Eine junge Schottin möchte das Duell zwischen Premierminister Boris Johnson und Jeremy Corbyn zu einem Dreikampf machen. Jo Swinson, Vorsitzende der Liberaldemokraten, hat in der Politik einen rasanten Aufstieg hingelegt. Nun träumt sie vom höchsten Amt im Vereinigten Königreich.

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Ihre Partei lag bei Meinungsumfragen im November nur zwischen 14 und 17 Prozent, aber Jo Swinson will trotzdem die dritte Premierministerin in der Geschichte Großbritanniens werden.

"Es ist eine Wahl und alles ist möglich", sagte die 39 Jahre alte Vorsitzende der Liberaldemokraten vor der Parlamentswahl am 12. Dezember der Zeitung "The Scotsman". Im Zweikampf zwischen dem konservativen Premierminister Boris Johnson und seinem Labour-Widersacher Jeremy Corbyn könnte Swinson am Wahltag das Zünglein an der Waage sein – und mit einem starken Ergebnis eine Alleinregierung Johnsons verhindern.
Ihre Partei ist die einzige der drei in den Umfragen führenden mit einer ganz klar pro-europäischen Haltung. Sie wolle tun, "was auch immer nötig ist, um den Brexit zu stoppen", kündigte Swinson an. Ihr Sendungs- und Selbstbewusstsein ist groß.

So groß, dass sie vor der ersten TV-Debatte zwischen Johnson und Corbyn im Sender ITV mit rechtlichen Mitteln ihre Teilnahme erzwingen wollte – der High Court in London wies die Klage zurück. Dafür zeigt sich die Politikerin Ende November auf Sky und bei der BBC zweimal dem TV-Publikum.
Wer ist die Frau, die die beiden Alpha-Männer der britischen Politik herausfordert, einst jüngstes Mitglied im britischen Unterhaus war und als erste Politikerin an der Spitze der "Lib Dems" steht?

Jo Swinson mit Baby im Parlament

Joanne Kate "Jo" Swinson kam am 5. Februar 1980 im schottischen Glasgow zur Welt und wuchs in der nahe gelegenen Vorstadt Milngavie auf. Schon mit 17 Jahren unterschrieb sie den Mitgliedsantrag der Liberaldemokratischen Partei.

Nach Management-Studium an der London School of Economics arbeitete sie unter anderem als Marketing- und PR-Managerin für eine Radiostation in Nordengland. Mit 21 Jahren scheiterte sie noch bei der Wahl ins House of Commons.

Vier Jahre später zog sie in ihrem schottischen Wahlkreis East Dunbartonshire schließlich ins Parlament ein, wo sie als jüngste Abgeordnete einige Jahre den Titel "Baby of the House" trug. Seitdem gehört sie – bis auf eine kurze Unterbrechung von 2015 bis 2017 – dem Unterhaus an. Wie zeitweise übrigens auch ihr Ehemann Duncan Hames, Chef von Transparency International UK, mit dem sie zwei Kinder großzieht.

Die passionierte Marathonläuferin besitzt auch in der Politik enorme Ausdauer und Standhaftigkeit. In der Koalitionsregierung zwischen Konservativen und Liberaldemokraten (2010-2015) diente sie Vize-Premier Nick Clegg als Parlamentarische Privatsekretärin, später war sie als Staatssekretärin für Arbeit und Post zuständig.

Kollegen beschrieben Swinson laut "Telegraph" als "effektive Ministerin mit großer Aufmerksamkeit für Details". 2017 stieg sie zur stellvertretenden Parteivorsitzenden auf, im Sommer 2019 wurde Swinson schließlich mit 62,8 Prozent der Stimmen als erste Frau an die Spitze der 1988 gegründeten Partei gewählt.

Die Mitgliederzahlen stiegen daraufhin auf ein Rekordniveau von mehr als 115.000 an. Zudem wechselten in den vergangenen Monaten wegen der Brexit-Querelen zahlreiche ehemalige Konservative und Labour-Abgeordnete des House of Commons zu den "Lib Dems", sodass sich die neun Sitze von der Wahl 2017 inzwischen auf 21 mehr als verdoppelt haben.

Aufsehen erregte Swinson 2018, als sie als erste Parlamentarierin ein Baby ins "Commons" mitbrachte – und mit ihrem zweieinhalb Monate alten Sohn Daniel im Tragerucksack sogar eine Rede hielt.

Die "britische Annalena Baerbock"?

In ihrer neuen starken Rolle versucht Swinson, die Polarisierung zwischen Johnson, der Großbritannien schnellstmöglich aus der EU führen möchte, und seinem linken Herausforderer Jeremy Corbyn zu durchbrechen – mit markigen Worten.

Nachdem Johnson nach seinem Amtsantritt Ende Juli vollmundig versprochen hatte, in nur einem Monat einen neuen Brexit-Deal zu verhandeln, lästerte Swinson: "Ich würde darauf keine großen Hoffnungen setzen. Gestern konnte er nicht einmal verhandeln, wo die Pressekonferenz stattfinden sollte."

Johnsons Austrittspläne lehnt die überzeugte Europäerin entschieden ab. Mit Corbyn schließt sie eine Zusammenarbeit wegen dessen linken Positionen ebenfalls aus. Er sei "in vielen Bereichen nicht fit" für das Amt, so Swinson. Einer Zusammenarbeit mit Labour – allerdings ohne Corbyn an der Spitze – steht sie hingegen offen gegenüber.
Politisch lässt sich die Schottin nicht klar verorten. Einerseits ist sie vehemente Umwelt- und Klimaschützerin, setzt sich für Frauenrechte ein und gab zu, an der Uni regelmäßig gekifft zu haben – was bei einigen Wählern gut ankommen dürfte.

Anderseits ist sie eher im liberal-konservativen Flügel ihrer Partei zu Hause, gilt als wirtschaftsfreundlich und lehnt Arbeitsmarktregulierungen und eine Frauenquote strikt ab. Die FAZ nannte Swinson unlängst die "britische Annalena Baerbock". Das dürfte aber eher am Geschlecht, ihrem dunklen Haar und am ähnlichen Alter der beiden Frauen liegen als an gemeinsamen Überzeugungen.

Positive Alternative zu Johnson und Corbyn

Angesichts der polarisierenden Streithähne Johnson und Corbyn soll es laut "Telegraph" einige Parlamentarier von Tories und Labour geben, die Swinson anvertraut haben sollen, sie würde eine bessere Premierministerin abgeben als ihre Widersacher.

Die Aufsteigerin, die mit gerade 39 Jahren in der britischen Politik schon ganz oben mitmischt, ist davon sowieso überzeugt. Auf Flyern ihrer Partei wird sie schon als "Britain’s next Prime Minister" angekündigt.

"Wir müssen ambitioniert sein", sagte sie dem "Scotsman", "denn die Angebote von Boris Johnson und Jeremy Corbyn sind scheußlich. Ich denke, die Leute suchen nach einer positiveren Alternative." Ihre Chanchen liegen aber praktisch bei null:

Nach einer BBC-Umfrage vom 16. November lagen die Tories mit 40 Prozent elf Punkte vor Labour, die Liberaldemokraten folgten mit 15 Prozent abgeschlagen auf Platz drei. Als Swinson in einem Interview gefragt wurde, ob ihre Zielstellung, die Wahl zu gewinnen, nicht zu hoch gegriffen sei, war sie kurz sprachlos. Ein seltener Moment für eine Frau, die sonst um keine schlagfertige Antwort verlegen ist.

Und wer weiß: Wenn Joanne Kate Swinson weiter so beharrlich und selbstbewusst für ihre Ideale streitet, geht ihr Traum, nach Margaret Thatcher und Theresa May dritte Premierministerin Großbritanniens zu werden, vielleicht irgendwann in Erfüllung. 2019 wird das allerdings sehr wahrscheinlich nicht passieren.

Verwendete Quellen:

  • Wahlumfrage: General election poll tracker: How do the parties compare?
  • The Standard: ITV leaders debate: Lib Dems lose High Court challenge over exclusion of Jo Swinson
  • The Scotsman: My constituents are proud I’m taking on Boris, says Jo Swinson
  • The Telegraph: LibDems begin high court action over ITV's 'unlawful' exclusion of Jo Swinson from debate
Boris Johnson, Jeremy Corbyn

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