- Keine Steuererhöhungen, keine Reform der Schuldenbremse - aber viel mehr Geld für Klimaschutz und Digitalisierung.
- Wie soll das gehen?
- Was SPD, Grünen und FDP machen könnten.
Das Ziel ist klar - der Weg nicht. SPD, Grüne und FDP wollen die 20er Jahre zu einem "Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen" machen und mehr Geld in Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung stecken. Im Gespräch ist eine Summe von 50 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr. Auf Verlangen der FDP aber sollen Steuern nicht erhöht werden. Die Schuldenbremse soll ab 2023 wieder greifen. Wenn die Einnahmen nicht steigen und man kaum Geld leihen darf - woher sollen die Mittel dann kommen?
Koalitionsverhandlungen beginnen am Donnerstag
Die "Ampel"-Unterhändler stehen bei ihren Koalitionsverhandlungen, die am Donnerstag beginnen, vor schwierigen Gesprächen - zumal zugleich noch Sozialversicherungsbeiträge zu steigen drohen und angesichts hoher Energiekosten Rufe nach Entlastungen immer lauter werden.
Im Sondierungspapier von SPD, Grüne und FDP heißt es: "Wir werden keine neuen Substanzsteuern einführen und Steuern wie zum Beispiel die Einkommen-, Unternehmens- oder Mehrwertsteuer nicht erhöhen." Investiert werden solle "im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse". Diese Rechnung, das monierten viele gleich, gehe doch nicht auf. Doch zwischen den Zeilen ergeben sich durchaus Möglichkeiten.
Denn die Schuldenbremse in Artikel 115 des Grundgesetzes schreibt zwar ausgeglichene Haushalte vor. Sie ist aber nicht so absolut wie vielfach beschrieben. In wirtschaftlich stabilen Zeiten sind für den Bund Kredite über 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung - dies meint das Bruttoinlandsprodukt - erlaubt. Im Vor-Corona-Jahr 2019 wären das rund 12 Milliarden Euro gewesen. Diese Summe reißt es zwar nicht raus für die neue Regierung - ist aber auch nicht zu verachten.
"Man muss komplizierte Wege gehen"
"Eine große Investitionsoffensive ist absolut notwendig und richtig, für Klimaschutz, den Ausbau der digitalen Infrastruktur und die Digitalisierung der Verwaltung", sagt Jens Südekum, Professor am Institut für Wettbewerbsökonomie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Der einfachste und sinnvollste Weg wäre aus seiner Sicht eine Reform der Schuldenbremse - doch die dafür notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit sei wegen der Blockade von Union und FDP nicht erreichbar. "Deswegen muss man nun komplizierte Wege gehen."
Was bleibt also? Ein Weg seien Steuermehreinnahmen durch einen härteren Kampf gegen Steuerbetrug, die globale Mindeststeuer oder die Legalisierung von Cannabis, sagte Südekum. "Aber das wird nicht reichen."
Ins Zentrum der Debatte sind öffentliche Investitionsgesellschaften oder Unternehmen des Bundes gerückt. Davon spricht auch Südekum. Diese Gesellschaften und Unternehmen zählen nicht zum Kernhaushalt des Bundes, dürfen also durchaus Kredite aufnehmen. So könnte sich eine Wohnungsbaugesellschaft verschulden und für mehr bezahlbare Wohnungen sorgen, eine Fernstraßengesellschaft könnte mit Krediten das Straßennetz sanieren - ohne dass das bei der Schuldenbremse angerechnet würde.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter brachte eine solche Finanzierung in Interviews bereits ins Spiel und nannte als Beispiele die Staatsbank KfW, die Deutsche Bahn und die Autobahn GmbH des Bundes. Auch SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz betonte, es gebe ja längst öffentliche Einrichtungen wie die Bahn und die KfW, die investierten. FDP-Vize Wolfgang Kubicki dagegen bremst: "Es wird keine Umgehung der Schuldenbremse geben, in welcher Form auch immer", sagte er der "Rheinischen Post".
Schuldenbremse ausgesetzt: Ausnahmeregelung auch für das kommende Jahr?
Was er nicht sagt: Für das kommende Jahr könnte noch eine Ausnahmeregelung gelten. Wegen der Corona-Krise hat der Bundestag in den vergangenen zwei Jahren die Schuldenbremse ausgesetzt. Auch für 2022 soll das nach Scholz' Vorschlag noch einmal so sein. Kredite von 99,7 Milliarden Euro stehen im Entwurf des Finanzministers, den das Kabinett gebilligt hat.
Diese Gelegenheit könnten die Koalitionäre nutzen, um unter dem Deckmantel der Krise noch einmal kräftig zuzulangen, mehrere Hundert Milliarden zusätzlich aufzunehmen und das Geld etwa im Klima- und Energiefonds oder einem anderen Haushaltssparschwein zwischenzuparken. Daraus könnte in den Folgejahren geschöpft und kräftig investiert werden.
Ökonomen aber warnen vor einem solchen Weg: Dies sei nicht mit der Schuldenbremse kompatibel, sagte Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. "Das Aussetzen der Schuldenbremse beruht auf einem Notfallbefund, dem der Pandemie. Wenn es aber um Dekarbonisierung, Digitalisierung, Verkehrsinfrastruktur, Energiewende geht, hat das mit der Pandemie nichts zu tun, weshalb sie nicht auf Vorrat Kredite beiseitelegen können." Deutschland habe einen großen Investitionsbedarf, sagte Hüther. "Der Ausweg, den die Koalition finden kann, liegt in Investitionsgesellschaften."
SPD: Steuererhöhungen nicht ausgeschlossen
Bei der SPD sieht man auch Steuererhöhungen mit der Formulierung der Sondierer noch nicht ganz ausgeschlossen. Parteichef Norbert Walter-Borjans brachte Veränderungen bei der Erbschaftsteuer ins Spiel. "Da ist es wirklich auch ein Gerechtigkeitsproblem. Zusammen mit der Finanzierungsfrage dessen, was wir vor der Brust haben in den nächsten Jahren", sagte er in einem Interview. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner widersprach allerdings sogleich: Das sei nicht, worauf man sich verständigt habe.
Verständigt hat man sich dagegen noch auf eine andere Einnahmequelle: "Überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen" sollen auf den Prüfstand und wo möglich gestrichen werden, so steht es im Sondierungspapier.
In "Ampel"-Parteikreisen wird auf eine Liste des Umweltbundesamts verwiesen, nach der jährlich mehr als 50 Milliarden Euro als umweltschädliche Subventionen fließen. Ins Visier geraten könnten etwa das Dieselprivileg, also die geringere Besteuerung von Diesel-Kraftstoff, die Steuerbefreiung auf Kerosin oder Steuervorteile bei Dienstwagen. Die Kaufprämie für Elektroautos könnte auf rein batteriebetriebene Fahrzeuge konzentriert werden und nicht mehr auch auf Plug-In Hybridfahrzeuge. Dies alles würden viele Bürger - einer Steuererhöhung nicht unähnlich - dann bald auch im Geldbeutel spüren. (Theresa Münch/Andreas Hoenig/dpa/ash)
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