Der Strom deutscher Gotteskrieger nach Syrien und dem Irak reißt nicht ab. Bereits Hunderte Radikale haben sich dem Islamischen Staat angeschlossen, um im Namen Allahs zu töten. Einige von ihnen kommen radikalisiert zurück. Verfassungsschutz und Generalbundesanwalt Harald Runge haben deswegen Alarm geschlagen. Doch Rückkehrer sind nicht das einzige Problem für Deutschland. Experten sehen auch eine Gefahr für die Gesellschaft.
Am 9. Juni 2014 überrannten Kämpfer des Islamischen Staates (IS) große Teile des Iraks und Syrien. Am 29. Juni 2014 rief ihr Anführer Abu Bakr al-Baghdadi das Kalifat aus. Für den Westen kam der schnelle Erfolg des IS überraschend.
Die exzessiv-systematische Gewaltanwendung, mit der die Terror-Miliz sich große Gebiete zu eigen machte, verstört zutiefst. IS-Milizen foltern, köpfen, kreuzigen Schiiten, Jesiden und westliche Geiseln zu Hunderten. Dennoch genießt der Islamische Staat großen Rückhalt in der Bevölkerung der besetzten Gebiete. Viele Menschen sind in Ehrfurcht erstarrt, andere sehen im IS die Erneuerer des Glaubens. Zulauf bekommt der Islamische Staat auch aus dem Ausland.
Terror-Express nach Syrien und dem Irak
Vor allem vor radikalisierten Migranten und Konvertiten, die für den Islamischen Staat kämpfen wollen, wird gewarnt. Bislang haben deutsche Sicherheitsbehörden mindestens 550 Ausreisen nach Syrien und in den Irak gezählt. Für Deutschland könne das zu einem innenpolitischen Problem werden, sagte Florian Hahn, Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, auf einer Podiumsdiskussion in München. Er befürchtet, dass radikalisierte Rückkehrer in Deutschland Terroranschläge begehen könnten. Auch Syrienexperte Thomas Gebhard von der Hanns-Seidel-Stiftung in München warnt: "Wir müssen mit Anschlägen rechnen".
Generalbundesanwalt Harald Runge sieht Deutschland "im Fadenkreuz des dschihadistischen Terrors". Der Konflikt in Syrien habe "enorme" Auswirkungen auf Deutschland. Zurzeit liefen 46 Verfahren mit 83 Beschuldigten, damit habe sich die Zahl im Vergleich zum Ende 2013 verzehnfacht. "Und aller Voraussicht nach ist der Scheitelpunkt noch nicht erreicht."
Dennoch warnen Experten davor, jeden Rückkehrer sofort als Bombenleger zu stigmatisieren. Manche Rückkehrer sind tatsächlich radikalisiert, andere jedoch von dem Erlebten traumatisiert. Das Gewaltpotenzial der europäischen IS-Rückkehrer liegt Studien zufolge bei etwa zehn Prozent. Das heißt, von etwa 300 Rückkehrern geht für ganz Europa eine Gefahr aus. Deutschen Sicherheitsbehörden stehen Gebhard zufolge vor einer enormen Herausforderung. "Wir werden jeden Fall einzeln betrachten müssen", so der Experte.
"Radikalisierung ist ein Jugendproblem"
Das Abdriften in die Radikalität, die Radikalisierung "ist grundlegend ein Jugendproblem. IS-Sympathisanten aus Deutschland sind vor allem junge Türken", sagte Florence Gaub vom European Institute für Security Studies in Paris. Vorwiegend handele es sich um junge Männer, die sich radikalisierten. "Der Durchschnitts-IS-Kämpfer ist 19 Jahre alt. Das Ganze ist ein Generationsproblem", erklärte die Expertin für den Mittleren Osten.
Man müsse künftig verstärkt auf den sozialen Kontext und auf die Gesellschaft schauen. "Es sind vorwiegend Jugendliche, die sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen und sonst keine Möglichkeit sehen, etwas zu leisten", konstatierte Gaub. Viele der IS-Deutschen sind meist arbeitslos, sehr jung, mit familiären Problemen behaftet.
Die Gründe, weshalb der IS junge Muslime und Konvertiten in seinen Bann zieht, sind unterschiedlich. Für die einen ist es eine Art Lebensgefühl, ein alternatives Lebensmodell. Für andere ist es die Ideologie, die dahinter steckt. Sich dem IS anzuschließen, als Märtyrer und Held im Namen Allahs zu sterben, würde Jung-Dschihadisten auf einmal das Gefühl geben, einen Beitrag leisten zu können.
Syrien-Experte Gebhard sieht das ähnlich. Der IS selbst sei zwar in Europa und auch in Deutschland nicht präsent, dafür aber die Salafisten. "Der Salafismus hat hier einen großen Einfluss vor allem unter Jugendlichen." Der Verfassungsschutz warnt vor einem rasanten Anwachsen der Salafisten-Szene in Deutschland. Sie umfasse bereits mehr als 6.300 Menschen, zum Jahresende könnten es bereits 7.000 sein. Vor wenigen Jahren habe man erst 2.800 Anhänger gezählt.
Gefahr für die deutsche Gesellschaft
In dieser Entwicklung sieht CSU-Politiker Hahn eine große Gefahr für die Stabilität der deutschen Gesellschaft. Anti-islamische Demonstrationen wie "Pegida" (Patriotischen Europäer Gegen die Islamisierung des Abendlandes) und "HoGeSa" (Hooligans gegen Salafisten) machen derzeit mobil. Sie bringen Tausende Bürger auf die Straße, um gegen die "Islamisierung des Abendlandes" zu demonstrieren. "Das ist das Ergebnis, das die Irren hierzulande anrichten", sagte Hahn.
"Die große Gefahr ist die Gegenreaktion, eine Polarisierung unserer Gesellschaft", warnt der Abgeordnete. Auch Nahost-Experte Michael Lüders warnt vor einer zunehmenden Islamphobie in Deutschland. "Das verunsichert die bürgerliche Mitte der Muslime". Der Mainstream unterscheide nur zwischen Moslem und Deutschen. "Das ist falsch. Da brauchen wir einen anderen Zugang, sonst treiben wir auch Gemäßigte in die Hände der Radikalen", sagte Lüders.
Innenminister beraten über Prävention
Wie man dem begegnen kann, darüber wollen nun die Innenminister der Länder in Köln auf der Herbstkonferenz beraten. Auf der zweitägigen Tagung will Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) als Vorsitzender der Konferenz besonders die Prävention ins Blickfeld rücken. Die Minister beraten, wie junge Leute vor einer Radikalisierung und einem Abgleiten in die gewaltbereite Salafisten-Szene geschützt werden können. Es geht auch darum, wie die Länder hier enger zusammenarbeiten können.
Die Konferenz befasst sich zudem mit HoGeSa. Bei einem Aufmarsch der Gruppierung mit Rechtsextremisten, Hooligans und Schlägern war es im Oktober in Köln zu Ausschreitungen mit fast 50 verletzen Polizisten gekommen. Auf der Agenda steht auch die Anti-Islam-Bewegung "Pegida".
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