Berlin, Kandel, Lünen, Burgwedel. Zuletzt war ist immer wieder von Messerattacken in Deutschland zu lesen. Dabei spielt auch die Zuwanderung durch Flüchtlinge eine Rolle. Aber stimmt es, dass Messer-Attacken zugenommen haben, wie nun behauptet wird? Eine schwierige Spurensuche.

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Die Meldungen über Messerattacken in Deutschland häufen sich: Berlin, Kandel, Lünen, Burgwedel. Über das ganze Land verteilt ein ähnliches Bild: Junge Männer, teilweise selbst noch unter 18 Jahre jung, greifen andere Jugendliche an – verletzen diese schwer bis tödlich.

Erst erschütterte der gewaltsame Tod einer 15-Jährigen, die in einer Drogerie in Kandel erstochen wurde, das Land. Dann löste die nächste Tat Entsetzen aus: In Burgwedel schwebt eine 24-Jährige nach einem Messerangriff durch einen 17-Jährigen in Lebensgefahr.

Viele Menschen hätten das Gefühl, in Deutschland nicht mehr sicher zu sein, erklärte jüngst CDU-Mann Jens Spahn und sorgte damit für Diskussionen.

Polizei registriert nur Schusswaffen

Aber handelt es sich um eine gefühlte Wahrheit oder nehmen Messerattacken in Deutschland tatsächlich zu?

Kriminologe Christian Pfeiffer kann darauf keine eindeutige Antwort geben. "Keiner weiß es." Der Grund: "Die Polizei registriert nur bei Schusswaffen, dass sie verwendet wurden."

Er rät daher, zunächst die gesamten Tötungsdelikte zu betrachten, unabhängig davon, wie sie verübt wurden.

"Die Gruppe, die typischerweise mit Messern hantiert, sind 14- bis 25-jährige Männer. Im Zeitraum von 2000 bis 2014 ist die absolute Zahl der Tötungsdelikte durch Personen mit deutschem Pass in dieser Altersgruppe um 16 Prozent zurückgegangen, bei Ausländern sogar um 20 Prozent."

Sind es also nur Einzelfälle, wenn es sich bei den Tätern in Kandel um einen afghanischen Flüchtling und in Burgwedel um zwei junge Syrer handelt?

Es sind in der überwiegenden Zahl der aktuell bekannten Fälle Flüchtlinge oder Täter mit Migrationshintergrund, die nun in U-Haft sitzen.

Und während in den Jahren 2015 und 2016 laut Polizeistatistik die absolute Zahl der Tötungsdelikte durch deutsche 14- bis 25-jährige Tatverdächtige um 20 Prozent sank, stieg sie bei den ausländischen Tatverdächtigen derselben Altersgruppe um 38 Prozent an. Welcher Zusammenhang besteht?

Anstieg der Gewalttaten durch Zuwanderung belegt

"Dahinter steckt die Zuwanderung von Flüchtlingen", sagt Pfeiffer und belegt dies mit Befunden aus seiner mit den Kriminologen Dirk Baier und Sören Kliem für das Bundesministerium für Familie und Jugend erarbeiteten Studie "Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland", die im Januar 2018 an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften erschien.

Die Gruppe der Flüchtlinge sei verhältnismäßig stark aus 14- bis 25-Jährigen zusammengesetzt, exakt jener Altersgruppe also, aus der in vielen Ländern statistisch die meisten Gewalttäter stammen.

Auch in Deutschland: Zwar machten 2014 die 15- bis 30-Jährigen gerade einmal 9 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, ihnen wurde aber die Hälfte aller Gewalttaten zugeschrieben.

"Bei den nordafrikanischen Flüchtlingen stammt jeder Zweite aus dieser Altersgruppe", so Experte Pfeiffer.

Da es bislang für 2017 noch keine Daten gibt, kann der Kriminologe nur vermuten, dass die Gewalttaten im vergangenen Jahr insgesamt nicht weiter angestiegen sind. Für den Anteil der Delikte, bei denen Messer im Spiel waren, könne dies im Umkehrschluss aber auch nicht ausgeschlossen werden.

Und auch für die Wahl des Tatwerkzeuges gibt es mögliche Erklärungen.

"Die Flüchtlinge haben die Jahre vor ihrer Flucht in Ländern verbracht, wo der Rechtsstaat nicht funktioniert. Die Polizei sorgt dort nur begrenzt für Sicherheit", sagt Pfeiffer.

Die eigene Sicherheit und Verteidigungskraft, gerade auch auf der gefährlichen Flucht, könnten eine Erklärung dafür sein, dass sich manche junge Männer selbst bewaffneten. In diesem Fall ist ein Messer einfacher und günstiger zu besorgen als beispielsweise eine Schusswaffe.

Importierte Gewalt

In Deutschland angekommen, könnten viele diesen permanenten Selbstverteidigungsmodus nicht einfach abschalten, sagt Pfeiffer. Denn auch in Deutschland lauen in den Augen der Geflüchteten Gefahren: Von Rechtsextremen bis zu verfeindeten religiösen Gruppen.

Die sogenannten importierten Konflikte - etwa zwischen religiösen und ethnischen Gruppen wie Schiiten und Sunniten sowie Kurden und Türken - sorgten in den Jahren 2015 und 2016 für einen Anstieg der Gewaltkriminalität und der Tötungsdelikte.

"In den Massenunterkünften gab es massive Gewalttaten innerhalb der Flüchtlingsszene. Dort wurden Menschen unterschiedlicher Nationen, Ethnien und religiöser Zugehörigkeit ungeachtet ihres Konfliktpotenzials gemischt", sagt Pfeiffer.

Das erklärt auch, warum bei den angestiegenen Tötungsdelikten im Jahr 2016 mehr als 90 Prozent der Opfer gar keine Deutschen waren, sondern Ausländer.

Mit der verbesserten Wohnungsunterbringung wurde diese Problematik angegangen und die Gewalt von Flüchtlingen dürfte im Jahr 2017 rückläufig sein, vermutet Experte Pfeiffer.

Statistische Erfassung gefordert

Bundesweit muss die Anzahl an Messerattacken also nicht gestiegen sein, merkt Pfeiffer kritisch an, "das kann auch an der intensiven Berichterstattung liegen".

Spekulationen nutzen somit wenig. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte eine statistische Erfassung der Messerattacken, um mehr faktische Klarheit zu bekommen. Gerade auch mit Blick auf mögliche regionale Entwicklungen.

Heranwachsende trügen zunehmend Messer bei sich, sagte Niedersachsens GdP-Landeschef Dietmar Schilff im Interview mit dem NDR. "Wir sehen darin einen neuen gefährlichen Trend, da sich in Sekundenbruchteilen lebensgefährliche Situationen entwickeln können."

Eine Statistik der Jahre 2016 und 2017 aus Berlin belege bereits einen Anstieg der Messerattacken.

Die Polizei klärte 95 Prozent der Tötungsdelikte auf und zeigt den Tätern damit: Man kommt mit diesen Taten nicht davon. Die Botschaft müsse aber erst einsickern, so Pfeiffer.

Der Kriminalitätsexperte fordert daher: "Wir müssen mit den jungen Männern, zum Beispiel auch in den Integrationskursen, ins Gespräch kommen und Fragen: Besitzt ihr Messer? Warum?"

Bereits integrierte Migranten müssten dabei mit gutem Beispiel vorangehen.

Mehr Flüchtlinge, mehr Gewalt?

Statistisch belegbar ist also, dass "der Zusammenhang zwischen mehr Flüchtlingen und mehr Gewalttaten besteht", hält Pfeiffer fest.

Allerdings ist in diesem Kontext die Annahme nicht haltbar, dass vor allem Deutsche Opfer dieser Gewalttaten seien, wie vor allem in rechten Kreisen der Narrativ suggeriert.

Es sind vor allem die Alterszusammensetzung, religiöse und ethnische Spannungen, die sich gerade in den Flüchtlingsunterkünften in Gewalt entladen.

"Vorsätzliche Tötungsdelikte, bei denen Flüchtlinge als Tatverdächtige ermittelt wurden, haben sich zu über 91 Prozent unter Flüchtlingen oder sonstigen Nichtdeutschen abgespielt".

Pfeiffer verdeutlicht: "Soziale Lagen sind vergleichbar, denn eine abgehängte Lebenssituation ohne Teilhabe lässt Kriminalität entstehen". Ein integrierter Flüchtling in der Mittelklasse verübe statistisch gesehen nicht mehr oder weniger Gewalttaten als ein hier geborener Deutscher in vergleichbarer Lebenslage.

Und noch einen Punkt nennt der Experte als Verstärker. "Wir importieren auch Macho-Kultur". Die jungen Männer kämen aus männlich dominierten Kulturkreisen und verhielten sich häufig nach der Maxime: "Wer nach einer Beleidigung nicht zuschlägt, ist ein Feigling".

Politisch brauche es somit Debatte, Bildung und Chance zur Teilhabe, aber ebenso konsequente Rückführung, so Pfeiffer.

Zur Person: Christian Pfeiffer ist deutscher Kriminologe und ehemaliger Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. Von 2000 bis 2003 war Pfeiffer für die SPD niedersächsischer Justizminister.
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