Amt sind Sie Ansprechpartner für Bürger, die auf polizeiliches Fehlverhalten aufmerksam machen, und für Polizisten, die Missstände innerhalb der Polizei melden möchten. Womit kommen die beiden Gruppen auf Sie zu?

Bei den Eingaben aus der Polizei geht es oft um Arbeitsbelastung. Etwa durch die Grenzkontrollen oder Überstunden. Es geht aber auch viel um mangelnden Respekt. An den Bahnhöfen im ganzen Land gehören Beleidigungen übelster Art und körperliche Angriffe zum Alltag der Polizeibediensteten. Wenn ich das höre, dann schaudere ich.

Was ist der Bundespolizeibeauftragte?

  • Zuständig ist das Amt für alle Polizeien des Bundes – also die Bundespolizei, die Mitglieder des Bundeskriminalamts und die Polizei des Bundestages.
  • Seine Aufgabe ist es, strukturellen Fehlentwicklungen bei diesen nachzugehen und zu untersuchen.
  • Außerdem können sich die Mitglieder der Polizeien und Bürgerinnen und Bürger, die sich von eben jenen falsch behandelt fühlen, an ihn wenden. Je nach Beschwerde kann er Ermittlungen einleiten, um kritisierten Sachverhalten auf den Grund zu gehen.
  • In einigen Bundesländern gibt es ähnliche Beauftragte, die für die jeweilige Landespolizei zuständig sind.
  • Mehr Infos zur Arbeit des Bundespolizeibeauftragten finden Sie hier und auf seiner offiziellen Homepage.

Und womit kommen Bürgerinnen und Bürger auf Sie zu?

Oft wegen des Verdachts auf "Racial Profiling". Viele Menschen mit schwarzer Hautfarbe oder Migrationshintergrund haben das Gefühl, dass sie nur aufgrund ihres Aussehens von der Polizei kontrolliert werden.

Gerade in migrantischen Communities ist das Vertrauen in die Polizei deutlich niedriger als in der restlichen Bevölkerung. Merken Sie das auch bei Ihrer Arbeit?

Diese Diskrepanz gibt es. Das liegt meiner Meinung nach an zwei Dingen. Zum einen verstehen die Menschen das polizeiliche Handeln oft nicht. Wir haben immer wieder Beschwerden, bei denen sich herausstellt: Die Polizei hat nichts falsch gemacht. Aber sie hat die angewandten Maßnahmen und die Gründe nicht ausreichend erklärt.

Und zweitens?

Mangelt es an Vertrauen, weil man sich nicht kennt. In der migrantischen Community gibt es viele, die noch nie eine positive Begegnung mit der Polizei hatten. Deswegen geht es mir auch darum, Vertreter:innen beider Gruppen zusammenzubringen.

"Ich hatte oft genug Gelegenheit, polizeiliches Handeln zu kritisieren."

Uli Grötsch (SPD), Bundespolizeibeauftragter

Ist das nicht zu einfach gedacht? Eine Studie zur Einstellung der Polizeiangehörigen hat ergeben, dass 42 Prozent von ihnen Asylsuchenden ablehnend gegenüberstehen.

Wir arbeiten mit Wissenschaftler:innen, die an der Studie mitgewirkt haben, zusammen. Erst vor wenigen Wochen haben wir uns an der Universität Köln mit ihnen dazu ausgetauscht, welche Schritte man aus den Erkenntnissen der Studie ableiten könnte. Stichwort: Aus- und Fortbildung. Denn ja: Das ist ein großes strukturelles Problem.

Laut dem Gesetz zu Ihrem Amt ist Ihre Hauptaufgabe, strukturelle Fehlentwicklungen bei der Polizei aufzudecken und ihnen entgegenzuwirken. Klingt, als hätten Sie schon welche gefunden.

Meine fünf Jahre Amtszeit werden nicht reichen, um all die Bereiche, die sich dazu schon jetzt auftun, zu bearbeiten. Es braucht mehr Sensibilisierung für Themen wie Sexismus, Rassismus und Mobbing innerhalb der Polizei. Dazu drückt auch innerhalb der Bundespolizei an verschiedenen Stellen der Schuh. Beim Thema Frauen in Führungspositionen gibt es etwa noch viel Luft nach oben.

Um möglichem Fehlverhalten von Beamtinnen oder Beamten auf den Grund zu gehen, haben Sie auch umfangreiche Ermittlungskompetenzen bekommen. Wie oft mussten Sie davon Gebrauch machen?

Generell treffen mein Team und ich auf viel Offenheit. Deswegen musste ich noch nicht alle meine Möglichkeiten ausschöpfen. Parallel zur Staatsanwaltschaft Ermittlungen anzustellen, war etwa noch nicht nötig. Aber es gab schon mehrfach Situationen, wo wir bei den Dienststellen nochmal nachfassen mussten.

Klingt nach wenig Konfrontation zwischen Ihnen und der Polizei.

Ich möchte deutlich sagen: Ich hatte oft genug Gelegenheit, polizeiliches Handeln zu kritisieren. In meinem ersten Jahr habe ich durchaus Fälle von Fehlverhalten gesehen, denen ich nachgegangen bin. Was wir aber nicht hatten, war unrechtmäßige Polizeigewalt.

Haben Sie ein Beispiel für einen Fall von Fehlverhalten?

Wir hatten eine Eingabe von einer Transperson, bei der eine Begegnung mit der Bundespolizei an einem Flughafen unschön endete. Die Person befand sich noch im Prozess der Geschlechtsangleichung und niemand wusste, wie mit der Person bei der Sicherheitskontrolle angemessen umgegangen werden sollte. Durch die Unsicherheit und das falsche Verhalten der beteiligten Beamt:innen und der Sicherheitsfirma entstand so viel Aufmerksamkeit für die Transperson, dass sie weinte. Solche Dinge werden in Fortbildungen offenbar nicht behandelt. Dementsprechend schlecht ging das Ganze aus. Das bringt mich zum Thema Fehlerkultur.

Wie die Polizei mit ihren Fehlern umgeht, ist immer wieder einer der größten Kritikpunkte an ihr. Hat sie da Nachholbedarf?

Definitiv! Niemand handelt immer fehlerfrei und das ist auch bei der Polizei so. Aber ich erwarte eine Fehlerkultur, bei der man, wenn etwas schiefgelaufen ist, Maßnahmen trifft, damit das in Zukunft nicht wieder passiert. Das ist Teil meiner Aufgabe: Festzustellen, ob die Bundespolizei mutig genug dafür ist, sich Fehler einzugestehen – oder sie nur zur Seite wischt. Es gibt zwar auch polizeiinterne Beschwerdestellen. Wir sehen aber, dass sowohl Polizeibeschäftigte als auch Bürger:innen mit diesen Stellen – vorsichtig ausgedrückt – oft nicht zupass kommen. Wir sehen die Dinge weder nur aus der Polizei- noch nur aus der Bürgerperspektive.

Zuletzt wurde in Deutschland wieder viel über die Wirksamkeit von Grenzkontrollen gegen illegale Migration diskutiert. Sie waren früher selbst Grenzpolizist. Wie blicken Sie auf diese Debatte?

Die Zahlen zeigen, dass die irreguläre Migration in den letzten zwölf Monaten massiv zurückgegangen ist. Deshalb würde ich sagen: Grenzkontrollen sind sehr wohl wirksam. Aber sie stellen für die Bundespolizei – wie ich bei meinen zahlreichen Besuchen an den Grenzkontrollstellen sehe – auch die größte Mehrbelastung dar, der sie in den letzten Jahrzehnten ausgesetzt war.

"Die Demokratie steht so sehr unter Druck, wie das wahrscheinlich noch nie der Fall war."

Uli Grötsch (SPD), Bundespolizeibeauftragter

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP), bei der Sie selbst Mitglied sind, hat das zuletzt auch angemerkt. Sie fordert deshalb 10.000 neue Stellen bei der Bundespolizei. Aktuell hat diese etwa 54.000 Beschäftigte. Klingt nach einer utopischen Forderung, oder nicht?

Da hat die Gewerkschaft recht. Der personelle Aufwuchs bei der Bundespolizei muss mit dem Anwachsen der Aufgaben einhergehen. Drohnenabwehr, der Kampf gegen Cyber- und organisierte Kriminalität: Die Bundespolizei bekommt immer mehr Aufgaben zugeschoben. Alles richtig und wichtig. Aber bei den Sicherheitsbehörden darf deshalb nicht gespart werden. Die künftige Regierung muss in sie investieren.

Die GdP lobt auch, dass die Polizei künftig ausreisepflichtige Ausländer festnehmen und in Haft nehmen soll. Ende 2024 waren rund 220.000 Menschen in Deutschland ausreisepflichtig. Bundesweit gibt es aber gerade mal 800 Haftplätze für Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam. Das klingt nach Symbolpolitik.

Sie haben absolut recht. Wenn man der Bundespolizei sagt, dass sie künftig ausreisepflichtige Personen öfter in Gewahrsam nehmen muss, braucht es mehr Haftplätze. Aber Abschiebehaftanstalten zu bauen ist Aufgabe der Länder. Wie man ihnen hier zusätzliche Kapazitäten einräumen kann, muss der künftige Kanzler mit den Ministerpräsident:innen klären.

Hinter uns liegt ein bewegter Wahlkampf – nicht nur aus politischer Sicht. Die GdP spricht von rund 10.000 politisch motivierten Straftaten rund um die Wahl und einer "neuen Dimension für die Polizei". Ist da etwas ins Rutschen gekommen?

Die Demokratie steht so sehr unter Druck, wie das wahrscheinlich noch nie der Fall war. Und zwar von verschiedensten Seiten. Vor allem Rechtsextremisten und Rechtspopulisten, sind die größte Gefahr für Deutschland, Europa – inzwischen sogar die ganze Welt. Das merkt man auch den Beamt:innen an, die die gesellschaftlichen Veränderungen als Erstes spüren. Sie sorgen sich um das gesellschaftliche Miteinander, den sozialen Frieden und die Demokratie. Aus meiner Erfahrung sind die Repräsentant:innen des Gewaltmonopols bezüglich dieser Themen besonders sensibel.

Über den Gesprächspartner:

  • Uli Grötsch wurde 1975 in Weiden in der Oberpfalz geboren. Nach seinem Schulabschluss ging er 1992 zur Polizei, wo er unter anderem für die Bereitschafts- als auch die Grenzpolizei im Einsatz war. Zudem ist Grötsch Mitglied der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Seit 1994 ist er Mitglied der SPD, ab 2013 saß er für die Partei im Bundestag. Am 15. März 2024 wurde er zum Bundespolizeibeauftragten ernannt und legte für das Amt sein Bundestagsmandat nieder.