Erstmals packt ein deutsches Mitglied des Geheimdienstes der Terrormiliz Islamischer Staat über Folter und Hinrichtungen aus. Rückkehrer Nils D. schildert erschreckend detailliert das Innenleben des IS-Horrors. Dennoch zieht es weiter Jugendliche und junge Erwachsene aus Deutschland nach Syrien und in den Irak. Aber warum? Spurensuche nach einer beängstigenden Faszination am Horror.

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Gefangene werden so lange gequält, bis sie gestehen. Auch gebe es einen regelrechten "Hinrichtungsmarktplatz". IS-Rückkehrer Nils D. berichtete ausführlich und detailliert.

Vom Terror des Islamischen Staates. Von Angst und Schrecken, die der IS in Syrien und dem Irak verbreitet. Davon, dass Deutsche für den IS-Geheimdienst "arbeiten" und foltern. So, wie es mutmaßlich auch Nils D. selbst tat.



Der 25 Jahre alte Islamist aus Dinslaken hat nach Informationen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung der Bundesanwaltschaft in unzähligen Vernehmungen von seiner Zeit in Syrien berichtet. Erstmals gesteht damit ein Rückkehrer seine Beteiligung an einer Spezialeinheit des IS. Acht seiner 13 Monate in Syrien war D. nach Angaben der Bundesanwaltschaft bei der "Abteilung Innere Sicherheit". Diese verfolgt und tötet angeblich Dissidenten und Deserteuren.

Die "Gestapo des IS"

Dem Vernehmen nach wird die Gruppe von den Bundesbehörden inoffiziell die "Gestapo des IS" genannt. Selbst hingerichtet habe er nie, meinte D. demnach. Was er erzählt, schockiert dennoch. So habe er einen zu Tode gefolterten Häftling aus einem Krankenhaus holen und verscharren müssen, wird er zitiert. Erschießungen und Enthauptungen habe es fast täglich gegeben.

"Die foltern so lange, bis derjenige gesteht, was die hören wollen. Dann wird er hingerichtet." Menschenverachtender Terror, Angst, Mord - doch gleichzeitig schließen sich weitere, meist junge Deutsche dem IS an. Trotz dieser abstoßenden Schreckensnachrichten.



"Der Zustrom nach Syrien und in den Irak von Dschihadisten aus der ganzen Welt ist ungebrochen", schildert Prof. Dr. Günter Meyer, Experte der Johannes Gutenberg Universität Mainz für den Vorderen Orient, im Interview mit der Münchner "tz". "Die Schätzungen gehen weit auseinander. Ende letzten Jahres gab die CIA eine Zahl von 20.000 bis 31.500 an. Die irakische Regierung geht von mehr als 100.000 Kämpfern aus, und der kurdische Stabschef spricht sogar von 200.000 Dschihadisten."

Für Nichtmuslime, selbst für die schiitische Bevölkerung und alle Sunniten, die mit dem irakischen Regime zusammengearbeitet haben, sei das Schlimmste zu befürchten, erzählt der Wissenschaftler. "Flucht ist die einzige Chance. Wer sich nicht strikt an die Ideologe und die religiösen Vorschriften des IS hält, muss damit rechnen, dass er massakriert wird."



"Al Kaida ist out"

Dennoch hat der IS eine offensichtliche Anziehungskraft. Ein Grund laut Meyer: "Al Kaida ist out. Was hat Al Kaida nach dem 11. September noch vorzuweisen? Nichts. Der IS hat geschafft, einen Staat aufzubauen, ein Territorium zu beherrschen - und dadurch weltweit Sympathisanten zu gewinnen, die an der Errichtung eines wahren islamischen Staates mitwirken wollen", erklärte der Experte in der "tz". "Das begeistert muslimische Jugendliche, insbesondere, wenn sie sich in ihren Herkunftsländern als benachteiligt und diskriminiert empfinden."

Auch Terrorismusexperte Dr. Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin befasste sich ausführlich mit den Motiven. Drei Jahre lang war er Referent im Bundeskanzleramt für internationalen Terrorismus.

Zwischen Geborgenheit und Gewaltfantasien

"Die wichtigsten Motive sind der Wunsch, bedrängten Muslimen beizustehen und in einem islamischen Staat zu leben", erklärte er im Gespräch mit der "Frankfurter Rundschau". "Dazu kommt der Wunsch, zu kämpfen, Abenteuer zu erleben, Geborgenheit in einer verschworenen Gemeinschaft zu erfahren und oft auch Gewaltfantasien auszuleben."

Der IS biete meist ausgegrenzten Jugendlichen eine "coole Protestideologie. Die New York Times hat getitelt: 'Religion und Rebellion'. Das trifft es ganz gut", meinte Steinberg. "Es gibt derzeit für viele Jugendliche in der westlichen Welt nichts Cooleres, als Dschihadi zu werden." Diese Erfahrung musste auch Lamya Kaddor machen. Die islamische Religionspädagogin, Islamwissenschaftlerin und Autorin verlor fünf ehemalige Schüler an die Terrormiliz. Im Interview mit "tagesschau.de" nannte die Tochter syrischer Einwanderer Gemeinsamkeiten jugendlicher IS-Anhänger: "Orientierungslosigkeit. Diese ist häufig geprägt von Frustrationserfahrungen - zum Beispiel durch Ausgrenzung und das Gefühl, hier nicht hinzugehören, nichts wert zu sein", schilderte sie.

Religion als Mittel zum Frustabbau

"Und dann entstehen Allmachtsfantasien, diesen Frust auch irgendwo abzulassen." Die Religion sei nur das Mittel zum Zweck. Man müsse ja irgendwie für sich legitimieren können, dass man diese Aggression, diese Gewalt, diese Ausweglosigkeit loswerden will, meinte sie im Interview mit "tagesschau.de". "Das versucht man dann mit dem Islam hinzukriegen. Damit hat man das Ventil, um der Aggression Platz zu verschaffen."


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