• Deutschland gleicht bei der Erarbeitung von Hitzeaktionsplänen im Vergleich etwa zu Frankreich einem Flickenteppich.
  • Immer noch bestehen Probleme bei der Erreichbarkeit von großen Teilen der betroffenen Gruppen.
  • Bisher gibt es keine Aktivitäten auf Bundesebene.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen des Autors bzw. der zu Wort kommenden Expertinnen einfließen. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Hitze kann massive gesundheitliche Risiken für Menschen verursachen. Dabei stellt sich die Frage, wie die Kommunen in Deutschland darauf vorbereitet sind. "In diesem Sommer findet der erste große Praxistest für die wenigen bestehenden Hitzeaktionspläne in Deutschland statt", meint Henny Annette Grewe, Professorin für Medizinische Grundlagen der Pflege an der Hochschule Fulda. "Anders als im europäischen Ausland hat man in Deutschland erst 20 Jahre später angefangen, sich mit dem Thema zu befassen."

Bereits 2008 hat die Weltgesundheitsorganisation gefordert, dass Staaten Maßnahmen ergreifen sollten. Erst 2017 veröffentlichte eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern "Handlungsempfehlungen" für Kommunen, um eigene Hitzeaktionspläne zu erarbeiten.

Die Stadt Mannheim hat bisher den weitreichendsten Hitzeaktionsplan

Einige wenige Städte haben seit diesem oder letztem Jahr Pläne zum Schutz vor den Folgen der Hitze. Dazu gehören etwa Köln, Offenbach, Worms und Erfurt. Wieder andere Städte haben "Klimaanpassungspläne" entwickelt, bei denen nicht nur Hitzefolgen, sondern auch Schäden von starken Regenfällen im Zentrum stehen.

Am umfassendsten ist bisher der Hitzeaktionsplan der Stadt Mannheim, der im vergangenen Herbst fertigstellt wurde. Hier wird etwa die Website der Stadtverwaltung zum "Knotenpunkt" für Informationen gemacht. Auch Papierbroschüren werden angeboten. Zentral in solchen Hitzeaktionsplänen sind die Informationen für besonders verletzliche Gruppen. Hinweise, genug zu trinken und dem Körper Ausruhzeiten zu verschaffen, gehören dazu. Tipps zum Verschatten der Wohnung oder zum richtigen Belüften sind ebenfalls Teil davon. Es wird auch etwa auf besonders kühle Plätze wie Kirchen und Einkaufspassagen hingewiesen. Kampagnen zur "Trinkmotivation" sollen in Mannheim ebenfalls gemacht werden.

Ein weiterer Aspekt ist die Qualifikation von Fachpersonal in Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern. Aber auch Maßnahmen der Städtegestaltung sind Teil davon. Bei Neubauten und anderen baulichen Maßnahmen soll auf möglichst wenig Hitzespeicherung der Gebäude geachtet werden.

Probleme bei der Erreichbarkeit von gefährdeten Gruppen

Bei all diesen Maßnahmen sei die allgemeine Bevölkerung, insbesondere die älteren Menschen, die sozial Vereinsamten und die chronisch Kranken jedoch nur schwer im Alltag für Behörden erreichbar, sagt Grewe. Immerhin sei "soziale Isolation ein wichtiger Faktor dafür, an Hitze zu versterben". Wie schwerwiegend das Problem ist, zeigen diese Zahlen: So seien unter den 80 bis 84-jährigen Menschen in Deutschland 78 Prozent der Männer und 70 Prozent der Frauen in keiner Weise pflegebedürftig. Diese seien daher nicht über einen Pflegedienstleister erreichbar, der diese mit Informationen versorgt, erklärt Grewe. Informationen über das Internet würden die Mehrzahl der sehr alten Menschen kaum erreichen.

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"Besonders häufig fehlt die aktive Mitwirkung des Gesundheits- und Pflegesektors, wie von Krankenhäusern, Pflegeheimen und Hausärzten, in den existierenden Plänen", sagt Eva-Franziska Matthies-Wiesler vom Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München. Die Stadt Berlin versucht seit diesem Sommer, diesen Gedanken aufzunehmen. Dort sind Hitzeschutzpläne erstellt worden, die auch Akteure im Gesundheitswesen umfassen wie etwa Arztpraxen, Krankenhäuser, sowie stationäre und ambulante Pflege. Besonders wichtig sei jedoch langfristig, dass die Städte ihre Widerstandskraft gegenüber negativen Auswirkungen von Hitze stärken. Dies müsse über bauliche Maßnahmen und über die Stadtplanung geschehen, meint Matthies-Wiesler.

Hitzewellen in Deutschland: Bisher keine Planungen auf Bundesebene

Unsere Nachbarn sind derweil schon weiter. Als in Frankreich im Jahr 2003 15.000 Menschen an Hitzefolgen starben, setzte die Regierung den "Plan Canicule" um. Demnach wird von der Regierung in Paris für jedes Departement zentral Hitzealarm ausgelöst, wie auf der Website des "Trinationalen Kompetenzzentrum für Ihre Gesundheitsprojekte" nachzulesen ist. In den Sommermonaten müssen die kommunalen Behörden die Menschen vor Ort permanent über Hitzegefahren informieren. Es gibt zudem in Kommunen auch jeweils einen "Hitzereferenten". In der dritten von vier Warnstufen werden Sportveranstaltungen abgesagt. Senioren können sich registrieren lassen. Bei ihnen erkundigen sich die Behörden dann während der Hitzewellen nach ihrem Gesundheitszustand.

Auf Bundesebene in Deutschland gibt es bisher keine Koordinierung. Dabei sei ein Handeln des Bundes wichtig für die "systematische und flächendeckende Umsetzung von Hitzeaktionsplänen", meint Matthies-Wiesler. Und auch bei den Bundesländern ist bisher wenig geschehen. Allein Brandenburg arbeitet an einem landesweiten Hitzeaktionsplan und Hessen hat bisher sein eigenes Hitzewarnsystem.

Auch sei Hessen das einzige Bundesland, in dem es Überprüfungen hinsichtlich der Wirksamkeit von Maßnahmen gegen Hitze gäbe – und dort auch nur bei stationären Pflegeeinrichtungen, meint Henny Annette Grewe. Daher fordert sie, dass sich Bund, Länder und Kommunen zusammensetzen und verbindliche Absprachen anstatt Empfehlungen beschließen sollten.

Generell gilt jedoch für all diese Vorhaben: "Pläne kann man viele schreiben, ob sie auch umgesetzt werden können, das zeigt immer erst die Zukunft", warnt Grewe, die bei vielen solchen Pläne beratend aktiv ist. Daher werden die kommenden Wochen zeigen, wie funktionsfähig die Hitzeaktionspläne derjenigen Kommunen sind, die immerhin schon einen solchen Plan besitzen.

Weitere Informationen: Tipps zum Verhalten bei Hitzewellen vom Umweltbundesamt, Kostenlose App des Deutschen Wetterdienstes, um über Hitzewellen in Ihrer Region informiert zu werden.
Über die Experten:
Henny Annette Grewe ist seit 1995 Professorin für Medizinische Grundlagen der Pflege an der Hochschule Fulda. Sie forscht unter anderem zu den Gebieten: Klimawandel und Gesundheit, Gesundheitsschutz bei interpersoneller Gewalt und Professionalisierung der Gesundheitsberufe.
Eva-Franziska Matthies-Wiesler, vom Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München, ist promovierte Biologin und arbeitet seit 20 Jahren im Bereich Klimawandel und Gesundheit.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Henny Annette Grewe
  • Online-Vortrag von Henny Annette Grewe: "Bundesweiter Status Hitzeaktionspläne"
  • Gespräch mit Eva-Franziska Matthies-Wiesler
  • Trisan.org: Wie sich unsere Nachbarn auf Rekordtemperaturen vorbereiten

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