Im politischen Berlin überschlagen sich gerade die Ereignisse. Bundeskanzler Olaf Scholz hat am Mittwochabend nicht nur seinen Finanzminister Christian Lindner entlassen, sondern auch angekündigt, die Vertrauensfrage zu stellen. Doch was bedeutet das ganz konkret für die Regierung – und für uns als Wählerinnen und Wähler?

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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat angekündigt, am 15. Januar die Vertrauensfrage stellen zu wollen. Wie das abläuft, regelt Artikel 68 des Grundgesetzes:

(1) Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen. Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt.
(2) Zwischen dem Antrage und der Abstimmung müssen achtundvierzig Stunden liegen.

Der Bundeskanzler beantragt also im Bundestag, dass die Abgeordneten ihm das Vertrauen aussprechen. Sie stimmen in diesem Fall konkret darüber ab, ob Olaf Scholz als Bundeskanzler weiterhin die Mehrheit des Parlaments hinter sich hat – oder nicht.

Wichtig dabei: Es geht um die Mehrheit der Abgeordneten insgesamt, nicht um die Mehrheit der abgegebenen Stimmen.

Unterschied zwischen Vertrauensfrage und Misstrauensvotum

  • Übrigens: Von der Vertrauensfrage spricht man, wenn der Kanzler selbst zur Abstimmung aufruft. Geht ein sogenannter Misstrauensantrag hingegen vom Parlament aus und richtet sich gegen den Regierungschef, ein Regierungsmitglied oder die gesamte Regierung, spricht man von einem Misstrauensvotum. Dieses kann im Falle eines negativen Ausgangs dazu führen, dass der Regierungschef bzw. ein Regierungsmitglied oder die gesamte Regierung zurücktreten muss.

Vertrauensfrage: Wie geht es danach weiter?

Je nach Ergebnis der Abstimmung gibt es mehrere mögliche Szenarien.

  • Szenario 1: Olaf Scholz hat die Mehrheit des Parlaments hinter sich.

Der Bundeskanzler hätte sich damit das Vertrauen des Parlaments gesichert. Auf dieser Grundlage ist es wahrscheinlich, dass er bis zur regulären Bundestagswahl am 28. September 2025 im Amt bleibt.

  • Szenario 2: Olaf Scholz erhält keine Mehrheit im Bundestag.

Dann würde der Kanzler im nächsten Schritt den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier bitten, den Bundestag aufzulösen. Der Bundespräsident ist nach dem Grundgesetz allerdings nicht dazu verpflichtet, sondern hat nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts "im Rahmen seines Ermessens die Lage selbständig und insoweit ohne Bindung an die Einschätzungen und Beurteilungen des Bundeskanzlers [...] zu beurteilen".

Kommt er auch zu dem Schluss, dass der Bundestag aufgelöst werden muss, hat er maximal 21 Tage Zeit, dies zu tun. Gemäß Artikel 39 muss dann innerhalb von 60 Tagen ein neuer Bundestag gewählt werden. Deutschland würde dann voraussichtlich im März 2025 neu wählen, also knapp ein halbes Jahr vor dem eigentlichen Termin im Herbst.

Nach Auflösung des Bundestags: Was geschieht in der Übergangsphase?

Sollte es zu Neuwahlen kommen, ist Deutschland direkt nach Auflösung des Bundestags aber nicht ohne politische Führung. Der Kanzler und sein Kabinett – mit Ausnahme der FDP-Vertreter – bleiben im Amt. Das gilt auch für den Fall, dass nach der vorgezogenen Neuwahl die Koalitionsbildung schwierig wird.

Das regelt Artikel 69 im Grundgesetz: Der Kanzler bleibt auf Ersuchen des Bundespräsidenten so lange im Amt, bis sein Nachfolger ernannt ist. Gleiches gilt für Bundesministerinnen oder -minister, wenn sie der Bundespräsident oder der Bundeskanzler darum ersuchen.

An den Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Civey kann jeder teilnehmen. In das Ergebnis fließen jedoch nur die Antworten registrierter und verifizierter Nutzer ein. Diese müssen persönliche Daten wie Alter, Wohnort und Geschlecht angeben. Civey nutzt diese Angaben, um eine Stimme gemäß dem Vorkommen der sozioökonomischen Faktoren in der Gesamtbevölkerung zu gewichten. Umfragen des Unternehmens sind deshalb repräsentativ. Mehr Informationen zur Methode finden Sie hier, mehr zum Datenschutz hier.

Was passiert mit den Aufgaben der FDP-Kabinettsmitglieder?

Die Aufgaben der vier ausgeschiedenen FDP-Kabinettsmitglieder (Finanzen, Justiz, Verkehr, Bildung) können von anderen Ressortchefs mit übernommen werden. Der Kanzler kann aber auch Nachfolger vorschlagen (wie im Falle von Finanzen mit Jörg Kukies geschehen) und vom Bundespräsidenten ernennen lassen.

Der Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat angekündigt, die FDP zu verlassen. Er übernimmt in der Minderheitsregierung von Kanzler Olaf Scholz künftig zusätzlich das Justizressort.

Wie geht es bis zur Vertrauensfrage weiter?

Im Falle einer Auflösung des Bundestages kommt das politische Handeln zum Erliegen. Davor aber will Kanzler Scholz nach eigenen Angaben noch wichtige Projekte wie die Stabilisierung der Rente oder die Umsetzung der Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) durch Bundestag und Bundesrat bringen.

Sein Problem dabei: Er ist nun der Chef einer Minderheitsregierung und muss auf Unterstützung aus den Reihen der Opposition hoffen. Die hofft er bei der Union zu bekommen. CDU/CSU hingegen haben bereits gefordert, die Vertrauensfrage so schnell wie möglich zu stellen.

Wie oft wurde die Vertrauensfrage bereits in Deutschland gestellt?

Vor der Ankündigung von Olaf Scholz kam es bisher fünfmal vor, dass ein deutscher Bundeskanzler die Vertrauensfrage gestellt hat:

  • 1972 fand Willy Brandts (SPD) Antrag nicht die nötige Mehrheit.
  • 1982 wurde die Vertrauensfrage gleich zweimal gestellt: Zuerst versicherte sich Helmut Schmidt (SPD) der Zustimmung des Parlaments. Er erhielt am 5. Februar 1982 die Bestätigung für seine Regierung.
  • Später im gleichen Jahr stellte Helmut Kohl (CDU) den Antrag auf Abstimmung. Es ging dabei darum, Neuwahlen vor dem regulären Termin zu erwirken. Das Vorhaben ging auf, die Bundestagswahl im März 1983 konnte die Union klar für sich entscheiden.
  • Gerhard Schröder (SPD) stellte die Vertrauensfrage zweimal: 2001 sprach ihm der Bundestag sein Vertrauen aus.
  • Schröders Antrag vier Jahre später hatte ebenfalls das Ziel, Neuwahlen zu erwirken. Diese fanden im September 2005 statt - und brachten Angela Merkel (CDU) ins Amt.

(dpa/bearbeitet von tar und the)

Verwendete Quellen

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