Die Europäische Union drängt die Briten, den Ausstieg aus der Staatengemeinschaft nun schnell voranzutreiben. Aber es gibt einige EU-Vertreter, die ihnen mehr Zeit einräumen wollen. Was treibt die beiden Lager an?

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Was passiert mit den britischen EU-Abgeordneten? Was mit Projekten in Großbritannien, die mit EU-Mitteln gefördert sind? Wie gestalten sich die Beziehungen zwischen der Staatengemeinschaft und Großbritannien in Zukunft? Der Brexit wirft Fragen über Fragen auf – in Zeiten, in denen die EU etwa durch die Flüchtlingssituation oder die wachsende Terrorgefahr eigentlich genug Probleme hätte.

Auch deswegen drängen viele EU-Spitzenpolitiker nun zur Eile, zumindest den Brexit schnell umzusetzen. "Eine lange Phase der Unsicherheit wäre für beide Seiten Gift", sagte Manfred Weber, der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), am Dienstag beim EU-Gipfel in Brüssel.

Knapp 52 Prozent der am Referendum teilnehmenden Briten hatten sich in der vergangenen Woche für den EU-Austritt ausgesprochen. "Wir haben nicht Monate Zeit zum Nachdenken", mahnte auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Warum drängt man auf einen schnellen Ausstieg?

Ihm und anderen Fürsprechern eines schnellen Ausstiegs geht es darum, rasch Klarheit zu schaffen – etwa darüber, wie die Trennung konkret vollzogen und wie sich die Gemeinschaft ohne Großbritannien neu ordnen wird.

Viele wollen klare Kante zeigen – und Großbritannien deutlich machen, dass es ein wesentlicher Unterschied ist, ob ein Land EU-Mitglied ist - oder eben nicht.

Zudem schadet die Unsicherheit der Wirtschaft: Investitionen und Projekte liegen auf Eis, so lange nicht absehbar ist, wie die wirtschaftlichen Beziehungen in Zukunft aussehen.

Eine weitere Befürchtung der EU-Anhänger ist, dass der schwebende Zustand die Stimmung gegen die Gemeinschaft in anderen EU-Staaten weiter anheizen könnte. Ein Argument, das aber auch für diejenigen gilt, die den Briten etwas mehr Zeit lassen wollen: Zu schnelle, unausgegorene Entscheidungen könnten den Populisten ebenfalls in die Hände spielen.

Ein schnelle Trennung scheint praktikabel

Für den Münchner Politikwissenschaftler Professor Werner Weidenfeld stellt sich die Frage nach dem schnellen Ausstieg überhaupt nicht: "In diesem Zusammenhang von schnell zu sprechen, halte ich für völlig deplatziert", betont er. Denn es gehe hier nicht um wenige Wochen, sondern um mehrjährige Verhandlungen, die nun auch sorgfältig vorbereitet werden müssten. Für ihn ist klar, dass der noch amtierende britische Premierminister David Cameron dabei bleibt, die Auslösung des Artikels 50, der den Ausstieg eines EU-Staates regelt, seinem Nachfolger zu überlassen – egal wie viel Druck die Führungskräfte der EU machen.

Cameron hat seinen Rücktritt für den Herbst angekündigt. "Er ist bemüht, jetzt noch das Harmloseste für sich herauszuholen", glaubt Weidenfeld. Er wolle nicht in die Geschichtsbücher eingehen als derjenige, der den Austritt ausgelöst habe. "Diese Rolle will er jetzt einem anderen zuschieben."

Kein überstürztes Handeln

Diejenigen, die den Briten Zeit gewähren wollen, wünschen sich, dass die EU umsichtig handelt. "Sie wollen die Stimmung nicht noch verschlechtern", beobachtet Politikwissenschaftler Weidenfeld. Man wolle den Briten klar machen, dass sie ihre Interessenlage selbst definieren dürfen. Er halte es durchaus für geschickt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel angemahnt habe, nicht zu garstig mit ihnen zu sein.

Hinzu kommt, dass viele wohl doch noch auf den viel diskutierten "Exit aus dem Brexit" hoffen – also darauf, dass die Briten ihre Entscheidung noch einmal überdenken. Solange Artikel 50 nicht ausgelöst ist, besteht noch ein Funke Hoffnung – denn rechtlich gesehen ist das Referendum nicht bindend.

Für Angela Merkel ist indes eines klar: "Ich sehe keinen Weg, das wieder umzukehren." Sie betonte beim EU-Gipfel, dass es jetzt nicht um Wunschdenken gehe, sondern um die Realität.

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