Die Lösung für zu hohe Mieten scheint einfach: Neubau, Neubau und nochmal Neubau. Ein Ansatz, der in der Realität nicht so einfach ist – und allein auch nicht ausreicht.
Die Mieten in deutschen Großstädten steigen und steigen. Metropolen wie Berlin melden, dass Wohnungen bis zu 20 Prozent teurer sind als noch vor einem Jahr.
Generell sind Mietwohnungen in deutschen Großstädten immer schwerer zu finden. Wie das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) mitteilt, wurden im ersten Quartal 2024 in den sieben größten deutschen Städten 27 Prozent weniger Mietwohnungen angeboten als Anfang 2022.
Gleichzeitig bleibe die Nachfrage hoch. "Die Lage auf dem Wohnungsmarkt spitzt sich also weiter zu", teilte das IW mit.
Ambitionierte Neubaupläne: Warum die Mieten trotzdem nicht sinken
Die Bundesregierung setzt auf Neubau, um den Wohnungsmarkt zu entspannen und damit auch die hohen Mietpreise zu dämpfen. Ihre Agenda ist ambitioniert. 400.000 neue Wohnungen pro Jahr hatte sich die Ampelkoalition bei ihrem Start 2021 noch vorgenommen. Anfang 2023 musste Bauministerin Klara Geywitz im Gespräch mit unserer Redaktion einräumen, dass diese Zahl vorerst nicht zu erreichen ist.
Das Ziel sei grundsätzlich sinnvoll, findet Michael Ziller - Stadtplaner und Architekt in München, der sich damit beschäftigt, urbane Lebensräume nachhaltig und lebenswert zu gestalten. Doch der Experte glaubt nicht, dass sich die Wohnungskrise so tatsächlich aus der Welt schaffen lässt. Und auch andere Fachleute sind sich einig, dass es nicht genug Neubauten geben wird, um die Wohnungsnot zu beheben. Ausgegangen wird lediglich von 177.000 neuen Wohnungen – über 220.000 Wohnungen weniger als geplant.
"Bauland ist knapp und teuer", erklärt Ziller. Zusätzlich dauert es lange, bis man Baurecht erlangt – und auch bis der Bauprozess selbst abgeschlossen ist.
Grund dafür ist die immer länger werdende Liste von Bauvorschriften. Mittlerweile umfasst sie Tausende Anforderungen, die von notwendigen Parkplätzen bis zur Treppenhöhe jedes noch so kleine Detail genau festlegen. Nicht nur Bauzeit, sondern auch Baukosten erhöhten sich dadurch. Ministerin Geywitz will beim Wohnungsbau mit entschlackten Vorgaben und einem neuen, einfacheren Gebäudetyp E mehr Tempo machen.
Tatsächlich ist eine Neubauwohnung in Deutschland mit durchschnittlichen Herstellungskosten von rund 5000 Euro pro Quadratmeter bisher so teuer wie in kaum einem anderen EU-Land. Das geht aus einer Analyse des globalen Immobiliendienstleisters "Coldwell Banker Richard Ellis" ("CBRE") hervor. Ein zusätzlicher Faktor ist die turbulente wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre, die zu einer Verteuerung fast aller Baumaterialien geführt hat.
Wirksame Lösung bisher nur in der Theorie
De facto scheitert die Bau-Offensive in dieser Hinsicht an Platz, Geld und dem Bauen selbst. Deswegen plädiert Ziller dafür, den Fokus vom reinen Neubau abzuwenden. "Bauen heißt nicht nur Neubau, sondern umfasst verschiedene Strategien." Auch das Umwandeln bestehender Gebäude, etwa leerstehender Büroflächen, müsse in Betracht gezogen werden.
Solange dies nicht geschieht, wird bezahlbarer Wohnraum immer mehr zur Mangelware. Dabei hat die Politik bereits eine fast selbstverständliche Möglichkeit geschaffen, Menschen mit geringem Einkommen bezahlbaren Wohnraum zu sichern: Sozialwohnungen. Ihr Bau und ihre günstige Vermietung werden staatlich gefördert. So soll sich auch in den beliebten Metropolen jeder eine Wohnung leisten können. Theoretisch.
Denn in der Realität gibt es nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft nicht nur zu wenig Sozialwohnungen, sondern künftig sogar immer weniger. Bis 2035 sollen jährlich 40.000 Sozialwohnungen wegfallen. "Im Gegensatz zu Städten wie Wien oder in der Schweiz wurde der soziale oder gemeinnützige Wohnungsbau in Deutschland stark vernachlässigt. Und das über Jahrzehnte", erklärt Ziller die Misere, die den vor allem in Großstädten angespannten Wohnungsmarkt zusätzlich belastet.
Das Einfamilienhaus: Nur ein Traum?
"Auf dem Land ist der Wohnungsmarkt oft deutlich entspannter", sagt Ziller. Dort gebe es genügend Wohnraum und Leerstände. Um den städtischen Wohnungsmarkt zu entlasten, schlägt er vor, dass Menschen, die größtenteils von zu Hause aus arbeiten können, aufs Land ziehen. Davon profitieren könnten Berufstätige, die ihre Arbeit zwangsläufig vor Ort verrichten müssen, wie etwa Pflegekräfte.
Wer jetzt an ein Leben auf dem Land im großen Einfamilienhaus mit Garten denkt, könnte jedoch in seinen Erwartungen getrübt werden. Schließlich sollen möglichst viele Menschen aus den Ballungszentren ins Umland ziehen.
Anstelle von Einfamilienhäusern sind nach Ziller Großsiedlungen zu bevorzugen. "Das Einfamilienhaus schneidet in jeder Hinsicht am schlechtesten ab", sagt er. Flächenverbrauch und Materialaufwand seien hoch, die Energiebilanz vergleichsweise schlecht.
Bedeutet das, wir müssen uns vom Traum des geräumigen Eigenheims verabschieden? Für viele ein Grund zum Ärgernis. Ein Szenario, das gleichbedeutend ist mit dem Verlust von Lebensqualität. Und auch Ziller lehnt ein Verbot entschieden ab.
"Einfamilienhäuser zu verbieten, wäre kontraproduktiv", so der Experte. Er glaubt nicht, dass Verbotspolitik bei diesem Thema "so gut funktioniert wie eine positive, in die Zukunft gerichtete Politik". Was Ziller meint: Wohnen in Großbausiedlungen ist in den Köpfen vieler Menschen negativ behaftet. Die Politik müsse daran arbeiten den Menschen "die positiven Eigenschaften" dieser Art zu Wohnen in das Gedächtnis zu rufen.
"Ich halte diese Großwohnsiedlungen für eine gute Sache. Man darf nicht vergessen, dass sie zwar sehr dicht bebaut sind, aber gleichzeitig immer viele Erholungs- und Grünflächen sowie Infrastruktur beim Bau eingeplant werden."
Wachsende Bevölkerung, wachsender Wohnraumbedarf
Die Probleme auf dem deutschen Wohnungsmarkt werden sich nicht in Luft auflösen. Nicht zuletzt, weil die Bevölkerung in Deutschland wächst. Bis zum Jahr 2045 könnte sie laut einer Prognose des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) um etwa 800.000 Menschen auf rund 85,5 Millionen wachsen, wobei dieser Zuwachs vor allem in den Städten zu spüren sein wird.
Der Bedarf an mehr Wohnraum ist daher unbestritten. Doch Versprechen wie das von Bauministerin Klara Geywitz, guten, bezahlbaren, aber auch klimafreundlichen Wohnraum in einem lebenswerten Umfeld zu schaffen, klingen angesichts der vielen Hürden fast utopisch. Und sind doch sowohl in Zeiten des Klimawandels als auch der sozialen Spaltung – um soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten – unerlässlich.
Zum Gesprächspartner:
- Michael Ziller ist Architekt und Stadtplaner in München. Er gründete 1999 die zillerplus Architekten und Stadtplaner Gmbh. Er beschäftigt sich unter anderem mit städtebaulichen Konzepten, Nutzungsvielfalt und ressourcenschonenden Bauweisen.
Verwendete Quellen:
- cbre.de: Wohnungsbau ist in Deutschland teurer als in vielen anderen europäischen Ländern
- bundessregierung.de: Mehr bezahlbare und klimagerechte Wohnungen schaffen
- iwköln.de: Wie groß ist der Bedarf an neuen Sozialwohnungen?
- bbsr.bund.de: Bevölkerungszahl in Deutschland steigt bis 2045 auf 85,5 Millionen Menschen
- bundesregierung.de: Rede der Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, Klara Geywitz
- iwkoeln.de: IW-Wohnindex: Mietwohnungen werden immer knapper
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