- Die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen Mercosur nehmen nach Scholz' Besuch in Südamerika wieder Fahrt auf – der Kanzler will das Abkommen abschließen.
- Umweltverbände äußern allerdings Bedenken, dass das Abkommen dem Klimaschutz schadet.
- Das grün geführte Wirtschaftsministerium versucht, diese Bedenken zu zerstreuen.
Seit 1999 verhandelt die Europäische Union mit den Mercosur-Staaten über ein Freihandelsabkommen. Dieses Jahr könnte es tatsächlich klappen mit einer Ratifizierung - vor allem dank des Regierungswechsels in Brasilien von Jair Bolsonaro zu Lula da Silva.
2019 hatte man sich eigentlich schon auf ein Abkommen geeinigt. Als aber klar wurde, dass mit Bolsonaro nicht mal Mindeststandards beim Klimaschutz umzusetzen wären, wurde das Abkommen gestoppt.
Wirtschafts- und Klimaschutzminister
Abkommen hat Lücken beim Klimaschutz
Aktuell sind die Passagen im Abkommen, die sich auf den Klimaschutz beziehen, nicht verbindlich. Campact-Geschäftsführer Felix Kolb fordert auf Anfrage unserer Redaktion, dass die Ampel-Koalition deshalb Druck auf die EU-Kommission macht, in Sachen Klimaschutz nachzulegen: „Das erwarte ich allen voran von den Grünen. Alles andere wäre ein Abholzen der eigenen Werte.“
Die Grüne
Konkret soll das mit einer Zusatzvereinbarung gelingen, die die Konzerne zu einem besseren Schutz des Regenwaldes verpflichtet.
Inwiefern so eine Zusatzvereinbarung den Regenwald effektiv schützen kann, ist jedoch unklar. Denn ein zentraler Punkt im Abkommen besteht darin, dass Brasilien sein Fleisch billiger nach Europa exportieren kann. Dadurch würden in Brasilien mehr Flächen für Landwirtschaft benötigt, was wiederum die Gefahr birgt, dass der Regenwald weichen muss - zugunsten riesiger Sojafelder.
Brantner will das verhindern: "Dem Klima ist es ja egal, ob die Emissionen bei uns oder in Brasilien entstehen. Deswegen müssen wir die weitere Rodung des Regenwaldes für Exporte an uns verhindern."
EU-Grüne kritisieren Abkommen
Viele Grünen-Mitglieder haben Zweifel, ob ein Abkommen, das im Kern billige Fleischimporte und den Export von Verbrennern fördert, überhaupt klimafreundlich werden kann.
Martin Häusling, Europaabgeordneter der Grünen, rechnet auf Anfrage unserer Redaktion mit dem Abkommen ab: „Es geht um Handels-'Deals' und nicht um die Schaffung einer besseren, gerechteren Welt, oder auch nur um die Sicherung der Überlebensfähigkeit des Planeten", meint der fachpolitische Sprecher der Grünen für Landwirtschaft im Europaparlament, der selbst einen Bio-Landwirtschaftsbetrieb besitzt.
Für Häusling ist das Abkommen "unserem heutigen Wissen unwürdig". Im Gegensatz zu Brantner kann er Mercosur keinerlei positive Auswirkungen auf den Klimaschutz abgewinnen.
Abkommen könnte schon im Juli ratifiziert werden
Brantner hingegen sieht mit der Präsidentschaft Lulas die Gelegenheit, verbindliche Klimaschutzvorgaben in das Abkommen zu verhandeln: "Wir müssen die Chance seiner Wahl jetzt schnell nutzen."
Der Zeitplan, den Lula und die EU vorsehen, peilt eine Ratifizierung im Juli 2023 an. Für aufwändige Nachverhandlungen ist die Zeit also knapp. Dass beide Seiten auf einmal so aufs Tempo drücken, liegt an einem günstigen Zeitfenster, das sich mit dem Wahlsieg Lulas aufgetan hat.
Für das Abkommen muss auch Argentinien, das wirtschaftlich zweitgrößte Land im Mercosur-Raum, mit an Bord sein. Noch ist in Argentinien mit Alberto Ángel Fernández ein linker Politiker wie Lula am Ruder – das könnte sich im Oktober 2023 ändern, wenn dort Präsidentschaftswahlen stattfinden. Nach 24 Jahren Verhandlungen gilt deshalb das Motto: Wenn nicht jetzt, wann dann.
Deutsche Unternehmen wittern neue Märkte
Das Mercosur-Abkommen wäre das größte Freihandelsabkommen, das die EU jemals verhandelt hat. Innerhalb von 10 Jahren würden europäische Konzerne Zugang zu einem Markt mit 265 Millionen Menschen erhalten, in dem 90 Prozent der Zollschranken schrittweise abgebaut würden.
Die Verlockungen, die das mit sich bringt, lassen sich an der Liste der zehn Konzernvertreter ablesen, die Scholz und Brantner nach Südamerika begleiteten. Zu dem Tross gehörten neben VW-Vorstandsmitglied Gunnar Kilian auch der CEO von Bayer, Werner Baumann. Das teilte das Bundespresseamt auf Anfrage von abgeordnetenwatch.de mit.
Beide sehen in dem Mercosur-Abkommen eine große Chance. VW könnte seine Autos billiger exportieren und Bayer würde leichter Abnehmer für Pestizide finden, die in der EU nicht zugelassen sind, aber in den Mercosur-Staaten erlaubt wären.
Auf der anderen Seite hofft die mächtige Agrarindustrie in Brasilien auf den Export von Billigfleisch nach Europa und lobbyiert gegen zu viel Einschränkung durch Klimaschutz.
Abkommen wichtig für Wettbewerb mit China
Aber nicht nur wirtschaftliche Interessen spielen beim Mercosur-Abkommen eine Rolle. Durch den russischen Einmarsch in der Ukraine ist das Bewusstsein in Europa gestiegen, sich nicht zu abhängig von Autokratien zu machen.
Wenn die EU sich in Zukunft unabhängiger von China machen will, braucht sie andere Handelspartner, zum Beispiel in Südamerika.
Allerdings ist China selbst der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Mercosur-Länder und will seinen Einfluss dort weiter ausbauen. EU-Chefdiplomat Josep Borrell mahnte deshalb schon im Oktober vergangenen Jahres zu Tempo bei den Verhandlungen, bevor sich „andere Akteure einmischen“.
Verwendete Quellen:
- Abgeordnetenwatch.de
- Euractiv: Brasilianische Wahlen: Lulas Sieg dürfte EU-Mercosur-Abkommen wiederbeleben
- Berliner Morgenpost: Habeck will Aus für Mercosur-Abkommen
- Presseanfragen bei Campact, Martin Häusling und Franziska Brantner
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