Dürre, Überschwemmungen, Starkregen: Die Klimakrise setzt den Menschen in Deutschland und andernorts zu. Und das schon heute. Gerade junge Menschen fragen sich, wie ihr Leben eines Tages aussehen wird. Beim Thema Generationengerechtigkeit muss die Klimakrise mitgedacht werden, findet Baro Gabbert.

Ein Interview

Beim Wort Generationengerechtigkeit denken die meisten Menschen an das Rentensystem oder die Schuldenbremse. Aus Sicht von Baro Gabbert reicht das aber nicht. Vielmehr müssten auch die Klimakrise – und Schutzmaßnahmen – mitgedacht werden. Gabbert sitzt im Bundesjugendkuratorium, ein Gremium, das die Bundesregierung berät, wenn es um die Belange junger Menschen geht.

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Im Interview spricht Gabbert über eine Verfassungsbeschwerde, die sie gemeinsam mit Umweltaktivisten gegen die Bundesregierung einreicht, über die Frage, ob es einen Minderheitenschutz für junge Menschen braucht und wie Generationengerechtigkeit in der Klimakrise aussehen kann.

Warum verklagen Sie aktuell mit weiteren Aktivisten die Bundesregierung, Frau Gabbert?

Baro Gabbert: Bereits 2021 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass es ein Grundrecht auf ausreichenden und generationengerechten Klimaschutz gibt. Seither ist zu wenig passiert: Wir sind nicht auf Kurs bei den Klimazielen. Die Bundesregierung hat das Klimaschutzgesetz sogar noch einmal abgeschwächt.

Wie ist der Stand der Klage?

Schon über 35.000 Bürger:innen haben sich der Zukunftsklage angeschlossen. Mitte September reichen wir die Klage in Karlsruhe ein. Wir fordern einen sozialen und gerechten Klimaschutz und Maßnahmen, die die soziale Schieflage nicht weiter verschärfen. Vor allem müssen diese den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens entsprechen.

Was meinen Sie mit sozialer Schieflage?

Wir haben ein bestimmtes CO₂-Budget zur Verfügung, also eine bestimmte Menge an Treibhausgasen, die wir noch emittieren können. Irgendwann wird dieses Budget aufgebraucht sein, dann müssen wir klimaneutral wirtschaften und leben. Das bedeutet, wir haben dann in absolut keinem Bereich mehr die Möglichkeit, CO₂ auszustoßen. Nun gibt es aber aktuell Bereiche, die extrem schlecht mit diesem Budget haushalten, etwa den Verkehrssektor. Wenn wir das Restbudget zu schnell aufbrauchen, haben wir bald die Situation, dass wir in diesem Bereich zu plötzlich massiv und radikal umsteuern müssen. Und das trifft gerade die Menschen besonders hart, die schon heute oft vergessen werden.

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Wer wäre das?

Menschen mit geringem Einkommen, die sich kein E-Auto leisten können. Menschen auf dem Land, die keine Chance haben, den ÖPNV zu nutzen, da dieser nicht ausreichend ausgebaut ist. Aber auch Menschen, die aufgrund von Behinderung oder Krankheiten auf individuellen Verkehr angewiesen sind. Sie alle werden von dieser schlechten Klimapolitik hart getroffen werden – und das nicht erst in ferner Zukunft. Jetzt müssen die Weichen gestellt werden für einen gerechten Klimaschutz, der alle mitdenkt und einschließt. Es geht darum, ein freies und gleichberechtigtes Leben miteinander führen zu können. Und um soziale Teilhabe.

Sie sind Teil des Bundesjugendkuratoriums und dadurch ein Sprachrohr für junge Menschen bei der Bundesregierung. Tut die Ampel genug, um für Junge ein gerechtes und gleichwertiges Leben zu schaffen?

Aus meiner Sicht tut die Bundesregierung nicht genug. In vielen zukunftsrelevanten Bereichen, die fürs Aufwachsen und die Lebensgestaltung wesentlich sind, sehen wir, dass junge Menschen hinten runterfallen und weder genug eingebunden noch ausreichend mitgedacht werden.

Haben Sie Beispiele?

Die Infrastruktur der Bildung wird kaputtgespart – das ist die Zukunft junger Menschen. Auch Klimaschutz ist ein Beispiel. Immer wieder wurde nach der Corona-Pandemie von der Politik erklärt, junge Menschen seien übermäßig belastet worden. Trotzdem bessert sich nichts.

Wenn wir über Generationengerechtigkeit sprechen, ist es mit der Debatte um Schuldenbremse und Rente also nicht getan.

Bei Weitem nicht. Junge Menschen brauchen nicht nur eines Tages eine Rente, sondern schon jetzt eine gute Gesundheitsversorgung, gut ausgestattete Schulen – insgesamt eine Infrastruktur des Aufwachsens. Und wenn wir über Generationengerechtigkeit sprechen, müssen wir auch darüber sprechen, dass junge Menschen von heute auch in 20, 30, 40 Jahren darauf angewiesen sind, auf einem intakten Planeten zu leben. Wir müssen uns bei einem begrenzten finanziellen Budget also fragen: Wo wird investiert? Und da kommt die demografische Verteilung in Deutschland ins Spiel, die zu Ungerechtigkeiten bei diesen Verteilungsfragen führen kann.

Inwiefern?

Das durchschnittliche Alter der Wahlberechtigten liegt schon jetzt bei über 50 Jahren, die Tendenz steigt. Rentner werden in Zukunft also maßgeblich die Wahlen entscheiden. Das heißt: Es besteht das Potenzial, dass die Perspektiven derer, die den Laden dann am Laufen halten, weniger vorkommen.

Gemeinsam mit dem Soziologen Aladin El-Mafaalani haben Sie einen Minderheitenschutz für junge Menschen gefordert. Ist das nicht übertrieben?

Wir haben das als Debattenimpuls in den Raum gestellt, damit wir endlich über die eben beschriebene Schieflage sprechen. Wir kennen in einer Demokratie das Konzept des Minderheitenschutzes. Dabei geht es im Kern darum, die Rechte von Gruppen abzusichern, die in der Minderheit sind und politisch nicht ausreichend berücksichtigt werden. Und wir sind an einem Punkt, an dem wir darüber sprechen müssen, wie die Interessen von Menschen, die heute jung sind, ordentlich abgesichert werden können – und wie ein solcher Schutz ausgestaltet werden könnte. Auch für zukünftige Generationen.

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Welche Ideen haben Sie dafür?

Wir können Mindestrechte absichern, das gibt es schon heute etwa beim Recht auf Bildung. Wir könnten auch Kinderrechte ins Grundgesetz aufnehmen – so könnten die Belange junger Menschen potenziell ein höheres Gewicht bekommen. Andere Möglichkeiten wären, darüber zu sprechen, das Wahlalter anzupassen oder ob wir Quoten für junge Menschen bei zukunftsrelevanten Entscheidungen einbringen wollen.

Die wenigsten Eltern und Großeltern wollen ihren Kindern wohl etwas Schlechtes und andersherum. Von einem Generationenkampf lässt sich kaum sprechen.

Es stimmt: Das Verhältnis zwischen den Generationen ist sehr gut. Viele junge Menschen stimmen zu, dass sie ihre Kinder genauso erziehen würden, wie ihre Eltern es getan haben. Möglicherweise überdeckt genau diese gute persönliche Beziehung die politische generationale Schieflage. Es kracht eben nicht am Küchentisch, sondern in Verhandlungsrunden und Strukturen.

Wie lässt sich das aufbrechen?

Wir brauchen kluge, zukunftsweisende Maßnahmen und eine Kommunikation, die dieses Gemeinsamkeitsgefühl aufgreift. Ich würde mir mehr Geschlossenheit unter den Parteien wünschen, für Grabenkämpfe haben wir keine Zeit. Das ist fahrlässig gegenüber der jungen Generation.

Können Sie das erklären?

Ich meine zum Beispiel die Angewohnheit, zu Lasten junger Menschen nicht für einen Antrag zu stimmen, wenn er nicht aus den eigenen Reihen stammt – selbst wenn der Antrag gut ist. Unsere Entscheidungsträger sind in der Verantwortung, Einigkeit, die es gibt, zu nutzen und sie auch zu kommunizieren. Ich glaube, die meisten Menschen möchten, dass es auch jungen Leuten gut geht, aber wollen auch mitgenommen werden.

Zur Person

  • Baro Gabbert ist Greenpeace-Deutschland-Vorstandssprecherin mit dem Schwerpunkt sozial-ökologische Gerechtigkeit. Sie hat 2020 die "Climate Clinic", eine Rechtsberatung für Klima und Recht in Deutschland, gegründet und aufgebaut. Gabbert sitzt außerdem im Bundesjugendkuratorium und berät in dieser Funktion die Bundesregierung.
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