• Klara Geywitz hat ein ehrgeiziges Ziel: Sie muss dafür sorgen, dass pro Jahr 400.000 neue Wohnungen entstehen.
  • Im Exklusiv-Interview mit unserer Redaktion erklärt die Bundesbauministerin, warum sie an dem Ziel festhalten will – und was sich dafür auf deutschen Baustellen ändern muss.
  • Die SPD-Politikerin sagt: "Wir haben den Fortschritt im Baubereich in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt."
Ein Interview

Frau Geywitz, wie werden wir in Zukunft wohnen?

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Klara Geywitz: Wohnen ist etwas sehr Individuelles. Deswegen würde ich nie sagen, man soll so oder so wohnen. Alte, alleinstehende Menschen haben andere Bedürfnisse als junge Familien. Wir müssen aber verstehen: Das Bauen und das Beheizen von Gebäuden produziert unheimlich viel CO2. Wir müssen unsere Häuser in Zukunft anders heizen, und wir müssen mit anderen Materialien bauen, zum Beispiel mit Holz. Kein großes Geheimnis ist sicherlich, dass wir Häuser in Zukunft multifunktional bauen müssen. Es muss einfacher sein, Wohnungen den Bedürfnissen der Bewohner anzupassen – zum Beispiel sie für das Alter oder bei Krankheiten barrierefrei zu gestalten.

Sie haben im vergangenen Jahr gesagt: Nicht jede Generation kann ihre eigenen Einfamilienhäuser bauen. Sehen Sie das immer noch so?

Ja. Wenn die Anzahl der Einfamilienhäuser immer weiter steigt, wird es irgendwann eng. Wir brauchen auch Flächen für Naturschutz, für Ackerbau, für Erneuerbare Energien. Wir können nicht mehr wie in den 60er und 70er Jahren neue Häuser vor allem auf der grünen Wiese bauen. Wir müssen nachverdichten und in den Städten in die Höhe bauen. Nichtsdestotrotz gibt es viele Familien, die gerne in einem Haus wohnen möchten. Das verstehe ich, das ist superpraktisch. Deswegen unterstützen wir sie auch bei ihrem Wunsch. Und mit der Sanierungsförderung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kann Wohnraum saniert werden, damit der auch wieder nachgenutzt werden kann.

Das Mantra der SPD ist aber seit Jahren: Bauen, Bauen, Bauen.

Mein Mantra ist eher: Bauen, Umbauen, Umnutzen.

Warum?

Nach dem Krieg hat jeder Deutsche im Schnitt 25 Quadratmeter Fläche genutzt, inzwischen sind es knapp 50 Quadratmeter. Wir müssen als Gesellschaft wieder einen Kreislauf der Hausnutzung in Gang bringen.

Wie kann der aussehen?

Viele Einfamilienhäuser waren nach ihrem Bau von einer Familie mit drei Kindern gut ausgelastet. Mit fünf Personen auf 150 Quadratmetern. Heute wohnen darin häufig nur noch eine ältere Dame oder zwei ältere Herrschaften. Die ziehen nicht aus, weil barrierefreie Wohnungen fehlen. Wir müssen erreichen, dass ältere Menschen in diesen Fällen eine barrierefreie Wohnung finden – und eine Familie dann vielleicht ihr Haus übernimmt. Als Staat müssen wir ein Angebot machen, das mehr Mobilität auf dem Mietmarkt ermöglicht. Ich glaube aber, dass wir auch eine Debatte darüber brauchen, was unser Wohnverhalten mit dem Klima macht.

Klara Geywitz: "Wir müssen alles Mögliche unternehmen, um die Produktivität zu erhöhen"

Sie sind als Bauministerin für das Ziel der Bundesregierung verantwortlich, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr zu schaffen. Im Jahr 2022 sind wahrscheinlich weniger als 300.000 Wohnungen fertig geworden. Halten Sie trotzdem an dem Ziel fest?

Wir haben durch Putins Krieg gegen die Ukraine besonders schwierigere Rahmenbedingungen mit steigenden Zinsen und Lieferengpässen. Aber auch im Jahr 2021, als das noch nicht der Fall war, sind weniger als 300.000 Wohnungen fertig geworden. Wir haben ein strukturelles Problem, bei dem mehr Milliarden für den Wohnungsbau allein nicht helfen. Die Bauindustrie war in den letzten Jahren stark ausgelastet. Wir brauchen eine stärkere Digitalisierung der Baubranche und mehr industrielle Vorfertigung, wie man sie schon aus dem Autobau kennt. Wir brauchen natürlich auch mehr Fachkräfte.

Das klingt aber nicht so, als ob sich das Ziel von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr so schnell erreichen lässt.

Die Fertigstellungsstatistik für 2022 werden wir erst im Mai bekommen. Ich gehe nicht davon aus, dass die Zahl von 400.000 Wohnungen in den Jahren 2022 und 2023 erreichbar ist. Unser Ziel ist aber, durch Vorfertigung und Digitalisierung 2024 und 2025 an diese Zahl heranzukommen.

Warum verspricht die Politik diese hohen Ziele, wenn sie so schwer zu erreichen sind? Das schafft bei den Menschen eher Enttäuschung und Verdruss.

Jetzt im Januar machen ja viele eine Diät, weil sie sich nicht wohlfühlen. Wenn man sich nicht wohlfühlt, kann man zwei Sachen machen: Man hängt entweder ein Tuch über den Spiegel und ignoriert die Kilos – oder man fängt an zu joggen. Bezogen auf den Wohnungsmarkt heißt das: Wir dürfen die Augen nicht verschließen, sondern müssen losrennen, um die Rahmenbedingungen zu verbessern. Das Ziel von 400.000 Wohnungen hat sich niemand einfach so ausgedacht. Es fußt auf den Analysen von mehreren Instituten. Wir haben im vergangenen Jahr rund eine Million Menschen aus der Ukraine bei uns aufgenommen. Wenn man die Bilder aus dem Krieg dort sieht, kann man nicht davon ausgehen, dass sie schnell in ihre zerstörten Häuser zurückkehren können. Wahrscheinlich liegt der Bedarf deshalb sogar höher als 400.000. Es gibt einen großen Druck. Wir müssen alles Mögliche unternehmen, um die Produktivität zu erhöhen.

Und wie?

Eine Baustelle sah 1993 nicht so viel anders aus als eine Baustelle im Jahr 2023. Ich war überrascht, dass wir unter fünf Prozent unserer Forschungsausgaben des Bundes in die Bauforschung stecken. Wir haben den Fortschritt im Baubereich in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt. Es gibt großes Potenzial bei der Wärmetechnik, bei alternativen Baumaterialien, bei der Vorfertigung, bei Robotertechnik auf Baustellen. Wir müssen aber auch über Arbeitsbedingungen reden. Bei schwerer körperlicher Arbeit kann Digitalisierung Entlastung schaffen – zum Beispiel, indem Roboter Fundamente oder Mauern anfertigen oder indem Drohnen Fassaden streichen. Da gibt es erste Experimente. Wir sind aber noch weit davon entfernt, dass dies der Standard ist.

Das alles löst noch nicht ein weiteres Problem: die gestiegenen Kosten für Baumaterialien.

Materialkosten kann der Staat nicht subventionieren. Wir können Kosten dämpfen, indem wir die Vorfertigung von Gebäudeteilen unterstützen oder indem die Länder ihre Bauvorschriften angleichen. Wir geben 40 Millionen Euro für die Digitalisierung von Bauanträgen aus. Auch das kann kostendämpfend wirken, weil Bauanträge dann schneller bearbeitet werden.

Wie wäre es damit, die Mehrwertsteuer auf Baumaterialien zu senken?

Ich bin skeptisch, dass die Einsparungen dann wirklich an die Hausbauer oder die Mieter weitergegeben werden.

Groß ist besonders der Mangel an Sozialwohnungen. Warum sind in den vergangenen Jahren so wenige davon entstanden?

Es gab in Deutschland einmal drei Millionen Sozialwohnungen. Das System hat bis in die 80er Jahre gut funktioniert: Der Staat gibt dem Bauentwickler Geld – und der garantiert für 20 bis 25 Jahre, dass diese Wohnungen für eine geringe Summe vermietet werden. Leider wurde mit der Auflösung des Bauministeriums in den 90er Jahren die öffentliche Förderung weitgehend eingestellt. Mittlerweile sind so viele Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen, dass es nur noch rund eine Million Sozialwohnungen gibt.

Was unternehmen Sie dagegen?

Der Bund gibt 14,5 Milliarden Euro bis 2026 an die Länder, die selbst auch noch Geld dazugeben. Erstmals seit langer Zeit gibt es auch wieder 500 Millionen Euro Förderung für Wohnheime für Auszubildende und Studierende. Damit wollen wir dieses System wieder anstoßen.

Wird das reichen?

Angesichts von zwei Millionen fehlenden Sozialwohnungen wird es eine kontinuierliche hohe staatliche Förderung brauchen, bis wir die Lücke geschlossen haben. Deswegen führen wir auch die Gemeinnützigkeit im Wohnungsbereich wieder ein. Mit diesem Modell wollen wir beispielsweise große Stiftungen dazu bewegen, Wohnungen zu bauen, die für immer preisgünstig bleiben.

Mietpreisbremse? "Ich warte gespannt auf den Gesetzentwurf"

Bauen allein wird nach Meinung vieler Expertinnen und Experten aber nicht reichen, um die Wohnkosten auf breiter Front zu senken. Seit einigen Jahren gibt es die Mietpreisbremse, die Mieterhöhungen in besonders betroffenen Gebieten bremsen soll. Sie gilt aber als zahnloser Tiger mit begrenztem Effekt.

Man muss in der Tat beides machen. Man muss den Mietmarkt entspannen, indem das Angebot ausgeweitet wird, aber auch beim Mietrecht ansetzen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns darauf verständigt, die Mietpreisbremse zu verlängern und die Kappungsgrenze in besonders angespannten Wohnlagen von 15 auf elf Prozent zu senken. Das heißt, dass die Miete dort höchstens um elf Prozent in drei Jahren erhöht werden darf. Für das Mietrecht ist aber das Bundesjustizministerium zuständig. Ich warte gespannt auf den Gesetzentwurf des Ministerkollegen Marco Buschmann.

Wann sollte der kommen?

Ich bin hoffnungsvoll, dass wir das in diesem Winter noch erleben und nicht der Frühling anbrechen muss, bis es so weit ist.

Ein besonderes Problem sind sogenannte Indexmieten, bei denen die Miete an die Inflation gekoppelt ist. Da die Inflation derzeit so hoch ist, führt das zu besonders stark steigenden Mieten. Werden Sie auch dagegen vorgehen?

Dazu gibt es keine Verabredung im Koalitionsvertrag, weil die Inflationsentwicklung Ende 2021 noch nicht absehbar war. Es ist einerseits denkbar, auch für Indexmieten eine Kappungsgrenze einzuführen. Es wäre auch eine Möglichkeit, die Indexmieten nicht mehr an die Verbraucherpreise, sondern an die allgemeine Mietentwicklung zu koppeln. Dann hätte man keine Verzerrung durch die Inflation. Das ist sicherlich überlegenswert, weil wir alles vermeiden müssen, was die Inflation weiter antreibt.

Sie haben im vergangenen Jahr auch eine Ausweitung des Wohngelds auf den Weg gebracht. Ein Mietzuschuss für Menschen mit geringen Einkommen. Jetzt stellt sich aber heraus: In vielen Verwaltungen gibt es offenbar nicht genügend Mitarbeitende, um alle zusätzlichen Anträge pünktlich zu bearbeiten.

Wir haben das Wohngeld extrem ausgeweitet. Statt 600.000 Haushalte erhalten es jetzt zwei Millionen. Wir geben rund vier Milliarden Euro mehr aus. Dieses zusätzliche Geld muss natürlich von den Behörden verteilt werden. Wichtig ist aber: Jeder, der im Januar einen Antrag stellt und wohngeldberechtigt ist, bekommt das Geld rückwirkend ausgezahlt – auch wenn der Bescheid erst im Februar oder März im Briefkasten ist.

Zur Person: Klara Geywitz wurde 1976 in Potsdam geboren, wo sie auch Abitur machte und Politikwissenschaft studierte. Sie war Kommunal- und Landespolitikerin in Brandenburg, bevor sie 2019 zusammen mit Olaf Scholz für den SPD-Bundesvorsitz kandidierte – die beiden belegten den zweiten Platz. Ebenfalls 2019 wurde sie stellvertretende SPD-Vorsitzende. 2021 übernahm sie in der Ampel-Koalition das neu geschaffene Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen.
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