Er will zum Zünglein an der Waage werden. In welche Richtung diese ausschlagen soll, lässt er aber offen – noch. Doch wenn am kommenden Sonntag um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen zur Landtagswahl in Bayern über den Ticker laufen, dann wird Hubert Aiwanger, Spitzenkandidat und Fraktionschef der Freien Wähler in Bayern, wohl Farbe bekennen müssen. Etwas, wovor er sich bisher gedrückt hat - und was am Ende doch lieber die Parteibasis entscheiden soll.

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Wiesen und Felder soweit das Auge reicht, dazwischen einzelne Bauernhöfe, mehr Tiere als Einwohner - die Idylle im bayerischen Rahstorf im Landkreis Landshut lädt zum Verweilen ein. Dass hier schon Politik gemacht wurde, die bayernweit für Aufsehen sorgte, vermutete man eigentlich nicht.

Doch im Oktober 2011 war es soweit. Der Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger empfing den möglichen Koalitionär Christian Ude von der SPD auf dem heimischen Bauernhof. Etwa 70 Menschen leben in dem Rottenburger Ortsteil, etwa halb so viele Journalisten und Fotografen waren vor Ort.

Die Nachricht, die Ude – lachend mit einem niedlichen Ferkel in der Hand – und Aiwanger – mit Heu in den Armen auf Tuchfühlung mit seinen Kälbern – medienwirksam vermitteln wollten: 'Wir wollen die CSU nach Jahrzehnten der Herrschaft gemeinsam stürzen.'

Freie Wähler: Wirklich keine Lust zu regieren?

Dabei sind Aiwanger und Ude eigentlich ein ungleiches Paar. Hier der Niederbayer vom flachen Land, bei dem jedes "A" wie ein "O" klingt, dort der Münchner mit seinem scharfen "r". Hier der studierte Landwirt, der die Freien Wähler vor fünf Jahren mit 10,3 Prozent der Stimmen sensationell zum ersten Mal in den bayerischen Landtag führte, dort der städtische Oberbürgermeister und gelernte Jurist, der seit 1993 in der bayerischen Landeshauptstadt regiert und nun den Einstieg in die Landespolitik sucht.

Und auch politisch ziehen Ude und Aiwanger nicht bedingungslos an einem Strang – trotz des medienwirksamen Treffens vor zwei Jahren. Die SPD ist auf die Freien Wähler angewiesen, um die CSU als Regierungspartei abzulösen.

Doch die Freien Wähler sind nicht auf die SPD angewiesen. Das machte Aiwanger im Wahlkampf immer wieder klar – und kokettierte damit, weiter gerne in der Opposition bleiben zu wollen.

Programm der Freien Wähler: ein populistisches Potpourri?

"Überparteilich", "pragmatisch", "ideologiefrei", "an Sachthemen orientiert": Das sind politische Vokabeln, die er im Gespräch mit unserem Portal immer wieder nennt. Deswegen sei man auch ohne eine Koalitionsaussage in den Wahlkampf gegangen. Für den Fall, dass nach der Wahl verschiedene Optionen eine Regierungsbeteiligung möglich machen, will er die Mitglieder abstimmen lassen. Das sei "richtig demokratisch", sagt er. Auf einen Lagerwahlkampf hat er keine Lust.

Das zeigt auch das Programm der Freien Wähler, das auf den ersten Blick wie ein populistisches Potpourri daherkommt. Da ist für jedes Lager was dabei. Mit der CSU verbindet die Freien Wähler die Betonung der Bedeutung der Landwirtschaft und des ländlichen Raumes, mit der bayerischen SPD die Ablehnung eines kategorischen achtjährigen Gymnasiums, mit den Grünen die Forderung nach einem bedingungslosen Atom-Ausstieg und einem klaren Nein zur Gentechnik.

Alles Positionen, die weitgehend mehrheitsfähig sind - und den Freien Wählern den Spagat zwischen den Lagern möglich machen.

Warum eigentlich nicht mit der CSU?

Doch dann gibt es da noch die Themen, bei denen auch die Freien Wähler nicht konsensfähig sein wollen. Etwa dass staatliche Investitionen in ein schnelles Internet auf dem Land sinnvoller seien als Rettungsschirme für Griechenland oder Zypern. Oder dass es am Münchner Flughafen keine dritte Startbahn braucht und der Ausbau der Donau-Stufen unnötig ist. Hier müssten sich die möglichen Koalitionspartner anpassen, sagt Aiwanger.

Unwahrscheinlich, dass das die CSU wird. Schon vor fünf Jahren hätten die Christsozialen mit ihnen paktieren können, doch Seehofer schloss lieber mit der berechenbareren FDP eine Nutzehe.

Die CSU war zuvor in der Wählergunst auf 43,4 Prozent abgeschmiert – auch wegen Aiwanger. Der fuhr einen radikalen Anti-CSU-Kurs, sprach von der christsozialen Selbstherrlichkeit im Angesicht ihrer Machtfülle. So sammelte er zahlreiche Unzufriedene ein, die nicht mehr die CSU, aber auch nicht Rot-Grün wählen wollten.

Freie Wähler bei acht bis zehn Prozent

Fünf Jahre nach ihrem Einzug in den bayerischen Landtag sind die ursprünglich als reine Kommunalpartei bekannten Freien Wähler und ihr Spitzenkandidat etabliert in der bayerischen Landespolitik. Aiwanger, der anfangs im Landtag noch wegen seiner Aussprache mit Sprüchen wie "Red‘ deutsch" belegt worden war, hat sich Respekt verschafft: Als einer von wenigen Politikern, die ohne Manuskript eine pointierte Rede halten können. Oder auch mit Volksentscheiden – wie zur Abschaffung der Studiengebühren – mit denen sie die Landesregierung aus der Opposition heraus zum politischen Positionswechsel gezwungen haben.

Längst hat sich auch ein eigenes Klientel gebildet, das die Freien Wähler nicht mehr nur wählt, um der CSU eins auszuwischen. In den Umfragen der letzten Wochen und Monate kommen die Freien Wähler auf konstant acht bis zehn Prozent.

Doch weil die CSU aktuellen Umfragen zufolge wieder mit der absoluten Mehrheit rechnen kann, scheint ein Regierungswechsel in Bayern in weiter Ferne.

Dann müsste Aiwanger am Sonntag um 18 Uhr doch keine Farbe bekennen - und die Parteibasis nicht über eine Regierungsbeteiligung abstimmen.

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